„Letzter Gruß an die Schönheit des Tegernseer Tals“ steht auf dem Trauerkranz, der den Protestzug anführt. 350 Menschen haben sich in die lange Schlange eingereiht, die am Samstagnachmittag mit Fackeln und Kerzen vom Tegernseer Schloss zur Point hochzieht. „Für mich der schönste Platz am See“, wie eine Rottacherin bestätigt. Dass die Idylle des Tals durch diverse Bauprojekte gefährdet wird, wollen die Bürger sich nicht mehr gefallen lassen. Auf Schildern fordern sie mehr Beteiligung.
„Jetzt reicht‘s!“ Mit dieser Aufforderung hatten Angela Brogsitter-Finck und Johannes von Miller im Namen der Schutzgemeinschaft den Protestzug initiiert. Mit der Demonstration trafen sie offensichtlich mitten ins Schwarze – und ins Herz vieler Einheimischer, die ihrem Unmut durch ihr Kommen Luft machten. Neben Bürgern hatten sich auch Lokalpolitiker und Vertreter des Bund Naturschutz unter die Demonstranten gemischt.
Was die Demonstranten stört
Die Ersten hatten sich gegen 15:15 Uhr im südlichen Schulhof des Gymnasiums eingefunden, um auf ihre Mitstreiter zu warten. In Gesprächen mit den Demonstranten wurde klar, um was es den Männern und Frauen geht. Eine Tegernseerin will generell nicht mehr länger mitansehen, wie alles zugebaut wird. Sie sei keine Revoluzzerin, aber jetzt wäre das Maß für sie einfach voll.
Das hat Dimensionen erreicht, die sind nicht mehr schön!
Rückhalt bekommt sie unter anderem von einer Rottacherin, die beklagt, dass überall dort, wo einmal ein kleines Häuschen weggerissen würde, sich dann die Baumasse vervielfache. Eine Wiesseerin pflichtet ihr bei. Bauprojekte wie der “Brennerpark” oder das “Almdorf” lassen ihr keine Ruhe mehr.
Die Investoren ziehen weiter, und bei uns steht wieder so ein Kasten rum!
Ein Gmunder merkt an, dass mit einem Fingerzeig ein Landschaftsschutzgebiet zum Bauerwartungsland werde. Da solle der Kreistag doch bitte einmal besser nachdenken, bevor er was durchwinke.
Wofür haben wir eigentlich einen Landschaftsschutz, wenn sich keiner dran hält?
Eine Tegernseerin ist empört von den Ausmaßen, die die Orthopädische Klinik bekommen soll. Wie viele weitere Bürger hält sie den Neubau der Klinik mit sechs Stockwerken für überdimensioniert.
Es ist eine Unverschämtheit, so etwas da hinzustellen.
Die Demonstranten zeigten sich gut informiert. So ist vielen bekannt, dass die zuständige Deutsche Rentenversicherung einen Tag vor dem Protestmarsch Gesprächsbereitschaft signalisiert hatte und man sich vorstellen kann, über eine Änderung der Baupläne nachzudenken. Für die eigentlichen „Täter“ – die Mitglieder des Tegernseer Stadtrates, die das Bauprojekt durchgewinkt hatten und „sich von den Bauherren erpressen haben lassen“ – hat so mancher Demonstrant keinerlei Verständnis.
Der Rentenversicherung geht es vor allem darum, mit dem Neubau den Anforderungen der Patienten gerecht zu werden und die 140 Arbeitsplätze am Standort Tegernsee zu halten, wie es heißt. Doch diese Begründung hält eine Krankenschwester, die sich unter den Demonstranten befindet, für eine Finte.
Das Pflegepersonal, das da kommt, das sind lauter Billiglöhner aus dem Osten.
Die Frau ist besonders aufgebracht, hat selbst auch schon Erfahrungen als Bauherrin gemacht – auch negative. Während Investoren quasi machen könnten, was sie wollen, werde der Bürger klein gehalten.
Die schreiben einem auch noch vor, wie die Kloschüssel auszusehen hat.
Aus allen Orten am See strebten gestern die Demonstranten nach Tegernsee, bis von Schaftlach, Holzkirchen und Miesbach kamen sie, um ihrem Ärger Luft zu machen. Auch Manfred Burger und Helmut Schneider vom Bund Naturschutz hielten die Fahne des Naturschutzes hoch.
Für Burger sind die regen Bautätigkeiten im Tegernseer Tal doppelt kritisch zu sehen. Die Landschaft sei hier sehr viel sensibler als im Gesamtlandkreis. Werde sie zerstört, würden auch viele Touristen nicht mehr kommen – und das treffe das Tal dann doppelt.
Johannes von Miller, von Beruf Architekt und im Vorstand der Schutzgemeinschaft, war am Samstagnachmittag der Versammlungsleiter und hielt die Begrüßungsrede. Er sprach etliche Bauprojekte an, die in der letzten Zeit bei den Bürgern für Diskussionsstoff gesorgt hatten: die Orthopädische Klinik als „Auslöser“ für die Demonstration, den geplanten Brennerpark, das Almdorf oder das aja-Hotel in Tegernsee-Süd.
Wir sind die kritische Masse – wir müssen sagen, was wir wollen – traut euch, den Mund aufzumachen.
Es könne nicht angehen, Denkmäler abzureißen und durch 0815-Architektur zu ersetzen. Das sei zurzeit weitverbreitet im Tal. Lediglich die Gemeinde Bad Wiessee erwähnte er positiv. Diese ließe sich nicht das Heft aus der Hand nehmen – dort plane noch die Kommune und nicht der Investor. Er forderte unter anderem von Landrat Jakob Kreidl einen Masterplan für die bauliche Entwicklung im Tegernseer Tal. Das Publikum quittierte Millers Worte mit Applaus.
Gegen 16 Uhr machte sich der Zug – angeführt von „Totengräberin“ Rike Stadler und James Lürmann von der Schutzgemeinschaft (SGT) – auf den Weg zur Point, immer auf dem Gehsteig neben der Straße entlang. Zahlreiche Autofahrer verlangsamten die Fahrt, um Fotos zu machen. Der Protest blieb so, wie er geplant war: friedlich und still. Die einzigen „Waffen“: der Trauerkranz, Fackeln und Kerzen.
Am Paraplui erwarteten Sepp Kandlinger und Musiker die Demonstranten mit dem „Trauermarsch“ von Frédéric Chopin. In acht Wochen will die Schutzgemeinschaft laut Johannes von Miller die Aktion wiederholen. Bis dahin appellierte er an die Leute, sich für die Gemeinderäte aufstellen zu lassen – soweit die Kandidatenlisten noch nicht stehen. Das würde die Möglichkeit einer direkten Beteiligung ermöglichen.
Hier eine kleine Bilderstrecke von der Demonstration:
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