Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre Haft

Gestern wurde die Beweisaufnahme um das Zugunglück von Bad Aibling geschlossen. Heute folgten die Plädoyers. Oberstaatsanwalt Jürgen Branz machte den Anfang und hielt dem beschuldigten Fahrdienstleiter “kopfloses Verhalten” vor.

/Foto: Peter Kneffel/dpa
Der Angeklagte Michael P. mit seiner Anwältin Ulrike Thole. /Foto: Peter Kneffel/dpa

Nach Meinung der Anklagebehörde ist der Fahrdienstleiter Michael P. der fahrlässigen Tötung in vollem Umfang schuldig. Oberstaatsanwalt Jürgen Branz hielt Michael P. in seinem Plädoyer „kopfloses Verhalten“ im Dienst am Unfalltag vor.

Wir haben einen Fahrdienstleiter, der seit 19 Jahren im Dienst ist, ein erfahrener Fahrdienstleiter, der immer gute Bewertungen bekommen hat. Ihm wird langweilig, dann kommt er auf eine unsinnige Idee.

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Er listete eine ganze Kette von Fehlentscheidungen des Angeklagten bei der Arbeit im Stellwerk auf. Vor allem rügte er aber das verbotene Handyspielen bis kurz vor dem Zusammenstoß der beiden Züge am 9. Februar: „Letztlich liegt hier der Grund für die Fehlhandlungen des Angeklagten“, sagte Branz vor dem Landgericht Traunstein. Ein technischer Fehler scheide aus.

Das zwölf Menschen wegen eines Handyspiels gestorben seien, sei “unglaublich”, so der Oberstaatsanwalt. Wer wann freie Fahrt habe, dafür sei allein der Fahrdienstleiter zuständig, nicht der Zugführer, erklärte Branz. Michael P. gab falsche Signale, bemerkte seinen Fehler, setzte einen Notruf ab – jedoch zu spät. Die Züge kollidierten. Branz von den Eindrücken vor Ort in Bad Aibling:

Das was ich dort gesehen habe, hat sich bei mir in der Seele festgesetzt. Deshalb muss ich mich hier zurücknehmen, damit ich nicht emotional werde.

In den letzten Verhandlungen stellte man sich der Frage, wie weit Michael P. durch das verbotene Handyspiel abgelenkt war. Ein Gutachter stellte klar, dass Michael P. 70 Prozent der Zeit am Handy gespielt habe und damit definitiv abgelenkt gewesen war. Branz betonte, dass der Angeklagte den Tod von zwölf Menschen verursachte und deswegen auch schuldig zu sprechen sei.

Vier Jahre Haft gefordert

Dennoch hielt er ihm auch zugute, von Anfang an bei der Tataufklärung mitgewirkt zu haben. Auch die Tatsache, dass er noch nicht vorbestraft sei, müsse sich lindernd auswirken. Deshalb forderte der Staatsanwalt den Angeklagten für 4 Jahre Haft zu verurteilen. Die Höchststrafe betrage 5 Jahre.

Während der Plädoyers des Oberstaatsanwalt und der Nebenkläger wirkte der Angeklagte sehr emotional. Er hielt ein Taschentuch in der Hand und schneuzte. Tränen liefen ihm über das Gesicht.

Verteidigung fordert Bewährungsstrafe

Dann kamen die Verteidiger zu Wort. Sie sahen die Handynutzung ihres Mandanten nicht so gravierend. Der Prozess habe nicht zweifelsfrei ergeben, dass das verbotene Spielen Ursache der Fehlerkette des Angeklagten sei, so die beiden Rechtsanwälte des Angeklagten Ulrike Thole und Thilo Pfordte übereinstimmend.

Zudem hielten sie es nicht für sicher, dass bei einem korrekt abgesetzten Notruf der Zusammenstoß noch verhindert worden wäre. Das Ausmaß der Verletzung von Sorgfaltspflichten sahen sie deshalb nicht so groß wie von der Staatsanwaltschaft vorgetragen. Trotzdem bestehe kein Zweifel, dass der Fahrdienstleiter der fahrlässigen Tötung schuldig sei.

“Konnte die Ereignisse erst jetzt verarbeiten”

Sie forderten eine Bewährungsstrafe für den Angeklagten. Wenn das Gericht dennoch eine Haftstrafe aussprechen wolle, hielten die Verteidiger maximal zwei Jahre und sechs Monate Gefängnis für angemessen. Pfordte erinnerte daran, dass es selbst bei noch schlimmeren Zugunglücken in Deutschland bisher immer nur Bewährungsstrafen gegeben habe.

Zum Schluss richtete der sichtlich mitgenommene Angeklagte selbst noch ein paar Worte an das Gericht. Unter Tränen sagte er:

Ich stehe seit 9. Februar massiv unter dem Einfluss des Ereignisses. Ich bin davon stark betroffen. (…) Ich konnte die Ereignisse auch jetzt erst selbst, während der Verhandlung, verarbeiten. Ich hoffe auch, dass die Betroffenen diese Erkenntnis bekommen haben und sie ihnen weiterhelfen kann.

Das abschließende Urteil wird am Montag verkündet.

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