Die Schule im Dorf lassen

Gibt es eine Schule, in der die Kinder morgens noch mit Handschlag begrüßt werden und ein ganzer Schulvormittag dazu verwendet wird, ein Insektenhotel zu bauen? Ja, die gibt es. In der Grundschule Wall ticken die Uhren scheinbar ein bisschen langsamer, als in der übrigen Welt – und das hat seine guten Gründe. 

Die Waller Grundschule besteht seit über 100 Jahren/Quelle: K.Fitz
Die Waller Grundschule besteht seit über 100 Jahren/Quelle: K.Fitz

Das große Schulhaus liegt eingebettet zwischen Kirchturm, Dorfwirtshaus und Bauernwiesen im idyllischen Örtchen Wall. Wenn auf dem Friedhof nebenan eine Beerdigung stattfindet, spielen die Kinder ein bisschen leiser auf dem Pausenhof Fangermandl. Hier wird noch Rücksicht aufeinander genommen. Die Eltern sind engagiert und der Austausch zwischen Lehrern und Eltern ist rege. Eine richtige Schulfamilie eben.

Und daran hat sich in den letzten 100 Jahren auch nicht viel geändert. Ganze Generationen von Kindern sind in den vergangenen Jahrzehnten die knarzenden Stufen der Holztreppen hinauf- und hinabgetrampelt, das Fliesenmosaik auf dem Schulflur hat von Holzpantoffeln bis Hightech-Sneakers schon viele Modetrends kommen und gehen sehen.

Anzeige

Eine Lehrkraft unterrichtet zwei Klassen gleichzeitig

Die Waller Dorfschule ist eine Zwergschule – etwas salopp formuliert. Rund 50 Kinder besuchen in diesem Schuljahr die erste bis vierte Grundschulklasse. Betreut und unterrichtet werden sie von zwei Klassenlehrerinnen, zwei Fachlehrkräften für Handarbeit und Religion, einer Lehramtsanwärterin, die unter anderem das Fach Kunst übernommen hat, und einem Lehrer der Grundschule Warngau. Dieser ist dort jedoch nur einmal pro Woche im Einsatz.

Das besondere an der Grundschule Wall ist aber nicht nur das alte Schulhaus und die kleine Schulfamilie. Der Unterricht findet in so genannten „Kombi-Klassen“ statt. Zwei Klassen werden jeweils zugleich von einer Lehrkraft unterrichtet. Wie funktioniert das?

„Da steckt viel Organisation dahinter“, versucht Klassenlehrerin und stellvertretende Schulleiterin Antonia Goltsche das Unterrichtssystem zu erklären. „Wir trennen im Unterricht nicht strikt nach Jahrgangsstufen, sondern eher nach Können.“ Im Klartext heißt das : Die Kleinen lernen von den Großen und umgekehrt. Besonders im Fach Deutsch funktioniere das sehr gut.

Deutsch baut sich wie eine Spirale auf, da wird Neues gelernt aber auch immer wieder Altes wiederholt. Je nachdem, wie fit die Kinder sind, lernen sie auf ihrem persönlichen Leistungsniveau.

Natürlich gibt es auch Differenzierungsstunden, also Unterricht, in dem die Klassen getrennt sind. Vor allem in der Mathematik ist das notwendig. „Die Viertklässler rechnen ja schon im Zahlenraum bis zur Million“, erläutert Antonia Goltsche.

So sinnvoll der kombinierte Unterricht in den ersten beiden Schuljahren sein mag, so holprig gestaltet er sich manchmal in den Klassen drei und vier. Der Übertritt auf eine weiterführende Schule verlangt auch den Schülern einer kleinen Dorfschule viel ab und da müssen die Drittklässler wohl oder übel mitziehen. Letztlich kommt es aber ganz auf die Lehrkraft an, ob Kombiklassen funktionieren oder nicht. „Man braucht einfach Gespür dafür“, bestätigt auch die Pädagogin.

Antonia Goltsche unterrichtet die dritte und vierte Jahrgangsstufe gleichzeitig/Quelle: K.Fitz
Antonia Goltsche unterrichtet die dritte und vierte Jahrgangsstufe gleichzeitig/Quelle: K.Fitz

Antonia Goltsche hat sich vor vier Jahren freiwillig für den Dienst an einer Schule mit kombiniertem Unterricht gemeldet: „Ich stehe einfach hinter dem Konzept. Vor allem die Kooperation mit den Eltern funktioniert bei uns gut. Erziehung soll zuhause passieren, wenn es möglich ist.“

Die Lehrerin fühlt sich wohl in der kleinen Gemeinde, wo jeder jeden kennt und wo so mancher Schulbankplatz von Generation zu Generation in den Familien weitervererbt wird. Das Engagement der Eltern sei in Wall besonders hoch, betont sie.

Hier werden viele Ideen und Projekte von den Eltern angeboten und mitorganisiert. Das ist schon außergewöhnlich.

Die Zukunft der Grundschule Wall, deren erfolgreiches Konzept auch maßgeblich auf der engen Zusammenarbeit mit ihrer Partnerschule Warngau basiert, scheint jedenfalls gesichert. Wenn es nach der Statistik geht, werden die Schülerzahlen in den kommenden Jahren wohl steigen. Somit steht auch dem Bau ganzer Kolonien von Insektenhotels im lauschigen Schulgarten nichts im Weg.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles Allgemein

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner