Karl kam ins Domicilium, um zu meditieren. Das Anwesen über dem Mangfalltal gefiel ihm so gut, dass er beschloss, hier zu sterben. Denn Karl hatte Krebs und wusste, dass er bald nicht mehr am Leben sein würde. Das war 1998.
Helena Snela, die Leiterin des Seminar- und Meditationshauses, bekam erst einmal „einen großen Schreck“, wie sie zugibt. Doch Karl gab nicht auf, und schließlich ließen sich Helena und ihr Mann Bogdan Snela überzeugen. Karl baute eine Holzhütte auf dem Gelände, in der er noch ein halbes Jahr lebte. Betreut wurde er vom Roten Kreuz, die Sterbebegleitung übernahmen das Ehepaar Snela und andere Meditationsgäste.
Angst nehmen – Lust am Leben schenken
„Wenn wir so einem Menschen am Ende seines Lebens die Angst nehmen, dann wollen wir das auch für andere machen“, beschlossen die beiden Initiatoren und Leiter der Stiftung Domicilium e.V.. Auch andere waren von der Idee, menschenwürdiges Sterben zu unterstützen, angetan. Darunter die Leiterin der Schönheitsfarm Gertraud Gruber. Mit ihrer Stiftung unterstützte sie den Bau eines behindertengerechten und barrierefreien Hospizgebäudes.
Seit 2004 können Menschen, die wissen, dass sie unheilbar krank sind, hier Zuflucht finden. Acht Zimmer gibt es. Manche leben mehrere Monate hier, andere kommen erst in der letzten Phase zum Sterben in das Haus über der Mangfall. Eine Frau wohnt sogar seit der Gründung in dem Hospiz. „Die Gäste kommen zum Sterben, aber sie bekommen im Domicilium Lust am Leben“, formulierte der bekannte Münchner Kabarettist Bruno Jonas.
Seine Worte mögen widersprüchlich klingen. Doch die Psychologin Snela kann diese Erfahrung nur bestätigen. „Ich denke an Sophia*“, berichtet sie, „sie ist hier regelrecht aufgeblüht.“ Sophia war eine Freundin ihres Sohnes und nur 31 Jahre alt. Anfangs sei sie oft bedrückt gewesen, erzählt Sebastian Snela, „aber später stand sie im Regen und jubelte ‚Ich habe alles Altes von mir abgewaschen‘. Sie war in diesem Moment sehr glücklich“. Die junge Frau verbrachte einen Monat in Weyarn. „Sophia hat sogar wieder angefangen zu tanzen“, erinnert sich die Leiterin des Hospizes.
Konflikte klären als wichtigste Aufgabe
Auch das mutet auf den ersten Blick fremd an. Doch Hospizbegleiter machen diese Erfahrung öfter. „Wenn die Sterbenden es schaffen, ihre Konflikte zu lösen, offene Fragen zu stellen und vor allem den Tod zu akzeptieren, können sie in Frieden und Freiheit gehen“, weiß Sebastian Snela. Der junge Mann hat vor kurzem den Vorsitz des Vereins Stiftung Domicilium e.V., der Träger der Hospizgemeinschaft ist, übernommen.
Abschied ist auch ein schwieriges Thema für die Angehörigen. „Bei uns können die Toten hier auf ihrem Zimmer bleiben. Auf Wunsch waschen wir sie. Und wir bereiten eine Abschiedsfeier, manchmal sogar eine Party, für die Angehörigen vor“, sagt Helena Snela, „das ist sehr tiefgehend und persönlich, weil viele Erinnerungen hochkommen“. Wenn das Gefühl entstehe, dass das Sterben für diese Person jetzt okay ist, könne sogar Heiterkeit entstehen.
Versöhnung nach 30 Jahren Trennung
Sie berichtet von einer Mutter, die ihren Sohn 30 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Sie bat die Familie, den Sohn anzurufen. Er war zufällig in der Nähe und kam sofort. Mutter und Sohn haben sich eine halbe Stunde umarmt festgehalten. Zwei Stunden später sei die Frau gestorben. Für die Psychologin, Yoga- und Zen-Lehrerin ist das ein Beispiel für eine gelungene Versöhnung, ohne Worte, ohne Vorwürfe.
Meditation und Hospiz – wie passt das überhaupt zusammen? Meditieren bedeute sich völlig dem Jetzt, dem Hier-Sein zu öffnen, erläutert Sebastian, der durch sein Elternhaus schon als Kind mit Meditationen begonnen hat. Durch das Leben im Moment, das Wahrnehmen des Augenblicks könne die Angst vor dem Tod verfliegen. So wie bei der tanzenden oder im Regen stehenden Sophia.
„Durch die Arbeit mit den Sterbenden habe ich gelernt, die Vergänglichkeit zu akzeptieren und dem Tod mit Gelassenheit und Zuversicht entgegenzugehen“ ergänzt Helena. Sich dem Tod stellen, um kraftvoller zu leben, lautet ihr Credo. Die Kraft dazu nehme sie aus der Meditation. Deshalb gehören die beiden Zweige des Domiciliums für sie so eng zusammen. Sie lässt den Blick über das verschneite Mangfalltal schweifen und deutet auf die Holzhütte von Karl, dem Initiator des heutigen Hospizes: „Schließlich kam Karl ursprünglich um zu meditieren …“
* Name von der Redaktion geändert.
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