„Sie müssen sich nicht wundern, wenn niemand mehr mit Ihnen spricht!“ Sätze wie diesen hören ich und meine Kollegen aus der Redaktion gefühlt mindestens einmal in der Woche, wenn wir in den Rathäusern und bei Gemeinderäten anrufen und unsere Fragen stellen.
Einer der Gründe für die ablehnende Haltung mancher Politker gegenüber der „Stimme“ trägt verschiedene Namen: „Seegeist“, „Hasennase“ und „Der Blubb“ sind nur drei Beispiele für Leserkommentatoren auf der TS, die nicht immer konstruktiv, dafür gerne pampig und vor allem anonym kommentieren. Darüber beschwert sich nun der Wiesseer Bürgermeister Peter Höß im Editorial des Gemeindeboten „Bad Wiessee im Blick“.
„Keine Infos!“, ist auch eine Info
Meist schaffen wir es, Bürgermeister, Verwaltungsmitarbeiter oder Gemeinderäte zu beruhigen, und sie beantworten die Fragen, damit wir unserer Aufgabe nachkommen können: die TS-Leser informieren, Gerüchte aufklären und auf Entwicklungen – positive wie negative – aufmerksam machen.
Zwar sind die Gemeindeverwaltungen dazu verpflichtet, den Medien Auskunft zu geben. Die Gemeinderäte sind es aber nicht. Und wenn uns Gesprächspartner keine Auskunft geben wollen, dann berichten wir im Sinne der Transparenz unserer Arbeit darüber, dass die Ansprechpartner keine Auskunft geben möchten. Wie das auf die Leser wirkt, können sie dann nicht mehr beeinflussen. Das ist zwar ärgerlich. Aber wir sind keine Bittsteller nach Informationen, sondern üben eine demokratische Kontrollfunktion aus.
Gesichts- und Namenlose
Zur Demokratie gehört auch das Recht, die eigene Meinung frei zu äußern. An die Zeitung werden dazu Leserbriefe geschrieben. „Auf gutem sprachlichen Niveau”, vermutet Höß. Doch auch den eigenen Namen muss man bei einem Leserbrief nicht angeben. Eine Redaktion wählt aus und veröffentlicht einige wenige Kommentare. Die Kriterien für die Auswahl bleiben dabei im Dunkeln. Vielleicht sind es ein gutes sprachliches Niveau und Klarnamen?
Im Internet – das gilt beispielsweise für die TS wie auch für den Merkur – werden die Kommentare dagegen direkt unter den Artikel gepostet. Jeder kann schreiben, behaupten und wild spekulieren und jeder Kommentar wird erstmal auch veröffentlicht. Eine redaktionelle Vorauswahl findet nicht statt. Nur bei persönlichen Beleidigungen, Aufrufen zur Gewalt und Verstößen gegen Gesetze löschen wir – gemäß Artikel 5 Grundgesetz – entweder Passagen oder ganze Beiträge und verweisen in einer Antwort auf unsere Netiquette.
Die meisten der Kommentatoren halten sich auch daran. Einige kommentieren mit Klarnamen und sogar Foto und bieten damit anderen Nutzern Angriffsfläche. Die meisten argumentieren konstruktiv, loben und kritisieren. Manche pöbeln auch einfach nur: gegen den Bürgermeister, die Gemeinde oder gegen einen speziellen Gemeinderat. Es ist verständlich, dass man so etwas nicht gerne liest.
Dabei sollten Kommunalpolitiker sich über diese – wenn auch anstrengende – Form der Bürger-Rückmeldungen freuen. Vor dem Internet hätte so manche Behauptung und Pöbelei am Stammtisch die Runde gemacht, ohne dass ein Bürgermeister oder ein Gemeinderat davon Wind bekommen hätte. Es ist unwahrscheinlich, dass sich jemand getraut hätte, sich so bei der Bürgerversammlung zu äußern: Wieso sonst verwendet er ein Pseudonym?
Heute bekommen Kommunalpolitiker Gerüchte, Ängste und Kritik auf dem Silbertablett serviert und könnten darauf transparent reagieren – beispielsweise, indem sie selbst kommentieren und klarstellen, wie es wirklich läuft. Oder sie nehmen Ängste ernst und sprechen sie offen an. Viel Arbeit, aber so lassen sich Gerüchte eindämmen. Auch wir sind dankbar für solche Anregungen, Fragen und Informationen.
Sicher wünscht sich jeder, dass Kritik offen geäußert wird und dass Kommentatoren im Internet mit Klarnamen zu ihrer Meinung stehen können. Aber von diesem Anspruch musste man sich schon vor Jahren verabschieden. Ebenso von dem Anspruch, es allen recht zu machen. Denn daran wird jeder Bürgermeister, jeder Gemeinderat und jeder Bürger früher oder später scheitern.
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