„Sachschaden in Gmund und Waakirchen und in einem Fall auch Personenschaden verursachte ein von West nach Ost über den kompletten Landkreis ziehendes Gewitter. Dabei gab es vor allem in den beiden Gemeinden starken Hagelschlag, Schäden durch Windbruch und beschädigte Bäume.“
Eine gewöhnliche Polizeimeldung der Inspektion Bad Wiessee. Eine, die eventuell anders ausgegangen wäre, wären die Rosenheimer Hagelfliegerpiloten im Einsatz gewesen.
Experimente mit langer Tradition
Vor allem nach Unwettern werden die Rufe nach der Hagelabwehr immer wieder laut. Dabei geht das „Wolkenimpfen“ schon auf eine lange Laufzeit zurück. Bereits in den 1930er-Jahren wurden in den Landkreisen Rosenheim, Miesbach und Traunstein erste Experimente zur Hagelabwehr durchgeführt.
Im Jahr 1958 wurde auf Initiative des ehemaligen Landrats Georg Knott ein zehnjähriger Freilandversuch gestartet. Damals geschah die Freisetzung von Silberjodid vom Boden aus beziehungsweise mithilfe von Raketen in der Luft. Aufgrund des Erfolges wurde die Hagelbekämpfung danach vom Flugzeug aus fortgesetzt.
Dabei zeigen sich die Hagelflieger jederzeit bereit. Allerdings dürfen sie nur tagsüber fliegen. Per PC wird die Wetterlage im Einsatzgebiet beobachtet. Wann der Einsatz beginnt, entscheidet der Pilot selbständig. Mit 300 Stundenkilometern fliegen sie in ihren Partenavia-Maschinen in 1.000 Metern Höhe und pirschen sich heran.
Die dunkelste Stelle in einer bedrohlichen Gewitterwolke ist das Ziel von Georg Vogl und seinen fünf Kollegen. Ihr Einsatzgebiet ist recht groß. Es umfasst eine Fläche von 4.400 Quadratkilometern und erstreckt sich über die Stadt und den Landkreis Rosenheim, die Landkreise Miesbach und Traunstein sowie seit dem Jahr 2000 auch über 13 angrenzende Gemeinden des Bezirks Kufstein auf österreichischer Seite.
Neue Technik gegen das Unwetter
Mitten hinein in die Wolke soll ihre Ladung. Die Flugzeuge tragen an ihren Flügelenden raketenförmige Behälter, gefüllt mit einem Gemisch aus Aceton und Silberjodid. Dieses Gemisch wird in eine Brennkammer gespritzt und auf Knopfdruck des Piloten, der in den Aufwindbereich der Gewitterzelle fliegt, gezündet.
Genau ins Zentrum sollten die Silberjodid-Ionen gelangen, sodass die Hagelentstehung gestoppt oder von Haus aus vermieden wird. Die nach oben ins Zentrum strömende Luft reißt die Ionen mit. Diese bieten den Wassermolekülen in den Wolken Andockstellen, sodass dann Wassertröpfchen oder Hagelkörnchen entspringen. „Je mehr solcher Keimzellen in der Wolke sind, desto mehr entstehen die zahlreichen kleinen und somit harmlosen Hagelkörner, die sich auf dem Weg zum Boden meist in harmlosen Regen zurückverwandeln“, weiß Vogl.
Seit Oktober 2010 arbeiten der Einsatzleiter und seine Männer vom Hagelforschungsverein dabei mit der Hochschule Rosenheim zusammen. „Ro-Berta“ heißt das gemeinsame Projekt, das die Abwehr noch effizienter machen und den Piloten wertvolle zusätzliche Daten im Flugzeug verschaffen soll. Projektleiter Peter Zentgraf, Professor für Mess- und Regelungstechnik, hofft darauf, dass „sich aus den vom Deutschen Wetterdienst gelieferten Radardaten gute, dreidimensionale Bilder der Wolke bauen lassen“.
Dadurch ließe sich das Hagelzentrum der Wolke bestimmen beziehungsweise seine Entwicklung mitverfolgen. Unterstützt werden die Hagelflieger außerdem von den Bauernobmännern, die mit ihren regelmäßigen Gewitter- und Niederschlagsberichten zum Erfolg beitragen.
Wirksamkeit nicht eindeutig nachweisbar
Doch: Hilft das „Wolkenimpfen“ überhaupt? Die Wirksamkeit ist umstritten. Entscheidend sei laut Vogl, die Ionen zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle der Wolke zu bringen. Zweifler können das Gegenteil offenbar nicht beweisen. Befürworter argumentieren mit Erfolgen: Eine österreischische Studie verfolgte über 20 Jahre lang Vergleichsmessungen der Niederschläge in zwei Vergleichsgebieten. In dem Gebiet, in welchem Silberjodid eingesetzt wurde, zeigte sich eine Dezimierung der Hagelschäden um 40 Prozent.
In der Bevölkerung genießen die Hagelabwehr und der 1994 gegründete Hagelforscherverein großen Rückhalt. Als in den 1990er-Jahren vonseiten einiger Wissenschaftler Kritik an der Wirksamkeit der Maßnahmen laut wurde, stärkte die Bevölkerung der Hagelabwehr mit einer spontanen Unterschriftenaktion den Rücken.
Per Kreistagsbeschluss wurde daraufhin die Fortführung der Maßnahmen beschlossen. Heute unterstützen mehrere tausend Vereinsmitglieder den Fortbestand des Vereins. Und das ist nötig, sagen die Verantwortlichen. Allein die Fixkosten betragen jedes Jahr rund 220.000 Euro.
Offenbar erwartet die Bevölkerung, dass die Hagelabwehr hundertprozentigen Erfolg hat. Laut Vogl kann man jedoch nur versuchen, die Hagelkörner relativ klein zu halten. Mehr sei nicht drin – und einen hundertprozentigen Schutz gebe es sowieso nicht, dafür ist die Natur zu chaotisch.
SOCIAL MEDIA SEITEN