Wenn der Milchmann nicht mehr kommt

Mehrere Molkereien in jeder Gemeinde – so war es früher einmal. Doch wenn es nach Rüdiger Obermaier geht, könnte dies ruhig wieder so werden. Damit die Milchbauern in der Region eine Zukunft haben, ist vor allem Direktvermarktung ein entscheidender Faktor, meint er. Den „Milchmann“ dürfte das trotzdem nicht retten.

Früher musste die Milch sofort verarbeitet werden. Milchkühlungen gab es noch keine. Hier Molkereibesitzerin Amalie Hofer. Foto: Das Tegernseer Tal in historischen Bildern von Hans Halmbacher
Früher musste die Milch sofort verarbeitet werden. Milchkühlungen gab es noch nicht / Foto: Hans Halmbacher

Jeden Morgen und dann abends noch einmal war Max Weber einst mit seinem Chevi-Lastwagen zu den umliegenden Bauern unterwegs, um in 20-Liter-Kannen die Milch ihrer Kühe abzuholen. Da es damals noch keine elektrischen Milchkühlungen gab, musste die Milch – gerade im Sommer – sofort in der familieneigenen Molkerei verarbeitet werden, damit sie nicht schlecht wurde.

Im angeschlossenen Milchladen konnten sich die Kunden mit Milch, Butter, Käse und Quark eindecken. Viele Jahre lang ging das bei der Molkerei Weber so. Und auch bei den drei weiteren Gmunder Molkereien – Hofer, Floßmann und Nieder. Doch irgendwann konnten sie alle dem preislichen Konkurrenzkampf auf dem Lebensmittelmarkt nicht mehr standhalten und mussten schließen.

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Heute hängen zahlreiche Milchbauern am Tropf von großen Molkereien. Letztendlich diktieren der Handel und der Weltmarkt, was die Bauern für ihre gemolkene Milch bekommen. Auch Molkereien mit Öko-Linie müssen sich nach den anderen Molkereien richten, weiß Johann Hacklinger, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands, den wir im Grünen Zentrum Holzkirchen treffen.

Wegfall der Milchquote bringt zusätzlichen Preisdruck

Hacklinger hat seinen Warngauer Hof erweitert auf jetzt 50 Milchkühe. Dank des guten Milchpreises bei der Molkerei „Berchtesgadener Land“ kann er seine Familie ernähren. Nicht zuletzt auch wegen der Förderungen, bei deren Beantragung ihm das Grüne Zentrum zur Seite stand.

Dies ist die Aufgabe von Rüdiger Obermaier vom AELF (Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), das ebenfalls im Grünen Zentrum untergebracht ist. Die Förderlandschaft hat sich zugunsten der kleineren Höfe verändert, weiß AELF-Chef Stefan Gabler. Denn die kleinstrukturierte Landwirtschaft hierzulande hätte ganz ohne Förderungen wenig Chancen zu überleben.

Durch den Wegfall der Milchquote Ende März werden alle Bauern auf eine gleiche Ebene gestellt – was die Bezahlung ihrer Milch angeht. Egal, ob es um einen Landwirt mit Tausenden von Milchkühen geht, oder um den „kleinen Bauern“ aus dem Oberland, der nur 23 Kühe – das ist der Durchschnitt im Landkreis Miesbach – sein Eigen nennt.

Im schwierigen Gelände wie bei uns kostet der Liter Milch einfach mehr als in Kunstlagen.

Stefan Gabler ergänzt, warum man die kleinstrukturierte Landwirtschaft gar nicht vergleichen kann mit einem Betrieb etwa in Schleswig-Holstein. Bei der Milch aus dem Oberland handelt es sich um ein „Premiumprodukt“, bei dem man sozusagen die schöne Landschaft gleich mitkauft. Das müsse man dem Verbraucher klarmachen.

Tragen das ihrige zum Erhalt der Milchwirtschaft bei (v.li.): Stefan Gabler, Rüdiger Obermaier und Hans Hacklinger
Stefan Gabler, Rüdiger Obermaier und Hans Hacklinger

Das Grüne Zentrum in Holzkirchen tue das seine, um die Milchwirtschaft in der Region zu erhalten. Wenn jetzt anstelle von Milchkühen nur noch Jungvieh gehalten würde, dann wäre das laut Gabler der Einstieg zum Ausstieg. Zudem sieht er die Milchviehhaltung als Grundlage für die hiesige Almwirtschaft.

Für die Bauern wäre dies zwar einfacher, denn ein Großteil der Arbeit – das zweimalige Melken am Tag – falle weg. Aber die Institution möchte den Rahmen ihrer Möglichkeiten ausschöpfen und setzt deshalb besonders auf eine gute Ausbildung der Betriebsleiter.

Qualifikation statt Größe – so fordert es Gabler. Viele Betriebe stünden derzeit vor einer Entscheidung, in welche Richtung sie mit ihrem Hof gehen wollten. Gabler kann Betrieben, die ohnehin schon extensiv wirtschaften, nur zur Umstellung auf einen Öko- oder Heumilchbetrieb raten. Zahlreiche Bauern hätten diese Nischen erkannt und nur den letzten Schritt – den der endgültigen Umstellung – noch nicht vollzogen.

Das Gute zu besseren Preisen vermarkten.

Darin sieht Gabler eine große Chance zum Erhalt der Milchviehbetriebe in der Region. An die 800 gibt es im Landkreis Miesbach. Etwa ein Viertel davon hat bereits auf Öko umgestellt. Geliefert wird die Milch großteils zu den Molkereien „Berchtesgadener Land“, zur „Andechser Molkerei“ oder zur „Gropper Molkerei“ im schwäbischen Bissingen.

Betriebe im Tegernseer Land haben die Chance, über die Lieferung an die Naturkäserei einen angemessenen Milchpreis zu erzielen. Sie müssten ihren Betrieb aber dafür erst einmal an die Anforderungen der Heumilchproduktion anpassen.

Premiumlandwirtschaft soll Milchwirtschaft erhalten

Gabler will den eingeschlagenen Weg der Premiumlandwirtschaft konsequent verfolgen. Vor allem liegt ihm am Herzen, das Selbstwertgefühl der angehenden Landwirte in der hauseigenen Landwirtschaftsschule zu stärken. „Ihr seid was besonderes und eure Arbeit verdient Anerkennung“, das seien wertvolle Inhalte.

Dazu passt auch die Bewerbung um den Titel „Öko-Modellregion“ – das Konzept will ebenfalls die Direktvermarktung stärken. Dass Milch nur begrenzt haltbar – und damit begrenzt lange transportabel – ist, macht eine ausschließliche Direktvermarktung schwierig. Das weiß auch Naturkäserei-Geschäftsführer Hans Hansinger auf Rückfrage zu berichten. Trotzdem ist es den Gedanken wert, bestimmte Ideen nicht von vornherein auszuschließen.

Ein „Milchmann“-Konzept wäre ideal.

Das findet zumindest Rüdiger Obermaier vom AELF. Das Ganze wäre jedoch ein so riesiger Aufwand, dass es bisher noch nicht realisiert wurde. Die strengen Hygieneregeln für Milch und Mehrwegbehälter seien in kleinen Betrieben oft ein Riesenproblem, und angesichts der höheren Preise müssten die Käufer Milch schon sehr lieben. Letztendlich wäre es auch nur eine Überlebensstrategie für einzelne Höfe, rechnet Obermaier vor. Denn zwei Betriebe produzieren in etwa fünfhundert Liter Milch am Tag. Da brauche es schon einige Verbraucher, denen der „Milchmann“ die Flaschen vor die Tür stellen müsse.

Die gemolkene Milch direkt zu vermarkten, kann für einzelne Betriebe erfolgreich sein
Die gemolkene Milch direkt zu vermarkten, kann für einzelne Betriebe ein erfolgreicher Ansatz sein.

Dass sich das Konzept für einzelne Bauern rentiert, zeigt ein Beispiel aus Hessen. Auf dem Selgenhof in Ulrichstein lässt Betriebsleiter Thilo Junge die Tradition des „Milchmanns“ aufleben. Der Hof wollte sich vom Trend abkoppeln, dass die großen Molkereien die Milch immer schlechter bezahlen.

Das hat so gut geklappt, dass in dem Ökobetrieb mit 180 Kühen jetzt 20 Arbeitskräfte beschäftigt sind. Die Fahrer bringen die täglich gemolkenen 2.500 Liter Milch an sechs Tagen in der Woche in Form von Milch, Joghurt, Sahne und Butter zu den Kunden in der Region.

Die richtige Idee muss zum rechten Zeitpunkt kommen

Vor 15 Jahren startete der Betrieb seine „Milchmann-Idee“ und fuhr bis heute gut damit, wie Junge auf Nachfrage berichtet. „Es hat gebraucht, bis wir in der Erfolgszone waren“, gibt er zu. Das unternehmerische Wagnis sei hoch gewesen. Dass die Idee damals so gut anlief, führt er darauf zurück, dass damals noch kaum Öko-Milch in den Regalen zu finden gewesen sei. Eine echte Nische bot sich also für den Öko-Milch-Heimservice.

Kunden waren früher vor allem junge Familien, die viel zu Hause waren. „Aber die Kundschaft hat sich gewandelt“, berichtet Junge. Die Hauslieferung ist eher auf dem absteigenden Ast. Dafür sei der Lebensmittelhandel ein stark nach Öko-Milch fragender Partner. Wer heute die Milchmann-Idee noch umsetzen wollte, hätte es wahrscheinlich schwer, folgert der Landwirt, denn in den Regalen der Lebensmittelläden findet man eine große Auswahl an Öko-Milch.

Die Zeit für Heimservice ist fast abgelaufen.

Auch wenn die Zeit für den „Milchmann“ abgelaufen ist. Der Direktvermarktung von authentisch regionalen Produkten – also solchen, die „drei Dörfer weiter“ daheim sind – dürften eine vielversprechende Zukunft haben. Der große Vorteil ist, dass jeder weiß, wo sie herkommen. Und dass die Tiere dort keine Massenware sind. Das Leben der Hersteller dürfte dadurch zwar alles andere als ruhiger werden. Aber am Ende können sie vor allem eins: immer noch Bauer sein.

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