KulturVision:
Die Lösungen sind noch nicht ausgeschöpft

„Streit um Zuwanderung – Braucht es eine Wende in der Asylpolitik?“ war das Thema der „jetzt red i“-Sendung des BR Fernsehen aus dem Kulturzentrum Waitzinger Keller in Miesbach. Moderator Tilman Schöberl gelang es, die Knackpunkte des kontroversen Diskurses herauszuarbeiten.

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Blick von oben in die Arena von „jetzt red i“. / Foto: Isabella krobisch

Kurz bevor es auf Sendung ging, wurde noch einmal der Boden gefegt, schon längst hatten sich etwa 100 Interessierte eingefunden, um bei diesem im Landkreis Miesbach hoch umstrittenen Thema mitzudiskutieren. Schließlich hatte es im Februar in Warngau eine Versammlung gegeben, bei der Landrat Olaf von Löwis attackiert worden war, als er den Plan vorstellte, eine Flüchtlingsunterkunft für 500 Personen auf dem VIVO-Gelände zu bauen.

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Eine Stunde vor der Sendung „jetzt red i“. / Foto: MZ

Die Livesendung begann mit einem Film, in dem zwei Warngauer Gemeinderäte ihre Sorgen zu dieser Unterkunft aussprachen. Man sei nicht generell gegen Flüchtlingsunterkünfte, aber nicht in dieser Größe. Zudem kritisierten sie, dass die Kommunikation nicht optimal gewesen sei. Auch in der Sendung wurde diese Sorge und Kritik laut, aber auch unter dem Aspekt, dass es menschenunwürdig sei, so viele Personen weit ab vom Schuss einzupferchen, eine Integration könne so nicht gelingen. Und Pöbeleien würden einer integrativen Stimmung schaden.

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Franziska Eder und Timan Schöberl moderieren „jetzt red i“. / Foto: MZ

Tilman Schöberl fasste zusammen: Anständige Menschen müssten sich anständig austauschen. Was aber sei zu tun? Könne man nicht leerstehende Hotels akquirieren, fragte der Moderator den Landrat. Das Dilemma sei, dass der Landkreis eben diese Möglichkeit nicht habe, antwortet Olaf von Löwis, das Landratsamt habe die Verpflichtung, die Geflüchteten aufzunehmen und müsse auf eigene Liegenschaften wie Turnhallen zurückgreifen. Um diese wieder ihrem Zweck zuzuführen, müsse die Unterkunft in Warngau gebaut werden. Man müsse die Gemeinden dazu bringen, sich zu beteiligen. Er forderte auch eine Obergrenze für Flüchtlingszahlen.


Aus Hamburg zugeschaltet: CSU-Generalsekretär Martin Huber. / Foto: MZ

Der aus Hamburg zugeschaltete CSU-Generalsekretär Martin Huber stimmte dem zu und forderte die EU-Außengrenzen zu schützen und Flüchtlinge zurückzuweisen. „Das Recht auf Asyl bedeute nicht Asyl in Deutschland“, betonte er und kritisierte, dass die Ampelmaßnahmen unzureichend seien. Die vorherige Regierung habe aber dazu auch nichts beigetragen, kommentierte Tilman Schöberl.

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Tilman Schöberl und Carmen Wegge. / Foto: MZ

Der Aussage des CSU-Generalsekretärs widersprach die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge. Das Recht auf Asyl sei die Pflicht zu helfen. Die Zahlen der Flüchtlinge seien in diesem Jahr bereits deutlich zurückgegangen. Völkerrechtswidriges Zurückweisen an der Grenze lehne die SPD ab. Auch sie bevorzuge eine dezentrale Unterbringung.

Aus Rott am Inn kam vom dortigen Bürgermeister die Frage an die Bayerische Staatsregierung, warum es nicht eine paritätische Regelung gebe, nach der das Ungleichgewicht beseitigt werde. Eine Regel also, die alle Kommunen zwinge, Unterkünfte zu schaffen, meinte Tilman Schöberl.


Landrat Olaf von Löwis bei seinem Redebeitrag. / Foto: MZ

Es sei menschenunwürdig, so wie in Rott am Inn geplant, sagte ein Redner, sechs traumatisierte Personen auf 11 Quadratmeter zu pferchen. Dann dürfe man sich nicht wundern, wenn sie aggressiv würden.

Miesbachs Bürgermeister Gerhard Braunmiller hob einerseits die Belastung der Kommune durch Flüchtende hervor und forderte eine Begrenzung des Zustromes und betonte aber auch die Unterstützung durch Helferkreise und Integrationsbeauftragte. Aber: „Die Stabilität der Kommune ist die Stabilität der Gesellschaft.“

Ein wichtiges Thema für die Integration, so zitierte Franziska Eder aktuelle Stimmen aus dem Netz, seien Sprache, Arbeit und Wohnraum. Ob man nicht auch zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten könne. Lohnarbeit sei prinzipiell vorzuziehen und deshalb würden auch alle Arbeitsverbote fallen, sagte Carmen Wegge.


Ein Geflüchteter aus Afghanistan berichtet von gelungener Integration. / Foto: MZ

Wo könne man denn Menschen nach drei Monaten einsetzen, die die Sprache noch nicht beherrschen, kam eine Frage aus dem Publikum. Gebe es zu wenig Geld für Sprachkurse, adressierte Tilman Schöberl an Carmen Wegge, die Probleme einräumte, aber darauf hinwies, dass Zivilgesellschaft und Unternehmen zusammenhelfen.

Kritische Stimmen aus dem Publikum thematisierten die Überbelastung mit fehlender Infrastruktur, die zu Unmut in der Bevölkerung führten und den linken und rechten Randparteien Wähler zuführten. Der AfD-Kreisvorsitzende behauptete, dass die CSU jetzt die Positionen der AfD übernehme. Dem allerdings widersprach Martin Huber, es werde keine Zusammenarbeit CSU und AfD geben, die CSU habe schon immer für Rückführung und Zurückweisung an den Grenzen plädiert.

Brauche man für die vielen Probleme im Land einen Sündenbock, fragte Tilman Schöberl und ein junger Nachwuchspolitiker betonte, dass die Flüchtlinge wohl die Probleme verschärfen und die Kommunen allein gelassen werden. Eine Zurückweisung an den Grenzen aber sei rechtswidrig.

Positive Stimmen zur Integration im Landkreis Miesbach gab es sowohl von Sozialverbänden Caritas und AWO als auch von Geflüchteten selbst, die sich mittels Sprache und Arbeit integriert fühlen. „Die Flüchtlinge wollen sich integrieren“, sagte ein aus Afghanistan Geflüchteter. Ohne Geflüchtete, so hieß es, könnte man die Altenheime schließen, denn 50 Prozent des Personals habe Migrationshintergrund. Wichtig aber sei eine finanzielle Unterstützung, insbesondere bei Sprachkursen. „Im Sinne der Menschlichkeit müssen wir es schaffen“, sagte die Vertreterin der Caritas und hob die Arbeit der Ehrenamtlichen hervor.


Fritz Polifka und die Ukrainerin Yuliia Usikova. / Foto: MZ

Angela Mai ist seit 2011 aktiv in einem Helferkreis tätig. Sie sei entsetzt von der negativen und destruktiven Stimmung und Forderung nach Zurückweisung an der Grenze und betonte die Chancen der Zuwanderung.

Auch Fritz Polifka aus Schliersee, der insbesondere Ukraine-Flüchtlinge betreut, äußerte sich enttäuscht. Offensichtlich sei nicht der Wille da, sachlich über kleinere Einheiten zu diskutieren, einen Schlüssel für die Kommunen festzulegen. „Es sind noch nicht alle Lösungen ausgeschöpft“, sagte er. Die Ukrainerin Yuliia Usikova erzählt, dass sie sich in Schliersee aufgehoben fühlt.

Das letzte Wort hatte der Landrat. „Die Bauarbeiten in Warngau haben begonnen, es gibt keine Alternative“, aber die Unterkunft sei auf zwei Jahre begrenzt. Nach dem Abschalten der kameras und Mikrofone gab es noch lange Diskussionen.


Nach der Sendung: Der Landrat im Gespräch. / Foto: Isabella Krobisch

In der ARD-BR-Mediatheik ist „jetzt red i“ abrufbar.

Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Online-Magazin KulturVision am 20.09.2024 | Ein Beitrag von Monika Ziegler.

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