Max Wolf ist von Anfang an sowohl Biberbeauftragter des Landkreises Miesbach als auch vom Bund Naturschutz und gleichzeitig Experte für die braunen Pelztiere, die seit 2006 in der Gegend um Thalham angesiedelt wurden. Bevor wir uns jedoch in die Büsche schlagen, ist Grundlagenwissen angesagt. Als Lehrobjekt hat Experte Wolf ein ausgestopftes Prachtexemplar dieser Nager-Spezies mitgebracht. Es steht im Kofferraum seines Wagens.
Das erste, was uns auffällt, sind die orangefarbenen Zähne. Zwei oben, zwei unten und alle in dieser faszinierend leuchtenden Farbe. Sie blitzen riesig aus einem haarigen Gesicht mit kleinen braunen Knopfaugen. Dazu jede Menge brauner Pelz. „Und das ist das Handy des Bibers.“ Gemeint ist der Schwanz des Tieres, die flache, zirka 35 cm lange Kelle. „Immer, wenn Gefahr droht, klatscht das Tier damit aufs Wasser und warnt seine Familie“, erklärt uns Wolf.
Genauso genial wie sein Hinterteil sind die Zähne, eben jene orangenen Dinger, mit denen Meister Biber Bäume niederstreckt. „Die Zähne sind eisenhaltig“, sagt uns der Experte. Dadurch die Härte. Der Mann ist ein wahres Biberlexikon. „Ein ausgewachsenes Tier kann bis 28 Kilogramm schwer werden.“ „Außerdem hört der Biber sehr gut und sieht seine Umwelt nur in Grautönen. Bis zu fünf Minuten kann ein Tier unter Wasser bleiben, wenn es sein muss auch wesentlich länger.“
Der Biber liebt Baumrinde
„Wann sehen wir denn endlich einen?“, ruft ein Junge aus der Truppe. Ja, genau. Er spricht aus, was ich mir gerade denke. Es ist elf Uhr. Wir brechen auf, am Bahnübergang Gotzing in Richtung Mangfall. Der Weg ist breit und gut ausgebaut. Am Wochenende nutzen ihn Münchner gerne für eine Rad- oder Wandertour. Vor mir laufen Kinder und lachen. Ihre Rucksäcke mit Proviant baumeln hin und her.
Biberfachmann Wolf ist mit einem besonderen Wanderstock unterwegs. Eine von Biberzähnen fein-säuberlich geschälte Weide. Bei einem Kunstwerk des Valleyer Bildhauers Karl Schwalbach verlassen wir den Weg. Unter den Füßen knacksen Äste.
Der Boden wird feuchter. Automatisch verlangsamt sich unser Gehtempo. Biberland ist nicht mehr weit. Ich steige über einen ersten gefällten Baum. Drei, vier weitere folgen. „Wa, schaut mal.“ Die Kinder haben einen Stumpf entdeckt.
Wie eine überdimensionale Bleistiftspitze ragt das Baumende aus dem Boden. Max Wolf hat den Kiefer eines Bibers mitgebracht. Aferdita, ein Mädchen aus der Gruppe, meint dazu: “Muss man auf die Hand aufpassen. Wenn der Biber beisst, ist sie weg.”
Das Tier liebt Baumrinde. Vornehmlich Erle und Weide. Um an die Leckereien zu kommen, wird der Baum mit Zahnhieben gefällt. Störende Äste entfernt und anschließend geschält. Auf dem Speiseplan des Vegetariers stehen bis zu 300 verschiedene Pflanzensorten. Wolf streicht mit seinen Fingern über mehrere Stellen eines geschälten Baums und stellt fest: „Hier war eine ganze Familie dran. Im Alter werden die Schneidezähne der Tiere breiter.“ Aha, also stehen wir mitten am Esstisch von Biber-Eltern mit ihren Teenagern.
“Der Biber wird geduldet”
„Machen wir auch mal Brotzeit?“, fragt ein Kind. Wir gehen weiter. Dem Wasser entgegen. Der Boden wird sandiger und nasser. Inzwischen ist es so warm wie im Sommer. Es riecht nach Kräutern und Pflanzen. Innerhalb von Minuten sind wir in einer völlig neuen Landschaft. Unser Tourenführer erklärt: „Jetzt ist es Zeit, ruhig zu sein.“ Eine Urlandschaft. Knorrige, alte Bäume liegen über kristallklarem Wasser, in dem hie und da Fische sich sonnen. Ausläufer der Mangfall. Ein Schmetterling schaukelt über dem Wasser. Gräser, die mir teilweise bis zum Nabel reichen.
Wir sind jetzt alle mucksmäuschen still. Gehen hintereinander. „Ja, da ist er.“ Ich bin begeistert. Vor uns ein echter Biberdamm. Und wo ist der Biber? „Der hat uns schon lange gehört“, sagt Max Wolf mit leiser Stimme. Ein Mädchen quietscht. Sie ist mit einem Fuß in die feuchte Erde eingesunken. Der Biberbeauftragte schmunzelt. Ich deute seinen Blick. Leider werden wir heute keinen Biber mehr sehen.
Wolf entdeckt einen alten Baum und geht auf ihn zu. Er zeigt uns Einkerbungen auf der Oberfläche. „Hier hat der Specht gearbeitet. So ein Baum muss stehen bleiben. Der Biber hat hier im Auenwald ein eigenes Ökosystem geschaffen.“ Biberdamm, liegengebliebene Baumstämme, selbst Biber-Totholz bieten Kost und Logis für Kleinsäuger, seltene Vogelarten und Insekten. Hunderte weitere gefährdete Tiere und Pflanzen, vom Eisvogel über den Laubfrosch bis hin zum Schwarzstorch, profitieren von der Rückkehr des Burgherren. Biber-Reviere gehören zu den artenreichsten Biotopen.
Ab hier kehren wir um, gehen an der Mangfall zurück. Plötzlich eine Schleifspur. „Die ist noch aktiv. Hier holt der Biber Baumstämme vom anderen Ufer und zieht sie in den Auenwald“, sagt Wolf. „Ich habe Hunger“, mault ein Kind hinter mir. Fast zwei Stunden sind wir bereits unterwegs. Inzwischen sind auch meine Socken nass. Eine Viertelstunde später wird der Boden fester.
Ich möchte von Wolf wissen, ob das Tier inzwischen in der Bevölkerung akzeptiert werde. „Er wird geduldet“, bekomme ich als Antwort. Bei vielen herrsche noch Unwissenheit. Wenn ganze Generationen keine Erfahrung mit dem Tier haben, seien auch viele Vorurteile vorhanden. Inzwischen gebe es 20 Biber-Reviere im Landkreis. Wir sind zurück an den Autos. Alle sind wir jetzt Nager-Experten mit nassen Füssen. Vor allem einen Satz nehme ich von der Tour mit nach Hause: „Der Biber ist ein Architekt der Artenvielfalt.“
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