Die Zukunft soll auch im Tegernseer Tal ankommen. Bis spätestens 2040 sollen alle Züge elektrisch betrieben werden. Das versprachen Politik und Bahn vor Wochen. Woran hakt es? Was bremst solche Projekte?
Wer Michael Bourjau in seinem Büro in Tegernsee besucht, reist ins letzte Jahrhundert. Eine Stiege vom Warteraum hinauf, vorbei am Vorzimmer, gelangt man in einen Raum, der auch als Filmkulisse dienen könnte. Aktenordner von 1914, ein riesiges Ölgemälde mit Ferdinand von Miller (Mitgründer der Tegernseer Bahnverbindungen). Schwere Ledersessel. Michael Bourjau ist 69 Jahre alt, hat als Unternehmensberater bei Berger gearbeitet, ist Stellvertreter des ersten Tegernseer Bürgermeisters, Johannes Hagn; und er ist Geschäftsführer der Tegernsee Bahn Betriebsgesellschaft (TBG). Bourjau hat den Job 2021 interimsweise übernehmen. Solange er Stadtrat ist, wird das wohl so bleiben. Erst 2026 wird in Tegernsee gewählt.
Die TBG hat einen erheblichen Nachholbedarf bei den Investitionen in die Strecke, die Bourjau als Geschäftsführer noch umsetzen will. Jahrelang wurde die Bahn-Infrastruktur stiefmütterlich behandelt, in der Region und im Bund. Lieber ließen Scheuer und Co Tröge, Tunnel und Straßen bauen. Machte mehr her, als Steuergeld für bessere Signalanlagen, Züge oder Gleise einzusetzen.
Die TBG stehe, so sagt Bourjau, gut da, erwirtschafte stabile Umsätze (2,2 Millionen Euro p.a.). Hier arbeiten 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für größere Investitionen, wie z.B. die Instandsetzung der Seeuferwegbrücke in Gmund, wird die TBG vom Staat unterstützt. Aber die TBG muss Darlehen zur Finanzierung von Maßnahmen in Anspruch nehmen. Insoweit wird die TBG sich für ihre Investitionen in die Strecke sukzessive verschulden müssen.
Innovative Ideen? Etwa, was man mit dem Bahnhofsareal in Tegernsee machen könnte? Die sind da. Verantwortlich dafür ist aber die Stadt Tegernsee, die das Areal – wie es so schön lautet – “der Bahn zur Nutzung gewidmet”. Aber warum passiert da nichts? “Mit einem erhöhten Passagier- und Verkehrsaufkommen steigt auch der Raumbedarf, was die Planung für das Areal komplex macht”, erklärt Bourjau. Oder anders: So richtig dringlich ist das für den Stadtrat anscheinend nicht.
Strom statt Diesel
Und so sieht es auch bei der Elektrifizierung der Bahn aus. Die TBB ist für 12,4 Kilometer Strecke zwischen Schaftlach und Tegernsee verantwortlich. Eine Stromer-Bahn würde leiser und schneller sein. Fahrtzeiten wären also verkürzt, nicht unwichtig, wenn es um Anschlüsse in München geht. Zudem besteht dann die Möglichkeit der Linienverlängerung in die 2. Stammstrecke München zur Regional-S-Bahn. Für Pendlerinnen und Pendler ist das ein entscheidender Vorteil gegenüber dem Auto. Hinzu kommt der Effekt für unsere Umwelt: Vorausgesetzt der Strom kommt aus erneuerbarer Energiegewinnung, verspricht die Expertise der Bahn eine Co2-Reduzierung um 90 Prozent.
Spätestens 2040, so der Wunsch von Politik und Bahn, soll der Diesel aus dem Oberland verschwunden sein. Was ist der Grund für dieses Schnecken-Tempo? “Schauen Sie, im Grunde sind das erst einmal ganz große politische Entscheidungswege auf Landesebene. Sie gehen als Verkehrsminister zum Kollegen der Finanzen, wollen Milliarden haben für eine komplette, bayernweite Elektrifizierung. Der schüttelt den Kopf, verweist auf wichtigere Projekte, sichert maximal einen kleinen Milliardenbetrag zu. Damit kommen sie aber bei einem landesweiten Ausbau nicht weit. Dann vergehen Monate, eine Wahl steht an. Das Thema wird wieder verschoben. Und so zieht sich das hin. Bis es zu einem Planfeststellungsverfahren kommt, vergehen Jahre. Das war bisher nie wirklich priorisiert und mit einem Masterplan versehen. Jetzt ist da endlich Druck und ein Plan da”, verteidigt sich Bourjau.
Kein bisschen schweizerisch
Und man merkt ihm an, dass er an dieser Stelle wenig Kritik an mögliche Finanzgeber verteilen möchte. Aber Elektrifizierung wurde schon vor hundert Jahren im Oberland gefordert. Doch der staatlich subventionierte Diesel war eben günstiger, das wurde nie infrage gestellt. Und die konservative Verkehrspolitik setzte in den vergangenen Jahrzehnten verlässlich auf das Auto, viel zu selten auf die Bahn – bis heute. Die Folgen dieser Vernachlässigung sind für jeden Bahnreisenden spürbar.
Bourjau zieht den Vergleich mit der Schweiz; in Sachen Bahn und Infrastruktur sein Vorbild. Er ist überzeugt: “Man hat es nicht als strategische Aufgabe gesehen, so wie in der Schweiz. Dort haben Verantwortliche, ob Politiker oder Betreiber gesagt: ‘Das kostet, was es kostet’ – wir planen jetzt über 20 Jahre, und werden am Ende einen modernen, kundengerechten Zugverkehr anbieten können.” Und Deutschland? Hier hat sich das von Wahlperiode zu Wahlperiode in kleinteilige Projekte aufgelöst. Es gab nie einen ganzheitlichen Ansatz. Nebenbei: die Schweiz investiert fünfmal mehr pro Kopf als wir.
Bahn ist staatliche Aufgabe
Bourjau ist auch Mitglied der Tegernseer Freien Wähler. Es ist Wahlkampfzeit. An dieser Stelle hätte er natürlich auch die aktuelle Regierung loben können, die das Thema Bahn und erneuerbare Energien auf das Themenschild gehoben hat. Stattdessen: Der einstige Sanierer und Berater sieht Verkehrsinfrastruktur, Energieversorgung, Wasserversorgung und Netze zur Kommunikation grundsätzlich als staatliche Aufgabe und nicht als zu privatisierende Geschäftsmodelle. “Klar, ist Privatisierung toll, schnellere Entscheidungen, weniger mühsame Abstimmungen. Aber das geht nur, wenn die Rendite stimmt. Sonst sagt der Betreiber recht schnell: ‘Lieber Herr Söder, wir sind pleite. Dann übernimmt der Staat eben doch wieder.'”
Elektrifizierung kommt zu einem Preis. Nicht jede und jeder ist im Tal bereit, diesen zu zahlen. Erste Vorplanungen starteten 2019. Jetzt kommen die Genehmigungsverfahren – quasi der Teil, der das Umsetzen in Deutschland so unendlich langsam und zäh werden lässt. Es wird Einsprüche von Anwohnern und Grundstückbesitzern geben. Gerichte werden wieder und wieder behelligt. Und teuer wird es: 20,7 Millionen Euro stellt der Freistaat für Planung im Oberland bereit. Die Realisierung soll 2030/31 erfolgen. Die reine Bauzeit hingegen soll relativ kurz sein. Mehrheitlich wird der Bund wohl einen wohl dreistelligen Millionenbetrag für die gesamten 70 Kilometer Schiene im Oberland zahlen. Jeder Kilometer Umbau wird mit bis zu zwei Millionen Euro Kosten gerechnet. Und was ist mit der dazugehörigen Infrastruktur in den Bahnhöfen?
Längere Züge wird es geben, statt 108 Meter werden sie bis zu 140 Meter Länge haben können, also deutlich mehr Menschen transportieren. Wer die in der Hauptsaison überfüllten Waggons kennt, wird sich freuen. Nur: Längere Züge benötigen auch größere Bahnsteige, erklärt Bourjau. Und wieder geht es um Bauplanungen. Auch hier kommen auf die TBG trotz Förderung durch den Freistaat erhebliche Belastungen zu.
Die Strommasten werden in einem Abstand von ca. 70 bis 80 Meter aufgestellt werden. Für die Anwohner ist diese Planung in seiner Umsetzung wie auch im Betrieb schwer zu verdauen. Bourjau ist da entspannt: “Wenn ich an eine Bahnstrecke ziehe, muss ich mit solchen Einschnitten rechnen. Eine Entwertung der Grundstücke sehe ich nicht, entweder war der Kauf schon aus diesen Gründen günstiger oder das Objekt im Besitz auch noch nie mehr wert!” Aber es wird das Landschaftsbild natürlich verändern. Von der knuffigen Märklin-anmutenden Bahn, die auf freier Flur zwischen Moosrain und Finsterwald zuckelt, zu einer eher städtischen Bahn mit Masten und Stromleitungen. Aber dafür fällt der Diesel weg, und damit z.B. das morgendliche, laute und dreckige Spektakel am Bahnhof in Tegernsee zum Beispiel, wenn die Loks die Maschinen aufwärmen.
Wasserstoff, Brennstoffzellen, Biokraftstoffe …
Was ist aber mit dem Antrieb durch Wasserstoff? Züge mit Brennstoffzellen sollen bald bei unserem südlichen Nachbarn im Zillertal fahren. Da wollte man keine Oberleitung für eine Elektro-Bahn, fürchtete um das touristische Image. Auch bei uns in Bayern wie auch beim schwäbischen Nachbarn sind diese Alternativen im Gespräch. Aber der Wirkungsgrad von Wasserstoff ist umstritten. Michael Bourjau hält die Wasserstoff-Zuflucht momentan als nicht realistisch. “Für die Herstellung von Wasserstoff verbrauche ich zu viel Energie und setze damit zu viel CO2 frei”, sagt er. Er setzt damit voll auf die Elektrifizierung. Wir sollten nicht wieder ewig auf den Reifegrad, der für die Umsetzung dieser Technologie notwendig ist, warten und die Verkehrswende weiter verzögern.”
Es wird Einschränkungen geben, und es wird dauern. Aufzuhalten ist das nicht. Ob der derzeitige Betreiber, die BRB, das noch erlebt, ist nicht sicher. Die hat ja nun gerade neue Diesel-Züge in Betrieb genommen. Diese Investition ist noch längst nicht aus den Büchern.
Steht da ein neuer Betreiber am Horizont? Neue Betreiber werden über eine unabhängige Ausschreibung gesucht. Die TBG hat hier keinerlei Einfluss. Bourjau ist der Partner, der auf “seinen Gleisen” fährt, erstmal egal. Mit dem Eintritt in den MVV-Verbund werden die Karten neu gemischt.
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