Lichte Kronen. Gelbe Nadeln. Karge Fichten am Steilhang. Bereits im Jahr 2001 hatte es der SPIEGEL schon gewusst: Fast ein Viertel des deutschen Waldes sollte laut Waldzustandsbericht krank sein. Stark betroffen soll vor allem der Bayerische Bergwald sein. Doch wie sehr eigentlich? Eine Bergwald-Studie zog damals veröffentlichte Zahlen in Zweifel und klagte über Mängel bei der Datenerhebung.
Genau diese Zweifel keimen jetzt wieder auf: Wie viel Wald ist überhaupt krank? Der Bund Naturschutz (BN) zweifelt an den veröffentlichten Daten. Der Waldschutz müsse in Bayern wieder mehr Gewicht bekommen, fordert Hans Kornprobst aus Schaftlach, Sprecher des BN-Arbeitskreises Wald.
Es ist ein Skandal, dass die Staatsregierung es zugelassen hat, dass 7.000 Hektar Bergwald den Schutz des Waldgesetzes verloren haben.
Auslöser dafür, dass es dem bayerischen Wald mittlerweile schlechter gehe, sehen die Verantwortlichen des Bundes Naturschutz vor allem in der Änderung des Waldgesetzes vor zehn Jahren.
Mit dem damaligen Volksbegehren wollte der BN einerseits eine Privatisierung der Forstwirtschaft verhindern. Andererseits auch das von der Staatsregierung initiierte „Waldweiderecht” aufhalten. Doch das Waldgesetz wurde geändert. Auf einen Schlag galten 7.000 Hektar Wald als landwirtschaftliche Fläche.
BN: „Waldweiderecht schadet dem Wald“
Die Staatsregierung hatte das Ziel, mit der Umwidmung der Flächen den betroffenen Bauern die Almwirtschaft weiterhin zu ermöglichen. Doch die Umwidmung von Bergwald zu Weideland schade dem Wald, so der Vorwurf des BN. „Wenn der Wald beweidet wird, ist es kein richtiger Wald mehr“, erklärt Hans Kornprobst. Die Regelung erlaubt es, dass an Almweiden angrenzender Wald beweidet werden darf.
Die beweideten Bergwälder würden jedoch durch Verbiss stark aufgelichtet und vergrasen, so die Befürchtung des BN-Manns. „Der Wald hat keinen Schutz mehr“, ist Kornprobst überzeugt. Ist der Wald erstmal Weideland, so gilt er rein rechtlich nicht mehr als Waldgebiet. Muss also auch nicht mehr geschützt werden. Eine Überalterung des Waldes, Verlust der Mischbaumarten, Verlust der Verjüngung und eine negative CO2‐Bilanz seien die Folge, meint Kornprobst.
Der BN kritisiert, dass in der jährlichen offiziellen Waldflächenbilanz des Forstministeriums der mit 7.000 Hektar angegebene Waldverlust gar nicht berücksichtigt und kartenmäßig nicht öffentlich aufgezeigt werde. Zudem seien die genauen Flächenangaben und die Verteilung in den Alpenlandkreisen bis heute nicht bekannt. Die Staatsregierung verheimliche die Angaben seit Jahren, so der Vorwurf.
Die Naturschützer stützen ihre Aussagen dabei auf vorliegende digitale Karten, anhand derer die betroffenen Forstbetriebe der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) und die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schon seit fast drei Jahren detaillierte Angaben zum Flächenumfang und der genauen Lage der sogenannter „InVeKoS‐Flächen“ – mit Waldweiderechten belastete Gebirgswälder – machen könnten. Danach könne der BN die Kritikpunkte eindeutig belegen.
Staatsforsten sehen ölologischen Gewinn
Stefan Pratsch, Forstbetriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten in Schliersee, zeigt wenig Verständnis für die Kritik. Er sieht zehn Jahre erfolgreiche Waldbewirtschaftung hinter sich liegen. Die Verwaltungsreform, die damals eingeleitet wurde, sei ein notwendiger, zeitgemäßer Schritt gewesen, erklärt er.
Nicht zuletzt auch Voraussetzung dafür, dass nicht nur wirtschaftliche Erfolge, sondern vor allem auch ein ökologischer Gewinn im Wald Einzug gehalten haben. „Vor allem im Gebirgswald ist es wichtig, dass notwendige finanzielle Mittel für Schutz- und Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung stehen“, so Pratsch.
Der Aufwand zur Schutzwaldsanierung für den Forst sei enorm: Allein im Jahr 2014 habe man am Forstbetrieb Schliersee, zu dem auch das Tegernseer Tal gehört, fast eine Million Euro dahingehend investiert. 50 Hektar Neukulturen neu begründet. Und 200 Hektar Jungwälder so gepflegt, dass sie dem Klimawandel bestmöglich standhalten. Laut Pratsch habe der Forst allen Kritikern bewiesen, dass die Maßnahmen sinnvoll gewesen seien:
Bei überlegtem Vorgehen und guter Planung lassen sich ohne übermäßigen Aufwand Nutzung und Schutz verbinden.
Die vom BN immer wieder in den Fokus gerückte „Privatisierung“ sei im Übrigen gar keine echte, so Pratsch. Lediglich die hoheitlichen Aufgabengebiete und die Beratung der Privatwaldbesitzer, die heute von den Ämtern für Landwirtschaft und Forsten wahrgenommen werden, seien damals klar von den Aufgaben der Staatswaldbewirtschaftung organisatorisch getrennt worden.
Heftiger Gegenwind von den Almbauern
Gegenwind bekommt der BN auch vom Almbauernverein im Landkreis. Dessen erster Vorsitzender, Georg Mair, ist überzeugt, dass der Wald weiter wachse. „Der BN malt ein reines Horrorszenario“, ist er sich sicher. Man habe genug Wald, auch wenn die Almtiere auf den Flächen weideten, so der Almbauernvertreter.
Erstens seien die Tiere nur während der Vegetationszeit auf der Alm und fräßen dann lieber Gras als Waldbäume, begründet er. Nur in Notzeiten – etwa wenn es verfrüht herunterschneie – sei mit Baumverbiss zu rechnen. Zudem macht er darauf aufmerksam, dass die meisten Bauern ihre Tiere einzäunten und diese dann keinen Zugang zu den vom BN monierten Flächen hätten.
Insgesamt sei die Almfläche für die Bauern nicht größer geworden, meint Mair. Viele Waldweiderechte seien abgelöst worden oder würden nicht mehr ausgeübt. Nur noch etwa ein Zehntel zu früher, meint er. Mit der Gesetzesänderung vor zehn Jahren habe sich in Sachen Waldweiderecht nichts geändert. „Der BN soll sein Scheuklappendenken aufgeben“, fordert Mair.
Radwan verlangt Transparenz
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan erklärte auf Nachfrage der Tegernseer Stimme, er verlange insgesamt mehr Transparenz. Von den Bayerischen Staatsforsten erwarte er nachvollziehbare, transparente Zahlen. Vom Bund Naturschutz verlange er, dass dieser seine Vorwürfe auch belege, damit das ganze nachvollziehbar werde: „Ich erwarte, dass man mit den Daten offen umgeht.“
Insgesamt gehe es nicht darum, landwirtschaftliche Fläche zu mehren, sondern darum, dass Almwirtschaft auch weiterhin betrieben werden könne. In dem Zusammenhang erinnerte er sich an einen Fall in Rottach-Egern. Dort hatte eine Begehung stattgefunden, bei dem ein Bauer seine Almfläche gezeigt hatte. „Diese Fläche hätte nicht mehr weiter bewirtschaftet werden können“, so Radwan. Ohne Gesetzesänderung wäre damit dem Almbauern die Lebensgrundlage entzogen worden.
SOCIAL MEDIA SEITEN