Die gute Nachricht erst mal vorweg: Wenn man die Bürgermeister und Ordnungsämter fragt, gehen – entgegen dem Eindruck der vergangenen Wochen – nicht sonderlich viele Beschwerden in den Rathäusern ein. “Wenn sich mal jemand beschwert, dann weil der Nachbar in der Mittagsruhe Rasen mäht”, sagt der Kreuther Bürgermeister Josef Bierschneider. Ähnlich sieht es in Gmund, Rottach-Egern, Tegernsee und Bad-Wiessee aus.
“Da ist auch manchmal Quatsch dabei”
Meist ist das keine große Sache: “Man redet miteinander und schafft das Problem aus der Welt”, sagt Bierschneider. Ebenso wird es in den anderen Seegemeinden gehandhabt.
Wenn das nicht ausreicht, sieht Bürgermeister Christian Köck seine Rolle als Mediator, der darauf hinwirkt, dass die Kontrahenten miteinander ins Gespräch kommen. Es sei aber besser, wenn man sich da raushalten kann: “Sonst wird man nicht mehr fertig.”
“Da ist auch manchmal Quatsch dabei”, sagt Bad Wiessees Geschäftsleiter Michael Herrmann. Einmal habe sich ein Bürger oder ein Gast – genau wisse er das nicht mehr – über die Kondensstreifen der Flugzeuge am blauen Himmel beschwert, erzählt er: “Das störe die Aussicht, war seine Begründung.”
Beschwerden der Talbewohner: In letzter Zeit geballt
Doch gerade in den vergangenen Wochen haben sich die Beschwerden, zumindest medial, gehäuft: Es gibt zu viele Feuerwerke am See und die Nachbarskinder spielen zu laut im Garten.
Der größte Aufreger, der sich in den vergangenen Wochen ereignete, war allerding die Beschwerde über einen nächtlichen Rettungseinsatz, bei dem ein diabeteskranker Mann gesucht – und glücklicherweise gefunden – wurde.
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Damals empörten sich die TS-Leser: „Fremdschämen in Reinkultur“,
„Da Depp stirbt oafach ned aus und is oiwei scho do wennst kimst. Armes Deutschland, wenn die Nachtruhe über die Not gestellt wird“, lauteten die Kommentare. Eine Leserin fand:
Früher hat sich das halbe Dorf aufgemacht und mit gesucht, heut motzt man lieber – ist ja auch einfacher.
Ein Hinweis auf einen allgemeinen Wandel der Gesellschaft? Vielleicht. “Man merkt, dass viele Leute egoistischer werden und stärker auf ihre Rechte pochen”, meint auch Christian Köck. Die Sicht Anderer nähmen die Beschwerdeträger dabei oft nicht wahr. Es seien auch immer die Gleichen, die sich beschweren.
Meist ältere Menschen: Die Nachkriegsgeneration, erste Babyboomer, Reiche. Von ihnen ziehen viele ins Tal, weil sie ihren Lebensabend am See verbringen wollen und sich die teuren Wohnungspreise leisten können. Sie sind anspruchsvoll und wollen vor allem ihre Ruhe und die Idylle. Diese haben sie sich verdient. Sie haben ein Recht darauf, glauben sie. Zumindest ist das die Aussage, die sich aus ihren Beschwerden herauslesen lässt.
Grabenkämpfe statt Ruhe und Idylle als Folge
“Bitte nicht stören!” weder durch Feuerwerke, noch Kinder oder gar Rettungseinsätze. Dabei dürfen Feuerwerke nur bis 23 Uhr und nicht länger als zehn Minuten gezündet werden. Hier wurden bereits Beschränkungen eingeführt. Geräusche von Kindern gelten nicht als “Lärm” und Rettungseinsätze: “Mei!” Was schert eine schlaflose Nacht, wenn man dafür ein Menschenleben retten kann?
Im Recht sind die Beschwerdeführer also meist nicht. Vor allem aber sind sie rücksichtslos. Beschwerden haben unter anderem dazu geführt, dass es kaum Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene gibt. Ein harmonisches Miteinander gibt es nicht mehr, wenn jeder nur auf sich selbst schaut.
Stattdessen werden Gräben aufgetan zwischen Jung und Alt, Arm und Reich, Einheimischen und “Zuagroasten”. Der Ton untereinander wird schärfer, denn auch die Anderen verhalten sich zunehmend rücksichtslos. Statt miteinander zu reden, lässt man Anwälte sprechen und versetzt einander in angstvolle Erwartung auf Post vom Gericht. Harmonie sieht anders aus. Ein ruhiger und idyllischer Lebensabend auch.
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