Seine Schule ist eine Modellschule nach dem Prinzip „Flexible Grundschule“. Deshalb ist der „Lehrplan plus“, der für die erste Klassenstufe ab September in Kraft tritt, auch keine allzu große Veränderung – eher eine logische Fortführung des bereits beschrittenen Weges.
68 Schüler gehen in die Tegernseer Grundschule. Jedes Mädchen und jeder Junge unter ihnen ist anders. Gut, dass sie in einer „Flexiblen Grundschule” lernen, findet Rektor Peter Walter. Die Förderung der Individualität hat sich jetzt auch der neue Lehrplan auf die Fahnen geschrieben, was dem Konzept von Walters Schule entgegenkommt: „Wir sind schon sehr darauf eingestellt“, sagt der Rektor.
In vier Klassen sind die Kinder in dem altehrwürdigen, gelben Schulhaus untergebracht. Auf dem Stundenplan stehen unter anderem Mathe, Deutsch sowie Heimat- und Sachkunde. In den für Tegernsee besonderen „Kombiklassen“ haben die Schüler die Wahl, ob sie für die erste und zweite Klasse insgesamt zwei oder drei Jahre brauchen wollen.
Wer drei Jahre braucht, gilt dabei nicht als „sitzengeblieben“. Besonders leistungsstarke Schüler haben im Gegenzug die Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen. Im Mittelpunkt steht beim Modell „Flexible Grundschule“ also das Kind: Individuelles und flexibles Lernen ist angesagt.
Schritt für Schritt zum neuen Lehrplan
Bei der Individualität setzt auch der neue Lehrplan an, der sogenannte „Lehrplan plus“. Das Bayerische Kultusministerium hat ihn veröffentlicht, momentan liegt ein vorläufiger Entwurf vor. Bereits im November vergangenen Jahres hatte dazu eine Auftaktveranstaltung stattgefunden. Seitdem laufen Fortbildungen bestimmter Lehrer, die als Multiplikatoren dienen – also sich wiederum um die Fortbildung weiterer Lehrer kümmern.
Dass alle frühzeitig mit ins Boot geholt werden, auch wenn man den kompletten Lehrplan noch nicht einsehen kann, hält Rektor Walter für ausgesprochen hilfreich: „Es ist wichtig, mit den Kollegen über den neuen Unterricht zu reden. Das ist natürlich ganz schön zeitaufwändig, man erzielt aber gute Effekte.“
Der neue Plan wird sukzessive umgesetzt. In einem ersten Schritt soll die erste Grundschulklasse danach lernen. Die Unterlagen für die Mittel- und Wirtschaftsschulen, Realschulen, Gymnasien und die beruflichen Oberschulen sind gerade in Arbeit und treten voraussichtlich schrittweise ab dem Schuljahr 2017/18 in Kraft. Dabei geht es laut neuem Lehrplan vor allem um „Kompetenzorientierung“. Lehrplaninhalte werden dort nicht mehr als „Lernziele“ bezeichnet, sondern als „Kompetenzen“. Das bedeutet, dass den Schülern nicht mehr fertiges Wissen serviert werden soll:
Kompetent ist eine Person, wenn sie bereit ist, neue Aufgaben- oder Problemstellungen zu lösen, und dies auch kann. Hierbei muss sie Wissen beziehungsweise Fähigkeiten erfolgreich abrufen, vor dem Hintergrund von Werthaltungen reflektieren sowie verantwortlich einsetzen.
Was beim Staatsinstitut für Schulqualität eher kryptisch formuliert ist, heißt schlichtweg, dass in der Schule zukünftig nicht nur mehr Wissen gepaukt werden soll, sondern dass sich die Schüler selbst die Werkzeuge erarbeiten sollen, die sie brauchen, um auch Problemstellungen aus dem „echten Leben“ selbstständig lösen zu können. Kompetent ist also der Schüler, der selber denken kann, und zwar auch mal um die Ecke.
Wissen anwenden
Dieses neue Unterrichtsverständnis schlägt sich in sechs Merkmalen nieder. Die „kognitive Aktivierung“ zielt darauf ab, dass Schüler einerseits an ihr Vorwissen anknüpfen und andererseits ihre eigenen Ideen einbringen und erklären können. Sie können so das neu Gelernte mit vorhandenem Wissen und Können vernetzen. Zudem wird dann ein „intelligentes Üben“ erst möglich. Gemeinsam mit dem Lehrer sucht man sich geeignete Anwendungsmöglichkeiten im Alltag. So soll im Laufe der Schullaufbahn erreicht werden, dass Wissen erlangt und auch angewendet wird.
Walter ist überzeugt vom neuen Lehrplan. Dort werde mehr Wert auf Selbständigkeit gelegt. Aber auch ruhigere Kinder werden berücksichtigt. Die Schüler können für sich oder nach kooperativen Lernformen arbeiten und sich so in die Gruppe einfügen: „Jedes Kind kann seine Rolle finden.“
Auch beim Übertritt von der Grundschule auf weiterführende Schulen soll der neue Lehrplan helfen. Gerade die vierte Grundschulklassenstufe mit etwa 20 Tests von September bis April und der große Leistungsdruck in dieser sogenannten „Übertrittsklasse“ stellt für viele Schüler eine große Herausforderung dar. Wenn es nach dem neuen Plan geht, sollen die Kinder von Anfang an besser auf ihre Schullaufbahn vorbereitet werden.
Herausforderungen des neuen Lehrplans
Dazu soll das Lehrplankonzept die oft harten Übergänge zwischen den Schularten abfedern. Wie dies genau gelingen soll, steht jedoch noch nicht fest. Am Lehrplan wird eben noch gearbeitet. Eine weitere Herausforderung, die es zu stemmen gilt, dürfte die Notengebung im Fall des gelehrten Kompetenzsystems sein. Wie sich hier die Vergabe von Noten durch die Lehrer verändern wird, kann auch Rektor Peter Walter noch nicht sagen.
Der Schulleiter ist generell jedoch der Meinung, seine Schule samt Lehrern sei auf den neuen Lehrplan gut vorbereitet. Es gab Fortbildungen für die Lehrer, auch sind schon etliche Postsendungen mit neuen Schulbüchern in Tegernsee eingetroffen. Bei der Auswahl will er auch das Kollegium mitentscheiden lassen. Denn gute Lernaufgaben und vorbereitende Hausaufgaben stellen wichtige Grundprinzipien des neuen Lehrplans dar.
Und was heißt das konkret?
Damit man sich einen Eindruck verschaffen kann, was der neue Lehrplan genau bedeutet, haben wir zwei Beispiele zusammengetragen. So kommt es gerade beim Lesenlernen darauf an, dass die Lehrer gezielt nachfragen, was die Schüler verstanden haben und was nicht. Ebenso geht es darum, dass man in der Gruppe über das Lernen spricht, das Lernen also selbst zum Thema gemacht wird, das reflektiert wird. Um die Lesemotivation und den eigenen Antrieb bei den Kindern zu stärken, kann z.B. ein sogenanntes „Lesetagebuch“ angelegt werden, in das die Schüler nachmittags zu Hause eintragen, wie lange sie gelesen haben.
Am nächsten Tag in der Schule wird dann abgefragt: „Wie lange habe ich gelesen?“, „Was habe ich gelernt?“ oder „Was will ich lernen?“ Auch die Bildung von kooperativen Gruppen wird angestrebt. Ein starker Schüler kann z.B. gemeinsam mit einem schwachen Schüler einen Text im Wechsel lesen. Das Lesetempo überprüfen sie dabei selbst.
Auch beim Schreiben kommt es zukünftig stärker darauf an, Texte zu planen und zu schreiben. Eine kleine „Erzählmaus“, abgedruckt in Büchern und Arbeitsheften, dient als „Roter Faden“ und Hilfskonstrukt. Was auch gut bei Kindern ankommt, sind regelmäßig wiederkehrende Aufgaben. Etwa „Unser Satz der Woche“, in dem alle Wortarten und Zeiten vorkommen, wie zum Beispiel: „Melanie schnitt am Abend vorsichtig mit dem Messer der Köchin in der Küche das Brot ab.“
Je theoretischer das Thema, desto mehr Bezug zum Lebensalltag der Kinder wünscht sich der neue Lehrplan. Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man sich ansieht, wie die Schüler zukünftig Mathe lernen sollen: Will man beispielsweise als Lehrer den Schülern die Subtraktion erklären, so könnte man einen Ball und einige Plastikflaschen ins Klassenzimmer mitnehmen. Gemeinsam werden die Flaschen umgekegelt. So findet jeder schnell die Einsicht, dass die Kegel weniger werden, wenn man sie „abzieht“.
Eine beliebte Übung in Mathe ist die auf dem unten stehenden Bild, bei der die sogenannte „Knabbervariante“ dargestellt ist. Es geht dabei um Formen, die, wenn man sie ausschneidet, in unendlicher Reihe aneinandergereiht werden können. Schnell können die Kinder so ins Thema „Formen“ eingeführt werden. Der Bezug zur Wirklichkeit erfolgt über den Vergleich mit „echten Formen“, die sich für die Knabbervariante eignen könnten, wie etwa Dachziegel.
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