Das geht raus an alle Frauen

Die allgegenwärtige Asyldebatte ist nicht nur am Stammtisch, in der Familie oder im Büro das Thema Nummer eins: Auch in unserer Redaktion wird immer wieder diskutiert. Aus aktuellem Anlass veröffentlicht die TS in einer neuen Rubrik Artikel zu dem Thema, in der Redakteure ihre Sicht in einem Kommentar darstellen. Heute appelliert Nina Häußinger an alle Frauen.

Ein Kommentar von Nina Häußinger:

Wir sind auf dem Weg vom Gymnasium Tegernsee in Richtung Bahnhof. Es ist 17 Uhr. Es dämmert. Um uns ist alles ruhig. Hinter uns hören wir Schritte. Vier oder fünf Männer. Sie unterhalten sich lautstark. Sie lachen. Was sie sagen, können wir nicht verstehen. Sie sprechen nicht unsere Sprache. Sie kommen näher. Es fühlt sich komisch an, ohne dass wir es wollen. Es ist einfach da, dieses mulmige Gefühl von – ich fühle mich hier nicht wohl.

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Zeitsprung. Es ist Ende Dezember, 20 Uhr. Ich sitze im Zug von Tegernsee nach München. Eine Gruppe von rund zehn Männern steigt in die Bob. Sie lachen. Sie machen Scherze. Ich kann sie verstehen. Sie sprechen meine Sprache. Mein erster Gedanke: „Setzt euch nicht in meine Nähe.“ Warum? Weil ich weiß, dass sie mich ansprechen würden. Dass sie mit mir schäkern würden. Dass sie mich bedrängen würden. Auf keine sexuelle Art. Jedenfalls nicht offensichtlich sexuell. Aber auf eine Art, die mir in diesem Moment unangenehm wäre. Eine Art, die mich nerven würde, die anstrengend ist, gegen die ich mich wehren müsste.

Neu ist, dass ich Angst haben soll

Situationen wie diese sind nichts Neues für mich. Situationen wie diese sind nichts Neues für Frauen. Sie gehören zu meinem, zu unserem Alltag. Sie zeigen, dass die Gleichberechtigung auch in Deutschland noch nicht vollständig angekommen ist. Ob sie das jemals wird? Ja, vielleicht, irgendwann.

Neu ist aber, dass ich Angst haben soll. Angst vor den Männern, die mit Willkommensschildern und offenen Armen an den Bahnhöfen in ganz Deutschland empfangen wurden. Neu ist, dass ich mich nicht alleine auf viel besuchten Plätzen aufhalten soll. Und nicht alleine an einer Asylunterkunft vorbeilaufen. Neu ist, dass ich eine Armlänge Abstand zu Männern halten soll. Und neu ist, dass ich mich in meinem Heimatland nicht mehr sicher fühlen darf.

Ein komisches Gefühl zu haben oder genervt zu sein ist das Eine. Angst ist das Andere. Das, was so vielen Frauen in der Silvesternacht in Großstädten in ganz Deutschland angetan wurde, ist nicht in Worte zu fassen. Und das was jetzt folgt, soll diese abscheulichen Übergriffe keinesfalls verharmlosen. Doch die Ängste, die sich nun in die Köpfe von Frauen einschleichen, zerstören unsere Weltanschauung. Wir, die Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte für die Gleichberechtigung von Mann und Frau gekämpft haben, müssen jetzt zusehen, wie der Glaube an eine wenigstens im Ansatz bestehende Gleichstellung schwindet? Wegen dieser einen Nacht, sollen wir uns nicht mehr frei und ohne Angst in diesem Land, in unserem Land bewegen dürfen?

Seid selbstbewusst, offen und neugierig

Das dürfen wir nicht zulassen. Die Debatte rund um Asylbewerber, Abschiebung und Strafen muss geführt werden. Mit vielen jungen Männern sind Religionen und Gesellschaftsbilder nach Deutschland gekommen, die Frauen nicht auf die Art wertschätzen, wie wir es in unserer westlichen Welt gewohnt sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Flüchtling ein potenzieller Vergewaltiger ist.

Genauso wenig wie es bedeutet, dass Deutsche kategorisch keine Vergewaltiger sind. Doch mir geht es an dieser Stelle nicht um diese Diskussion. Mir geht es darum, wie sich jede einzelne Frau tagtäglich fühlt und verhält. Seid skeptisch. Seid wachsam. Aber seid auch selbstbewusst, offen und neugierig. Hört auf zu generalisieren. Geht unvoreingenommen und ohne Vorurteile auf Neues zu. Lasst euch eure Rechte nicht nehmen.

Das wäre das, was die Männer, ob Deutsche oder nicht, mit den Übergriffen in der Silvesternacht erreichen wollten. Denn ich bin nicht bereit, auch nur einen Millimeter meiner Freiheit aufzugeben. Und wenn Ihr Frauen da draußen noch unsicher seid, hört auf die klugen Worte des Kollegen Calsow – Ängsten stellt man sich.

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