Was hilft es, sich in einem Job zu verbiegen, den man nicht mag, und sich jeden Morgen zur Arbeit zu quälen, weil es sicher ist? Nichts!, findet Andreas Eller und hat seine Konsequenzen gezogen. Er zog los: Am Anfang mit Frau und Wohnmobil durch den amerikanischen Kontinent. Seit 2011 ist der ehemalige Tegernseer zu Fuß unterwegs: zuerst durch Kanada und vor Kurzem auch in Deutschland.
Einige Jahre lang hatte Andreas Eller in einem kleinen Architekturbüro in Tegernsee gearbeitet. Hier lernte er seine Frau kennen. Schöne Zeiten seien das gewesen. Doch als Architekt arbeiten will er heute nicht mehr: zu viel Verantwortung für zu wenig Bezahlung und Anerkennung, sagt er. Deshalb stieg Eller aus.
Tegernseer Stimme: Sie sind eigentlich Architekt. Seit fast zehn Jahren verdienen Sie Geld damit, zu reisen und Fotovorträge darüber zu halten. Wie kamen Sie dazu?
Andreas Eller: Ich bin immer viel gereist, schon im Teenageralter, und habe auch früher schon Vorträge gehalten. Meine Frau und ich sind dann 2003 zu einer größeren Reise aufgebrochen. Die ging von Alaska nach Feuerland mit dem Wohnmobil. Das dauerte fast zwei Jahre. Als wir von der Reise zurückgekommen sind, habe ich beschlossen, nur noch Fotovorträge zu machen.
Tegernseer Stimme: Wie lief das von da ab weiter?
Eller: Zuerst habe ich einen Vortrag über diese Reise gemacht. Dann weitere Vorträge – beispielsweise über meine Reisen nach Nepal und darin die Fluchtrouten der Tibeter dargestellt.
Tegernseer Stimme: Auf diesen Reisen waren Sie hauptsächlich mit motorisierten Fahrzeugen unterwegs. Durch Kanada sind Sie gelaufen. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Eller: Eine Reise zu Fuß zu gehen, hatte ich schon längere Zeit vor. Im Jahr 2011 hab ich beschlossen, auf dem Dempster Highway von Dawson nach Inuvik zu laufen.
Tegernseer Stimme: Welche Vorteile bietet der Fußmarsch?
Eller: Je langsamer man sich fortbewegt, desto mehr nimmt man von seiner Umwelt wahr, und desto mehr davon kann man auch im Kopf verarbeiten. Da ist man dann bei jedem Meter voll dabei.
“Man darf keinen Fehler machen”
Tegernseer Stimme: Dempster Highway klingt nach einer viel befahrenen Asphaltstraße, also gefährlich. Wie lief Ihr Marsch ab?
Eller: Das ist eine nicht asphaltierte Schotterstraße, auf der kaum Autos unterwegs sind. In Kanada heißt jede Straße, die eine Nummer hat, “Highway”. Das ist totale Wildnis. Man musste sich vor den Wildtieren in Acht nehmen.
Tegernseer Stimme: Welchen sind Sie begegnet, und worauf mussten Sie sich da einstellen?
Eller: Zum Beispiel ist mal ein Grizzly an meinem Zelt vorbeigelaufen. Da darf man keinen Fehler machen. Man darf sie nicht erschrecken und nicht anlocken. Elche werden gerne unterschätzt: Wenn eine Elchkuh Junge hat, kommt es häufiger zu Unfällen mit ihnen. Von den Menschen, denen ich dort begegnet bin, habe ich auch gehört, dass sich Wölfe in meiner Nähe aufgehalten haben.
Tegernseer Stimme: Wie verlief die Reise sonst? Sie waren immerhin 30 Tage unterwegs.
Eller: Ich hatte ursprünglich mit 40 Tagen geplant. Aber habe dann Gas gegeben, weil ich Probleme mit dem Wagen bekommen habe, auf dem ich meinen Proviant für die Zeit mitgenommen habe. Und mir hat die Einsamkeit sehr zu schaffen gemacht. Es kann schon heftig sein, mit sich selbst allein zu sein.
Tegernseer Stimme: Was hat diese Einsamkeit mit Ihnen gemacht?
Eller: Man fängt mit dem Philosophieren an und nimmt sich als ganz normale Person wahr. Wenn man dann niemanden zum Reden hat, redet man halt mit sich selbst. Ich habe zum Beispiel gesagt: “So, dann baue ich jetzt mal das Zelt auf.” Irgendwann muss man was zu jemandem sagen. Deshalb habe ich jetzt auch meine Hündin Tinka. Sie kann ich den ganzen Tag vollquatschen.
Tegernseer Stimme: Sie sind sehr viel gereist, haben viel von der Welt gesehen. Vor drei Wochen sind Sie von einem Fußmarsch von Schwäbisch Hall nach Sylt zurückgekommen. Was ist das Wichtigste bei der Vorbereitung solcher Touren?
Eller: Ein Ziel zu haben und nach Hause zu kommen, ist sehr wichtig. Man nimmt auf solchen Reisen so viel auf. Das muss man auch irgendwann verarbeiten, sonst ist man gar nicht mehr richtig dabei.
“Ich habe mich mit meinem Beruf nicht mehr identifiziert”
Tegernseer Stimme: Was hat Sie damals dazu gebracht, das “normale” Leben aufzugeben?
Eller: Meine Frau und ich hatten schon länger eine große Reise vor. Wir haben unsere Jobs gekündigt, waren fast zwei Jahre unterwegs. Als wir zurückgekommen sind, habe ich nachgedacht, wo ich weitermachen soll. Mit dem Beruf des Architekten habe ich mich nicht mehr identifizieren können. Mir macht es mehr Spaß, abends auf der Bühne zu stehen und über meine Reisen zu berichten.
Tegernseer Stimme: Wie haben Ihre Familie und Ihre Freunde auf diese Entscheidung reagiert?
Eller: Die kennen mich ja. Die meisten haben mich bewundert, dass ich das mache. Das trauen sich aber nur wenige.
Tegernseer Stimme: Häufig ist man auch sehr in sein Leben eingebunden. Wie ist das bei Ihnen?
Eller: Wir haben keine Kinder und hatten damals kein Haus, das wir abbezahlen mussten. Das bringt auch viel Unabhängigkeit: Job kündigen, Auto kaufen, losfahren.
“Ich bin nicht der Typ, der sich für den Beruf verbiegt
Tegernseer Stimme: Welche finanziellen Einschnitte hat die Entscheidung für Sie bedeutet?
Eller: Ich verdiene schon weniger. Aber was hilft es mir, wenn ich morgens aufstehe und einen Job machen muss, mit dem ich mich nicht identifizieren kann, oder in dem man mit den Kollegen nicht klarkommt. Ich arbeite da lieber für mich selbst, auch wenn das mehr Arbeit bedeutet: Ich konzipiere die Vorträge selbst und mache Werbung, um die Säle voll zu kriegen.
Tegernseer Stimme: War es damals Ihre berufliche Situation, die Sie zu dieser Entscheidung geführt hat?
Eller: Ich habe in Stuttgart für eine Bank in der Immobilienbewertung gearbeitet. Man kann sich ja vorstellen, wenn ich die Vorträge halte, dass ich nicht der Typ bin, der jeden Tag mit Krawatte in die Bank geht. Da müsste ich mich schon sehr verbiegen. Dieser getaktete Tagesablauf liegt mir einfach nicht. Das könnte ich auch gar nicht mehr machen. Ich hab mich da schon zu sehr an meine Freiheit gewöhnt.
Tegernseer Stimme: Wie kam es dann dazu, dass Sie und Ihre Frau diesen Bruch konkret vollzogen haben?
Eller: Man sagt ja immer: Das machen wir, wenn wir mal alt sind. Das ist aber eigentlich totaler Quatsch. Sinnvoller ist es, das zu machen, wenn man fit und jung ist. Und man kann von so einer Reise auch sein ganzes Leben lang profitieren.
Tegernseer Stimme: Haben Sie die Entscheidung, auszusteigen, jemals bereut?
Eller: Nie.
Tegernseer Stimme: Wie viele Gedanken haben Sie sich darüber gemacht, was nach der Reise aus Ihnen werden wird?
Eller: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir darüber noch nie große Gedanken gemacht habe. Ich bin auch optimistisch und denke, dass man mit irgendwas immer Geld verdienen kann. Und nach der Reise hat das mit den Vorträgen ganz gut geklappt – in letzter Zeit kommen etwas weniger Besucher. Aber hundertprozentige Sicherheit gibt’s ja auch bei der Bank nicht.
Tegernseer Stimme: Wie lange wollen Sie noch weiter wandern? Wo soll es noch hingehen?
Eller: Solange ich fit bin und laufen kann, mache ich meine Wanderungen. Für das nächste Ziel habe ich noch keine konkreten Ideen. Mich würde aber das Nordkap interessieren: also von Sylt bis ans Polarmeer. Das sind aber erst mal nur Ideen, nichts Konkretes.
Wer Andreas Eller persönlich erleben will, der hat am 30.12. in Kreuth die Möglichkeit. Der Abenteurer erzählt in einer digitalen Multimedia-Projektion live von seiner langen Wanderung durch Kanada. Um 20 Uhr geht in der Tourist-Information in Kreuth los. Karten für 12 Euro gibt es an der Abendkasse.
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