Warum ich gegen Rassismus demonstriere

Rassismus und Corona. Zwei tödliche „Seuchen“ – die eine menschengemacht, die andere nur ansatzweise erforscht. Vielen stellt sich die Frage: Muss ausgerechnet jetzt während der Corona-Krise gegen Rassismus demonstriert werden? Die letzten Jahrhunderte hat’s ja auch die wenigsten interessiert. Unsere jungen Kollegen sagen: Ja! Ihre Beweggründe, auf die Straße zu gehen:

Warum genau jetzt der Zeitpunkt ist, auf die Straße zu gehen und gegen Rassismus zu demonstrieren. / Quelle: Simon Haslauer, Filiz Eskiler

Ein Kommentar von Simon Haslauer

Ich kann mich an einen Fall in meiner Heimatstadt Salzburg erinnern, der nur wenige Wochen zurückliegt. Ein Mann sitzt alleine im Park und liest ein Buch. Ein No-Go während der Corona-Pandemie und der strengen Ausgangsbeschränkungen in Österreich. 200 Euro Bußgeld waren fällig.

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Nun, nur ein Monat später, platzen Städte fast aus allen Nähten, Menschen zwängen sich durch Straßen, Gassen und Plätze mit ihren Plakaten gegen Rassismus und Polizeigewalt. Fast zynisch, das weiß ich, und das verstehe ich. Und doch war ich in Salzburg dabei, und doch stand ich am Mozartplatz und habe zugehört wie Menschen Details aus ihrem von rassistischen Ereignissen geprägten Leben erzählen, sie mit uns teilen. Ich hörte zu: Nicht weil es gerade “chic” ist, sondern weil ich wählen musste.

Die Seuche betrifft uns alle

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir Weißen stärker als bislang unsere Mitmenschen mit anderer Hautfarbe, Herkunft und Orientierung schützen müssen. Diese andere Pandemie, diese menschengemachte Seuche namens Rassismus, muss bekämpft werden. Einige begleitet sie ein Leben lang, Millionen sterben daran. Es gibt keine Spritze dagegen. Nur unser Verstand und unsere Empathie helfen.

Corona tötet. Rassismus tötet. Ich hatte also die Wahl zwischen zwei Übeln. In der einen Ecke: der heiße Newcomer, und in der anderen: der alte Champion. Warum war es mir so wichtig, gegen Rassismus zu demonstrieren? Ich habe mich bewusst entschieden, etwas zu ändern. Mein Dabeisein zeigt jenen, die tagtäglich Rassismus ausgesetzt sind: SIE SIND NICHT ALLEIN. WIR SIND MEHR.

Ein Kommentar von Filiz Eskiler

Erst durch die Demonstrationen in Amerika habe ich angefangen, mich mit dem Thema Rassismus auseinander zu setzen. Ich fange “erst” jetzt an, zu realisieren, wie rassistische Strukturen mein Leben geformt haben und weiterhin formen werden. Ich fange an, mich zu fragen, was anders gelaufen wäre, hätte ich keinen Migrationshintergrund. Ich fange an, bewusst im Hinblick auf die Hautfarbe zu vergleichen – weil ich selbst in meinem Freundes- und Familienkreis schon extreme Unterschiede zwischen Weiß und Nicht-Weiß feststellen muss.

Aussagen wie “Rassismus. Sie kennen das.” machen mich traurig. Nein, Sie KENNEN das nicht. Und das können Sie auch nie kennen, weil Sie Weiß sind. Wir können nur versuchen, es nachzuvollziehen und die eigene Rolle in dem rassistischen System zu erkennen. Der Anlass für meinen Kommentar ist die Black-Lives-Matter Demo in München. Ich war selbst dort. Trotz Corona und obwohl mir klar war, dass Mindestabstand einhalten schwierig werden würde.

Ich will etwas bewegen …

Ich bin auf diese Demo gegangen, weil ich etwas bewegen will. Oh Gott, klingt das ekelhaft nach Klischee. Aber durch die Demonstrationen soll das Problem stärker ins Bewusstsein gelangen. Und zwar ins Bewusstsein der Menschen, die die riesige Online-Bewegung auf Social Media, die gerade stattfindet, nicht mitbekommen, sondern nur das sehen, was in den Nachrichten läuft.

Wenn wir ehrlich sind, wissen wir alle, dass Schwarze und PoC (People of Color) in Deutschland schlechter behandelt werden als Weiße. Aber wir verdrängen das ganz gut, weisen lieber auf Corona hin, anstatt über das Problem zu sprechen und einen offenen Diskurs zu führen. Ich will die Corona-Pandemie in keiner Weise verharmlosen. Aber Rassismus gibt es nicht erst seit zwei Monaten. Und genau jetzt bekommen Aktivisten weltweit auf Social Media den Rückenwind, der zu einer langfristigen Änderung führen kann. Bad-Timing, aber besser als gar nicht.

Warum dieser Kommentar?

Was ich mit diesem Kommentar erreichen will? Keine Ahnung. Es fühlt sich so an, als müsste ich junge Menschen verteidigen. Und das obwohl Proteste nicht nur junge Menschen was angehen, das wird uns nur gerne vorgeworfen (ist ja auch beim Klimawandel so).

Ich weiß, Änderung beginnt im Kleinen, im Lokalen. Ich hoffe, ich kann mit diesem Kommentar ein Teil davon sein. Ich hoffe, wir fangen an Rassismus nicht nur als ein System zu erkennen, sondern darüber einen offenen Diskurs zu führen. Es reicht nicht, kein Rassist zu sein. Man muss aktiver Anti-Rassist sein. Vielleicht könnt ihr zumindest heute auf den Rassismus in eurem Leben achten – der ist nämlich vorhanden. Überall.

Auch lesenswert: Der Gegenkommentar zu Demonstrationen während der Corona-Pandemie

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