Die Geschichte ist kurios: Seit knapp 50 Jahren beherbergt das Haus Concordia in Bad Wiessee Gäste – Überwiegend Familien mit Kindern. Zu deren Vergnügen gibt es im großen Garten einen Rasen mit zwei Fußballtoren, einen Sandkasten und ein Trampolin, die alle zum Spielen einladen – die Kinder, deren größeren Geschwister sowie deren Eltern.
Vor etwa drei Jahren wurde das Haus auf dem Nachbar-Grundstück abgerissen und ein neues gebaut, als Wohnanlage mit Miet- und Eigentumswohnungen. Nun erhielt Andreas Beilhack, der das Haus Concordia leitet, einen Brief vom Ordnungsamt der Gemeinde: Der neue Nachbar hatte sich darüber beschwert, dass die Gästekinder im Garten Fußball spielen und dabei zu laut seien.
Nachbar regt sich auf und macht scheinbar Fotos der Kinder
“Man könnte auch sagen, dass sich die Kinder durch den Nachbarn gestört fühlen”, sagt Andreas Beilhack auf Anfrage. Ein “leidiges Thema” sei das, findet er. Begonnen habe das bereits Anfang Mai oder Juni, sagt er. Genau weiß er es auch nicht mehr.
Sein Sohn habe damals auf dem Rasen Fußball kicken wollen. Nach nur 20 Minuten sei der zurückgekommen: “Der Nachbar hat sich aufgeregt, hat er gesagt.” Nun machte der Nachbar auch Fotos der spielenden Kinder, wohl um diese im Rathaus als Beweis für eine Ruhestörung vorzulegen: “Wie kommt der dazu?”, regt sich Beilhack auf. Der Nachbar äußerte sich indes in einer Stellungnahme:
Wir sind nicht kinderfeindlich und haben selbst eine erwachsene Tochter. Fakt ist jedoch, dass wir seit Wochen erheblichen Lärmbelästigungen durch das Fußballspielen vor allem Jugendlicher und auch Erwachsener in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ausgesetzt sind.
Und das direkt an der Terrasse des Nachbarn. Das Ordnungsamt schrieb einen Brief, in dem Beilhack darum gebeten wurde, dass die Kinder während der Kur-Ruhezeiten keinen Lärm machen.
Baulärm gegen Kinderlärm
Beilhack sieht das allerdings nicht ein: Seit 49 Jahren werde das Haus als Gästehaus bewirtschaftet, seit 22 Jahren unter seiner Leitung. Drei Jahre lang habe man die Bauarbeiten an dem neuen Nachbarhaus aushalten müssen, über die sich auch seine Gäste beschwert hätten: “Die haben im August 2013 mit dem Abriss des alten Hauses und den Spundwänden begonnen”, so Beilhack. Und im August 2014 sei der Mörtelmischer des Putzmeisters gegangen – meist auch samstags bis in den frühen Abend.
Beschwert habe er sich damals nicht. Umso mehr regt es ihn nun auf, dass sich der Nachbar über die Gästekinder beschwert. Es seien gerade mal zwei Monate im Jahr – nämlich in den großen Sommerferien – wenn Familien bei ihm Urlaub machen, und man dann auch mal länger draußen sitzt, weil es so schön lau ist:
Selbstverständlich kicken die Eltern dann auch mal mit. Aber vielleicht mal 20 Minuten. Dann ist das wieder vorbei.
Nach dem Schreiben der Gemeinde wünscht sich Beilhack nun eine Stellungnahme des Wiesseer Bürgermeisters Peter Höß zu dem Thema. “Eigentlich ist es nicht unsere Aufgabe, uns da einzumischen”, erklärt dagegen Wiessees Geschäftsleiter Michael Herrmann auf Nachfrage. Ihren Streit müssten die Nachbarn schon unter sich klären; wenn nötig eben privatrechtlich. Heißt: das Thema wird möglicherweise vor dem Amtsgericht landen und einen Richter beschäftigen.
Die Gemeinde zumindest hat einen klaren Standpunkt: man sehe spielende Kinder nicht als Lärm an, erklärt Herrmann und schreibt dies auch in einer offiziellen Stellungnahme. Das Schreiben des Ordnungsamtes an Beilhack sei lediglich als Aufforderung gedacht, die Ruhezeiten einzuhalten und habe der Befriedung dienen sollen: “Das Amtsdeutsch, in dem diese Schreiben verfasst sind, lässt es natürlich sehr viel trockener und schlimmer klingen, als es gemeint ist”, so Herrmann.
Bürgermeister halten sich zurück – bis auf einen
Insgesamt ist der Wiesseer Geschäftsleiter verwundert über die Brisanz, die dieses Thema angenommen hat. Auch die anderen Bürgermeister im Tal wundern sich: “Ich sehe keine Notwendigkeit, mich da einzumischen”, sagt der Kreuther Bürgermeister Josef Bierschneider. Christian Köck aus Rottach-Egern erklärt, er mische sich grundsätzlich nicht ein.
Und auch der Tegernseer Geschäftsleiter Hans Staudacher will keine Stellungnahme zu dem Thema abgeben: Dafür sei, so Staudacher, der Bürgermeister Johannes Hagn zuständig. Dieser weilt derzeit im Urlaub. Vor diesem Hintergrund wirkt ein Leserbrief des Gmunder Bürgermeisters Georg von Preysing vom vergangenen Samstag wie eine persönliche Abrechnung mit dem Kollegen Peter Höß, nachdem dieser Preysing im Februar diesen Jahres offen kritisiert und danach auch noch gegen einen Gmunder Antrag gestimmt:
Jetzt, nachdem bekannt wurde, dass die Gemeinde Bad Wiessee einem Hotelbesitzer verboten hat, dass Kinder zu bestimmten Zeiten im Hotelgarten spielen, wird mir natürlich vollkommen klar, warum der Wiesseer Bürgermeister in der Kreistagssitzung gegen den Antrag der Gemeinde auf Ausweisung von Bauflächen für junge Familien gestimmt hat.
Denn offenbar wird befürchtet, dass von der Nord- und Ostseite des Tegernsees fröhliches Kinderlachen Richtung Bad Wiessee schallt und dort das bevorzugte Klientel, nämlich die betuchten Senioren, stören könnte.
Leider, so Preysing weiter, weisen die Wiesseer “lieber Grundstücke für luxuriöse Seniorenparks mit Rundumservice für die dortigen Bewohner aus, anstelle vergünstigte Grundstücke für junge Familien mit Kindern.” Man dürfe die Zukunft “unseres herrlichen Tales” nicht nur denjenigen überlassen, die sich die hohen Mieten und Grundstückspreise leisten können. Man müsse aufpassen, dass das Tegernseer Tal nicht überaltert und sich nur noch zu einem Refugium für Senioren entwickle.
Doch genau das, sei laut Preysing nach dem jüngsten Urteil des Amtsgerichtes Miesbach bezüglich eines Kuhglockenverbots in Föching zu befürchten. Ein Verbot von Kinderspielplätzen im Tegernseer Tal sei in greifbarer Nähe. “Weit sind wir gekommen!” schließt Preysing und unterzeichnet das ganze mit “1. Bürgermeister, Gmund”, womit der Brief eine offizielle Note bekommt.
Persönlich war Georg von Preysing für die Stimme nicht zu sprechen. Der Brief sei ein Statement für ein kinderfreundliches Tal, sagt Geschäftsleiter Florian Ruml. Außerdem habe sich der Bürgermeister in dem Brief über das Abstimmungsverhalten von Peter Höß im Kreistag gegen die Ausweisung von Bauflächen in Gmund für junge Familien ausgesprochen.
Für die Wiesseer ist der Vorstoß Preysings ein Affront. Und das machen sie in ihrer heutigen Stellungnahme klar, allerdings ohne den Gmunder Rathauschef direkt anzusprechen. So schreiben die Verantwortlichen.
Ebenfalls hat die Gemeinde, wie fälschlicherweise unterstellt wurde, zu diesem Thema kein Statement für oder gegen eine Alters- und Bevölkerungsgruppe abgegeben. Eine Verknüpfung dieser Thematik mit der baulichen- und ortsgestalterischen Entwicklung herbeizuführen ist schlichtweg falsch.
Im Gegenteil, die Attraktivität des Ortes für Familien und Kinder besitze “bei der Führung des Ortes durch Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung” eine hohe Priorität.
SOCIAL MEDIA SEITEN