Schwere Zeiten für Optimisten

Sein Vermächtnis wirkt bis heute: Ludwig Erhard, der einst im Tegernseer Tal wohnte, prägte Deutschland mit seinen Ideen über Jahrzehnte hinweg und erlangte so den Ruf des „Vaters der sozialen Marktwirtschaft“. Der nach ihm benannte Gipfel im Rottacher Seeforum spielte auf dieses liberale Vermächtnis an und versuchte den Spagat zu Themen wie Digitalisierung, Flüchtlingskrise und dem Börsenunwetter der letzten Tage.

Hoher Besuch im Seeforum: Alexander Dobrindt erklärt, wie er 2016 die deutsche Infrastruktur voranbringen will - analog und digital. (Foto: Marius Mestermann)
Hoher Besuch im Seeforum: Alexander Dobrindt (l.) erklärt, wie er 2016 die deutsche Infrastruktur voranbringen will – analog und digital. (Foto: Marius Mestermann)

„Wohlstand für alle“ wünschte sich Ludwig Erhard mit seinem gleichnamigen Buch von 1957 – das Jahr, in dem er erneut Wirtschaftsminister wurde, und in dem Konrad Adenauer ihn zum Vizekanzler machte. Erhards Ideale bildeten eine wichtige politische Basis für den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft, der sich Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zuwandte. Das „Wirtschaftswunder“ trägt auch Erhards Handschrift.

Von einem erneuten Wirtschaftswunder träumen heutzutage viele, vom „Wohlstand für alle“ ist die Bundesrepublik jedoch weit entfernt – selbst im reichen Tegernseer Tal. Wie dieser Missstand auszuräumen ist, fragten sich auch die rund 350 Gäste des Ludwig-Erhard-Gipfels in Rottach-Egern am vergangenen Freitag. Mit heimatlich-gastronomischer Versorgung durch die Naturkäserei und Peter Blümer schuf der Veranstalter, die Münchner Weimer Media Group, den passenden Rahmen. Antworten hatten die Gäste dennoch nur bedingt – stattdessen überwogen oft kurzfristige Blicke in die Zukunft, vor allem in Wirtschaftsfragen.

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So etwa bei der ersten Podiumsdiskussion oder der „Master Speech“ von Ilse Aigner am Freitagvormittag. Mahnend trat hingegen Jung-Unternehmer Philipp Riederle auf: Der 21-Jährige beschreibt sich selbst als „Digital Native“ und forderte im Seeforum vor allem eine Offensive bei der Bildung von Medienkompetenz in Schulen. Seine sehr direkte Empfehlung an das Publikum, das im Durchschnitt deutlich älter war:

Seid offen, es wird sich nicht mehr zurückdrehen! Baut Barrieren ab, und vor allem: Habt keine Angst.

Zu den aufmerksamen Zuhörern gesellte sich während Riederles Vortrag einer, der nicht weit reisen musste, denn er war schon beim Treffen der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth dabei gewesen: Alexander Dobrindt. Der Bundesminister für Verkehr und Infrastruktur griff die Impulse seines Vorredners in einer Podiumsdiskussion über Digitalisierung und die Chancen für die deutsche Wirtschaft auf. Dabei versprach er für 2016 Milliardeninvestitionen in analoge wie digitale Infrastruktur:

Wenn wir das Thema „Wohlstand für alle“ noch ernstnehmen, dann gelten jetzt die drei I-s: Innovation, Investition und Infrastruktur.

Die „latent technologiefeindliche“ deutsche Gesellschaft müsse erkennen, dass in der Digitalisierung der Wohlstand stecke – dazu gehöre ein „digitales Selbstbewusstsein“, so Dobrindt. Auch gegen Datenschützer teilte er aus: „Wer Big Data heute als Gefahr begreift, setzt unsere Zukunft aufs Spiel.“

Michael Kerkloh, Chef des Münchner Flughafens, verteidigte die Forderung nach einer dritten Startbahn und erinnerte an die Bedeutung des Analogen im digitalen Zeitalter – vor allem in puncto Luftverkehr. Nach dem sehr abstrakten Vortrag über „Verantwortung in komplexen Strukturen“ von Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, warteten beim Ludwig-Erhard-Gipfel alle auf das große Highlight zum Abschluss – und bekamen es.

Vor der Abschlussdiskussion lauschte die Runde Luise Gräfin Schlippenbach, die als ehemalige Referentin in der Presseabteilung Ludwig Erhards für eine historische Einordnung sorgte. (Foto: Marius Mestermann)
Vor der Abschlussdiskussion lauschte die Runde Luise Gräfin Schlippenbach, die als ehemalige Referentin in der Presseabteilung Ludwig Erhards für eine historische Einordnung sorgte. (Foto: Marius Mestermann)

In der letzten Diskussionsrunde gab es ein Gros an unterhaltsamen Einlagen, etwa vom FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki, der zeigte, warum er zu den großen Hoffnungen seiner Partei gehört. Er diskutierte mit Ralf Wittenberg, dem Geschäftsführer von British American Tobacco Germany, über E-Zigaretten und die Freiheit, die sich der Einzelne nicht vom Staat nehmen lassen dürfe:

Wir haben ein Recht auf Unvernunft. Ich weiß, dass Alkohol schädlich ist – trotzdem trinke ich gerne mal ein, zwei, drei … Flaschen.

Mit Dr. Dr. Alexander Görlach, dem Gründer des Debattenmagazins „The European“, und Abtprimas Notker Wolf entwickelte sich die Diskussion fast von selbst, Moderator Wolfram Weimer spielte die Bälle im Tiki-Taka-Stil durch die Runde. Die Erheiterung wich jedoch mit dem letzten Punkt der Tagesordnung einer bedächtigen Stimmung.

Als Horst Teltschik die Bühne betrat und seine ausführliche Laudatio auf den Gewinner des Freiheitspreises der deutschen Medien, Michail Gorbatschow, hielt, konnten die Gäste des „Elitentreffens“ an eine Zeit des Optimismus zurückdenken. Gorbatschow habe „Deutschland, Europa und die Welt friedlich verändert“, so der enge Vertraute des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl.

Er konnte aus gesundheitlichen Gründen zwar nicht persönlich kommen - ein Einspieler von der Preisverleihung aus Moskau brachte Michail Gorbatschow dann aber doch zurück ins Tal. (Foto: Marius Mestermann)
Er konnte aus gesundheitlichen Gründen zwar nicht persönlich kommen – ein Einspieler von der Preisverleihung aus Moskau brachte Michail Gorbatschow dann aber doch zurück ins Tal. (Foto: Marius Mestermann)

Die heutige Zeit erscheint – auch im Lichte der Erkenntnisse des Ludwig-Erhard-Gipfels – deutlich schwerer für Optimisten. Im Vergleich zu den 90ern ist Deutschland an Herausforderungen nicht gerade ärmer geworden, gerade im globalen Kontext. Am 20. Januar 2017 soll der zweite Gipfel stattfinden – ebenfalls in Tegernsee. Womöglich hat sich bis dahin schon so manches geändert. Geradezu auffordernd klingen da die Worte von Michael Hüther:

Ein Strukturwandel ist noch nie durch den Staat getrieben worden, sondern immer von unten.

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