Der Strom fließt in seinen Adern

Was er wollte, setzten andere für ihn um. Was er sagte, war Gesetz. Als Chef des Tegernseer E-Werks verstand es Dr. Norbert Kruschwitz wie kein anderer, den Leitwolf zu mimen und mehr als 20 Jahre lang ein ganzes Rudel Freiwilliger im Schlepptau zu haben. Jetzt verlässt er das Unternehmen.

Wölfe müssen nicht motiviert werden, das Jagen ist Teil ihres genetischen Codes. Auch Dr. Norbert Kruschwitz ist ein Jäger, wobei der Begriff „Wolf“ für einen Mann wie ihn vom Bild her eher unpassend ist. Vielmehr hat er die Gestalt eines Bären, unter dessen Pelz er seine Beweglichkeit zu verstecken versucht. Er wirkt entspannt und ruhig, fast gemütlich. Man sieht ihm nicht an, dass manchmal schon eine Kleinigkeit ausreicht, um den Pelz für kurze Zeit beiseite zu legen.

Kruschwitz schaut in den Mühlbach, der direkt an seinem Grundstück vorbeifließt. Er schmeißt einen Köder aus und wartet. Mit fast 70 Jahren ist der Anspruch, etwas am Angelhaken zu haben, zwar nicht mehr der gleiche wie vor 40 Jahren, aber die Methode ist dieselbe geblieben. Jagen auf subtile Art – sein Spezialgebiet. „Wenn wir von seiner Ausbeute leben müssten, würden wir anders aussehen“, sagt seine Frau.

Als er die gebürtige Berlinerin auf einem Faschingsball im Jahr 1976 kennenlernt, lässt er ihren damaligen Tanzpartner mitten im Schwof zweimal ans Telefon rufen. Zeit genug für Kruschwitz, das Parkett zu betreten. Und festen Boden hat er nun seit 40 Ehejahren unter seinen Füßen. Seine beste Ausbeute bisher. Die perfekte Ehe? Die gibt es für ihn nicht.

Er ist die Speerspitze und lässt den Spättrupp vorbeiziehen.

Den Helden durfte der in Bad Aibling als Einzelkind aufgewachsene Norbert Kruschwitz schon bei den Pfadfindern spielen. Später holte er sich das Gefühl von Abenteuer bei der Gebirgsjägertruppe der Bundeswehr zurück. Als Oberstleutnant der Reserve gewöhnte er sich schnell daran, Befehle zu erteilen. Eine Gewohnheit, die auch seinen Führungsstil im Tegernseer E-Werk prägte. Er gab den Ton an. Er ließ seinen Mitarbeitern Freiheiten, zog aber auch die Reißleine, wenn nötig. Er bestimmte den Takt seiner Kameraden.

Dass sich das manchmal auch auf sein Privatleben auswirkte, blieb nicht aus. Seine Frau nahm es mit ihrem Berliner Humor: Einmal stellte sie sich mit den beiden Söhnen in Reihe und Glied auf, legte die rechte Hand an die Schläfe und antwortete mit lauter Stimme:

Jawohl, Herr Kommandant.

Sie widersprach trotzdem. Widerspruch auf der Arbeit duldete Kruschwitz dagegen nicht, aber Zuhause, das war ein anderes militärisches Gebiet, da galten andere Regeln.

Seinen Gegnern war er gedanklich immer einen Schritt voraus. Kruschwitz riss Projekte an, die seine Truppe noch umsetzte, während er schon längst wieder neue in Angriff nahm. Ein schöpferischer Analytiker, ein Freigeist – kein Arbeiter. Einer, der für alles eine Lösung sucht – und auch findet: „Künftig wird meine Frau meine Sekretärin sein.“ Was sie an ihm schätzt? „Er ist ein Mensch wie Du und ich“, sagt sie und fügt lachend hinzu: „Man gewöhnt sich an alles, genauso wie man sich an den Süßstoff in seinem Kaffee gewöhnt.“

Diesen Humor liebt er. Dafür lebt er. Und für seinen Job. Da er als junger Bursche der englischen Sprache mächtig war, bekam er eine Stelle im Verteidigungsministerium und war anschließend eine Zeit lang im internationalen Bereich tätig. Gerne hätte Kruschwitz dort weiter gearbeitet. Aus Liebe zu seiner Familie wechselte er jedoch in den Münchner Süden. Und er hat es bis heute nicht bereut.

Hart, aber sozial

Als Kruschwitz 1996 nach Tegernsee kam, begann gerade die Liberalisierung auf dem Strommarkt. Seine größte Aufgabe bestand damals darin, Kosten zu senken. Dies war nicht möglich, ohne dafür Mitarbeiter zu entlassen. Eine schnelle Lösung musste her. Also ging Kruschwitz zu einem befreundeten Unternehmer und sagte: „Den einen Mitarbeiter nimmst jetzt für sechs Monate. Und wenn er nix is`, nehm` ich ihn zurück.“ Der Mitarbeiter blieb und war bald einer der besten.

Mit seiner Truppe hielt Kruschwitz über 20 Jahre lang die Stellung. Unter seiner E-Werk-Führung gab es keine Mißerfolge. Schwierigkeiten im übertragenen Sinne gab es nur, wenn ein anderes Alphatier auf den Plan trat, so wie beispielsweise Tegernsees Ex-Bürgermeister Peter Janssen. Kruschwitz saß im Führerhaus und Janssen wagte es, vorzupreschen, um seine Ideen durchsetzen. Ein Angriff, der von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

Viele solcher Angriffe musste er nicht abwehren. Kruschwitz hatte in der Ausübung seiner Position freie Hand, weil er ein gutes Vertrauensverhältnis zu Stadtrat, Aufsichtsbehörden und Bürgermeistern aufgebaut hatte. Ein Netzwerker, dessen Kontakte bis hin zu den Großen der Branche reichten. Mit seinen Fähigkeiten, Herausforderungen anzunehmen und Lösungen zu finden, war er in der Lage, Dinge zu bewegen und umzusetzen. Rebellisch, aber tolerant. Unabhängig, aber regelkonform.

Was nach Ende ausschaut, ist erst der Anfang

Und das nicht nur bei der Stromerzeugung, sondern auch beim Handel, beim Netzausbau, dem Ausbau der Erdgas-Versorgung, bei der Tegernsee-Bahn, dem Bau der Seesauna, dem Umbau des alten Hallenbades und nicht zuletzt bei allen Aktivitäten rund um das Tegernseer Tal, wie beispielsweise den See- und Waldfesten.

Strom ist in den letzten Jahren nicht nur durch seine Hände, sondern auch durch seine Adern geflossen. Mit seiner Energie wurde das E-Werk zu dem, was es heute ist: ein angesehenes Unternehmen. Wie könnte man ihn besser beschreiben als mit den Worten eines anderen Feldherrn:

Er kam, sah und siegte.

Jetzt geht ein großer Stratege in den Ruhestand. Wer aber glaubt, dies sei das Ende seines Erfolges, der freue sich nicht zu früh – es ist erst der Anfang, denn wie gesagt, man darf nicht vergessen, was er sich vorgenommen hat: Wieder zu angeln!

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