Vor der gestrigen Sondersitzung im Holzkirchner Gemeinderat herrschte unter den Anwesenden gute Stimmung. Man könnte fast sagen: Aufbruchsstimmung. Die Politiker der Marktgemeinde erhoffen sich viel von der Verkehrsanalyse aus dem Hause Kaulen. Dabei waren die zwei Experten Ralf Kaulen vom gleichnamigen Münchner Planungsbüro und sein Kollege Matthias Reintjes gestern Abend auch nach Holzkirchen gekommen, um Tacheles zu reden über den Verkehr in der Marktgemeinde.
Während Reintjes kein einziges Wort sprach, ging Ralf Kaulen systematisch und ohne Unterbrechung die neuralgischen Punkte. Und tatsächlich hielt er sich während seines einstündigen Vortrags mit Kritik an der derzeitigen Lage nicht zurück. Der Grundton: Da geht noch was. Und zwar deutlich.
Unfallschwerpunkt Münchner Straße
Zwar lobte Kaulen die „hohe Angebotsqualität“ des öffentlichen Verkehrs. Durch S-Bahn, BOB und Meridian gebe es eine vergleichsweise gute Taktung. Doch durch die uneinheitlichen Info-Systeme hätten Bahnfahrer nur einen „schlechten Überblick“, so der Verkehrsexperte. Problematisch sei jedoch vor allem die Lage auf den Straßen der Marktgemeinde.
Im vergangenen Jahr hat es laut dem Verkehrsexperten 325 Unfälle in Holzkirchen gegeben. Der Schwerpunkt liegt dabei entlang der Münchner Straße. Sie ist eine von drei Hauptachsen, die am Marktplatz zusammentreffen. Wie Kaulen berichtet, fließt dort täglich eine Blechlawine von tausenden PKW hindurch. Denn der Gesamtverkehr besteht zu 80 bis 90 Prozent aus Kraftfahrzeugen.
Der Anteil des Schwerlastverkehrs liege dagegen nur zwischen 1,4 und 4,2 Prozent – vergleichsweise gering, so Kaulens Einschätzung. Eine Analyse von Mitte Juni ergab für die Tegernseer Straße eine durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (DTV) von 13.800 Fahrzeugen. Bei der Münchner Straße liege die Größenordnung bei etwa 13.000. Die Tölzer Straße wird von rund 13.700 Fahrzeugen befahren.
Welchen Teil des Verkehrs kann man beeinflussen?
Auch Quelle und Ziel des Verkehrs konnten die Verkehrsbeobachter ermitteln: Der Analyse zufolge besteht dieser zu 34 Prozent aus sogenanntem „Zielverkehr“ – also Menschen aus dem Umland, die nach Holzkirchen kommen. „Die kennen wir“, meint Kaulen. Von diesen Fahrzeugen kommt der größte Teil mit 12,4 Prozent aus Großhartpenning. Die Ortschaft wurde aufgrund ihrer Entfernung extra gerechnet. Platz zwei belegen die Tölzer mit elf Prozent.
Die übrigen 66 Prozent des Gesamtverkehrs fallen zu etwa gleichen Teilen auf Quellverkehr, Binnenverkehr („die beiden sind wir“, sagt Kaulen) und Durchgangsverkehr. Immerhin habe sich der Verkehr seit 2010 vom Ortszentrum leicht auf die Nordumfahrung verlagert.
Kritik gab es von Kaulen aber am Holzkirchner Bussystem. Es habe „eine niedrige Angebotsqualität, spontane Fahrten sind unmöglich.“ Auch Radfahrer hätten auf den Straßen der Gemeinde oft das Nachsehen:
Die Radverkehrsführung am Knotenpunkt ist lebensgefährlich. Radler nutzen die Gehwege aus Angst vor dem Kfz-Verkehr. Das wiederum geht zu Lasten der Fußgänger.
Daher sieht Ralf Kaulen akuten Handlungsbedarf. „Es gibt teils erhebliche Sicherheitsdefizite, und der Bahnhof ist als Drehscheibe des Verkehrs nur von bedingter Qualität.“ Aber zwei Drittel des Verkehrs können durch die richtigen Rahmenbedingungen beeinflusst werden – „dass der Bürger sich ändern kann.“ Dazu gehört auch der öffentliche Nahverkehr, der laut Gemeinderat Christoph Schmid “bis auf eine Linie hauptsächlich warme Luft durch die Gegend fährt.”
Für eigene, ganzheitliche Planungen sei die Marktgemeinde aber schlicht zu klein. Man müsse mit benachbarten Landkreisen und übergeordneten Behörden kooperieren.
Verkehrsanalyse als “kleine Watschn für Holzkirchen”
Bürgermeister Olaf von Löwis stimmte Kaulen zu und lobte ihn für seine Präsentation: „Sie haben alle gefesselt mit den Informationen.“ Für die Zukunft habe der Holzkirchner Gemeinderat, so Löwis weiter, eine deutliche Senkung des Kfz-Verkehrs im Blick.
Dafür erklärte Kaulen, müsse es machbar sein, den Fußgänger- und Fahrradverkehr in den kommenden Jahren um je 15 Prozent zu steigern. Wolfgang Buntz-Jennerwein von den Freien Wählern war das zu wenig: „Es müsste mehr rauskommen aus der Geschichte.“ Doch Kathrin Simmel von der SPD wies darauf hin, dass die Umsetzung eines durchdachten Verkehrskonzepts „relativ viel Geld kosten“ würde. Sie habe die Ergebnisse der Analyse aber als “kleine Watschn für Holzkirchen” empfunden.
Im Frühjahr 2016 soll endlich das Gesamtkonzept stehen. Im nächsten Sommer könne dann die breite Planung beginnen, schätzt Kaulen. Bürgermeister von Löwis weiß, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist: „Wir stehen lange noch nicht da, wo wir hinwollen.“ Ein weiterer Schritt wird das Bürgergutachten sein, das bis zum Anfang des nächsten Jahres unter Aufsicht von Hilmar Sturm erstellt wird.
Auch die Architektin und Stadtplanerin Manuela Skorka wird weiter dabei sein. Noch heute Abend kommt der Runde Tisch Verkehr, der auf einen überforderten Gemeinderat zurückgeht, zu einem zweiten Treffen in Holzkirchen zusammen. Dann wird es auch um die Lösungsvorschläge gehen, die Kaulen angedeutet hat. Vor allem Verkehrsvermeidung und ein Umdenken bei der Verkehrsmittelwahl stehen auf der Agenda. Hängen bleiben dürfte vor allem diese Aussage Kaulens:
Bei Mobilität kann man nicht erziehen. Sie muss Spaß machen.
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