Sichtlich angestrengt wirkt der Zeuge bei den Fragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. Der mittlerweile 24 Jahre alte Mann war vor rund zehn Jahren einer der Buben, die der Angeklagte Ulf G. sexuell missbraucht haben soll. Heute ist er selbst Vater zweier Kinder und hat angekündigt, alles auszusagen, was passiert ist: Eine solche Tat soll nicht noch einmal passieren.
Doch dafür muss der Familienvater alles möglichst genau beschreiben: Jede sexuelle Handlung, die der Angeklagte an ihm vorgenommen haben soll, jedes Detail. Für das Gericht muss er all das noch einmal durchleben, was er als 12- bis 14-jähriger Bub beim Angeklagten erlebt haben soll. Sehr belastend, wie der Zeuge immer wieder betont:
Das sind krasse Fragen!
Insgesamt 16 Jungen soll der Angeklagte ab 1999 bis zu seiner Festnahme am 28. August 2013 missbraucht haben. Die Hochrechnung der Ermittler geht von 406 Fällen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen aus. Die Taten sollen sich in vier Wohnungen in Bad Wiessee abgespielt haben, in zwei in Tegernsee und in einer in Kreuth. Die hohe Zahl der Fälle wirft die Frage auf, wieso der Angeklagte so lange unentdeckt geblieben war.
„Haben Sie sich denn nie gewehrt?“, fragt der psychiatrische Gutachter den Zeugen. Dieser verneint. Was der Angeklagte mit ihm und seinen Freunden gemacht haben soll, „das versteht man als Kind meistens noch nicht. Erst als Erwachsener wird einem klar, was man da mitgemacht hat“, sagt dieser.
Vaterfigur für die Opfer
Er berichtet von Küssen, die seine Freunde und er immer ins Lächerliche gezogen hätten. Wahrscheinlich ein Selbstschutz, mutmaßt er. Eigentlich sei es ziemlich ätzend gewesen. Wahrscheinlich sei an seinen Freunden ein ähnlich schwerer Missbrauch begangen worden wie an ihm, sagt er. Sicher ist er sich aber nicht, denn geredet hätten sie darüber nicht:
Man schämt sich ja.
Bei den Jugendlichen soll der 53 Jahre alte Angeklagte als Vaterfigur gegolten haben. Mit nicht altersgerechten Computerspielen, Fast Food, Alkohol und Zigaretten soll er die Jungen an sich gebunden haben. Dazu gab es Ausflüge und Kinobesuche. Gegenüber den Eltern und gesetzlichen Vertretern wurde ein Betreuungs- und Vertrauensverhältnis vorgespiegelt, so hatte es der Staatsanwalt am ersten Verhandlungstag verlesen.
Der Angeklagte weist die Vorwürfe weiter von sich. Den Zeugen bezichtigte er sogar einer Verschwörung gegen ihn. Man wolle ihm „eins auswischen“, so der Mann. Der Zeuge wehrt ab: Dazu habe er keinen Anlass. Eine falsche Beschuldigung und unschuldig verurteilt zu werden, sei eine sehr schlimme Sache. Das habe er selbst schon einmal erlebt. Der Prozess geht weiter – ein Urteil ist nicht vor Ende Februar zu erwarten.
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