“Unhaltbare Zustände” an Raststätten

Das RTL – “Team Wallraff” deckte im August dieses Jahres katastrophale Hygienezustände an deutschen Autobahnraststätten auf. Das Unternehmen “Tank & Rast” setzte daraufhin auf verschärfte Kontrollen. Doch jetzt leiden die Mitarbeiter. 

Auch die Holzkirchner Raststätte an der A8 unterliegt dem Unternehmen "Tank & Rast". Die Kritik der Gewerkschaft bezieht sich jedoch in erster Linie auf die Eigenbetriebe, wie in Irschenberg. / Bild: Tank & Rast
Auch die Holzkirchner Raststätte an der A8 unterliegt dem Unternehmen “Tank & Rast”. Die Kritik der Gewerkschaft bezieht sich jedoch in erster Linie auf die Eigenbetriebe, wie in Irschenberg. / Bild: Tank & Rast

Abgelaufene Wurst, alter Pudding und neue Etiketten auf alter Ware. Im August dieses Jahres deckten die TV-Recherchen des “Team Wallraff” erhebliche Qualitäts- und Hygienemängel an deutschen Rasthöfen auf. Im Fokus war das Unternehmen “Tank & Rast”. Zwei Reporterinnen arbeiteten sieben Monate lang als Servicekräfte undercover und dokumentierten den Arbeitsalltag mit heimlichen Filmaufnahmen.

Nach der Veröffentlichung der Reportage räumte das Unternehmen Mängel ein und versprach Verbesserung. Bei den in der RTL-Sendung behaupteten Mängeln habe es sich jedoch um Einzelfälle gehandelt, erklärte das Unternehmen gegenüber dem Sender später. „Tank & Rast wird alles daran setzen, identifiziertes Verbesserungspotenzial schnell zu realisieren”, erklärte der beauftragte Qualitätsverantwortliche Ulrich Höhle.

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Mehr Qualität für den Kunden auf Kosten der Mitarbeiter?

“Tank & Rast” ist der mit Abstand größte Anbieter in Deutschland und betreibt fast alle Raststätten an deutschen Autobahnen – 390 der insgesamt rund 435 Raststätten. Einen Großteil davon verpachtet “Tank & Rast” an selbstständige Unternehmer. So auch die Raststätte “Holzkirchen Süd” an der A8, die von einem privaten Pächter geführt wird. Insgesamt 13 Raststätten werden von “Tank & Rast” selbst betrieben. Zehn davon in Deutschland, unter anderen auch in Irschenberg.

Als Reaktion auf die Berichte führte die Firma ein schärferes Kontrollsystem ein, welches nun zuerst in den Eigenbetrieben getestet wird. Demnach erhielten diese von “Tank & Rast” per Dienstanweisung neue Vorgaben, erklärt Georg Schneider, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gastronomie (NGG) der Region Rosenheim-Oberbayern.

Danach sollen Hygiene und Qualität verbessert werden – „jedoch ausschließlich zulasten der Beschäftigten“, klagt die Gewerkschaft nun an. Das Unternehmen übe “enormen Druck” auf die Mitarbeiter aus. Schneider erklärt:

Hier müssen sich Mitarbeiter nach jedem Lebensmittel-Kontakt über 30 Sekunden die Hände waschen, trocknen und desinfizieren, während schon die nächsten Kunden an der Kasse warten. Wer diese Vorgabe nicht schafft, muss mit einer Abmahnung oder sogar der Kündigung rechnen. 

Die Mitarbeiter seien in der Nachtschicht alleine und verpflichtet, die Kunden zu bedienen. Da sei es unrealistisch, sich jedesmal volle 30 Sekunden die Hände zu waschen. In der Zeit gehe der Kunde schon wieder woanders hin, so der Gewerkschaftssekretär Tim Lubecki.

Mitarbeiter werden unter Druck gesetzt

Zudem herrsche ein hoher Umsatzdruck. “Ware, wie beispielsweise Bockwürste oder belegte Brötchen, müssen nach einem bestimmten Zeitraum weggeworfen werden, wenn sie keiner kauft. Halten die Mitarbeiter diese Vorgabe aber genau ein, kommt im Laufe eines Tages sehr viel Ware in den Müll. Die Kollegen beschweren sich, dass sie sich dann vor ihren Vorgesetzten rechtfertigen müssen, so wenig verkauft und so viel in den Abfall geworden zu haben”, berichtet Lübeck. Zudem würden sogenannte “Mystery Shopper”, also Testkäufer im Auftrag des Unternehmens, immer häufiger überprüfen, ob die Angestellten Zusatzverkäufe veranlassen. Sprich: Mitarbeiter müssen bei jedem Kauf den Kunden fragen, ob es noch ein Cappuccino oder ähnliches sein  dürfe. Wer dies nicht umsetze werde abgemahnt oder gekündigt, so die Gewerkschaft.

Schneider kritisiert:

Natürlich ist es gut, wenn Tank & Rast auf mehr Qualität setzt. Es kann aber nicht sein, dass in den Betrieben jetzt ein Klima der Angst verbreitet wird.

Die Beschäftigten verdienen kaum mehr als den gesetzlichen Mindestlohn und müssten nun „auch noch für Management-Fehler büßen“. “Das zeigt, das Unternehmen hat von den Wallraff-Recherchen weder etwas verstanden, noch etwas daraus gelernt”, so Lubecki.

Das Unternehmen sei trotz seiner Monopol-Stellung in finanziellen Schwierigkeiten und laut Presseberichten mit 2,1 Milliarden Euro verschuldet. Seit der Privatisierung der Rasthöfe im Jahr 1998 seien immer neue Firmen bei “Tank & Rast” eingestiegen und hätten Rückstände auf den Raststätten-Betreiber abgewälzt, so die Gewerkschaft.

An den Zuständen heute zeige sich, dass die Privatisierung “ein großer Fehler war”. Denn wegen ihres öffentlichen Versorgungsauftrags schieße der Staat laufend Geld zu. So könne “Tank & Rast” faktisch nicht pleite gehen. Das Unternehmen müsse dringend mehr Personal einstellen, finde aufgrund der schlechten Bezahlung aber keine neuen Mitarbeiter mehr, ist die NGG überzeugt.

Unternehmen weist Vorwürfe von sich

Auf Nachfrage unserer Zeitung äußert “Tank & Rast”, die Vorwürfe seien aus Sicht des Unternehmens “nicht nachvollziehbar”. Die Erklärung:

Es ist eindeutig im Interesse der Kunden, dass in den Raststätten und Tankstellen im Servicenetz von Tank & Rast klare Qualitätsstandards und Hygienevorgaben eingehalten werden. Die Standards entsprechen Vorgaben, die auf gesetzlichen Regelungen beruhen und die entweder behördlich gefordert oder in der Systemgastronomie weithin üblich sind.

Dazu wie die Vorgaben im Detail aussehen, wollte sich das Unternehmen nicht äußern. Die Vorgabe der 30-minütigen Handwäsche wäre von der NGG “missverständlich zusammengefasst” worden. Die für den Umgang mit Lebensmitteln übliche Vorgabe laute:

“Vor und nach der Arbeit mit Lebensmitteln sind die Hände mindestens für 30 Sekunden gründlich mit Seife zu reinigen. Anschließend dürfen die Hände nur mit den dafür vorgesehenen Einweg-Papierhandtüchern abgetrocknet werden, bevor sie im Anschluss daran desinfiziert werden.“

Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Mitarbeiter nach jedem einzelnen Arbeitsschritt die Hände reinigen und desinfizieren müssen. Tank & Rast hat keine Anzeichen, dass zur Einhaltung dieser Qualitätsstandards übermäßiger Druck auf Mitarbeiter an den Service-Standorten ausgeübt wird. Dies gilt auch für die Eigenbetriebe des Unternehmens.

Die Betriebe hätten zudem keinerlei Probleme bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter. “Mit Nachdruck” weise “Tank & Rast weitere unzutreffende Behauptungen der Gewerkschaft zurück”. Weder habe das Unternehmen eine “Monopol-Stellung, sondern stehe im intensiven Wettbewerb mit Autohöfen, Systemgastronomen und weiteren Anbietern auf und neben der Autobahn – noch befände sich Tank & Rast “in finanziellen Schwierigkeiten”, so Dr. Lutz Golsch, Kommunikationsberater des Unternehmens. Vehement widersprach er dem Vorwurf, der Staat würde Geld in das Unternehmen schießen.

Staat investiert Millionen

Wie der Stern jedoch schreibt, kaufe “Tank & Rast” immer mehr Autohöfe auf, um die Konkurrenz klein zu halten. Außerdem seien laut RTL dieses Jahr 130 Millionen Euro Steuergelder in den Bau von Rastanlagen geflossen. Denn “Tank & Rast” baue nur die Gebäude und das unmittelbare Drumherum, den Rest bezahle der Staat. “Tank & Rast” zahle im Gegenzug rund drei Prozent des Umsatzes als Konzession an den Bund. 2014 habe der Staat dadurch gerade einmal 15 Millionen Euro erhalten.

“Tank & Rast” bleibt jedoch dabei: Anders als von der Gewerkschaft behauptet, wäre die Privatisierung ein Erfolg, da der konsequent verfolgte Kurs der Modernisierung und Investitionen deutliche Verbesserungen für alle Reisenden auf den deutschen Autobahnen mit sich gebracht hätten, so Dr. Golsch.

Die Gewerkschaft fordert indes, die Einschüchterungen gegen die Mitarbeiter zurückzunehmen. Und auch die Politik solle aus der Privatisierung lernen – und den Fehler im Blick auf die aktuelle Debatte um die Zukunft der Autobahnen nicht wiederholen.

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