Shades of Grey: Schund oder heiße Literatur?

Der Herbst – die klassische Lesezeit – macht sich langsam breit. Und an einem Buch kommt man laut diverser Bestsellerlisten derzeit kaum vorbei: „Geheimes Verlangen“ oder „Shades of Grey“ führt seit Wochen die internationalen Listen der “meistgekauften Bücher” an.

Für Gerhild Ilmberger von der gleichnamigen Wiesseer Buchhandlung ein “nicht ganz nachvollziehbarer Hype”. Und so hab ich den Roman auch gelesen und mir meine Gedanken darüber gemacht.

Der Weltbestseller: Shades of Grey
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Eine Rezension von Gabi:
Anfang des Sommers hörte ich zum ersten Mal von “Shades of Grey”. Ein “Softporno mit Sadomaso-Sex”, raunte mir eine Bekannte zu. Kurz darauf ließ es sich kaum ein Medium mehr nehmen, vom Spiegel bis zu allen möglichen Frauenzeitschriften, Kommentare zu der schlüpfrigen Verkaufssensation abzugeben.

Klar, dass wir im Freundeskreis darüber diskutiert haben. „Absolut heiß“, sagte eine Freundin: „ich kann es kaum abwarten weiter zu lesen“. „Der absolute Schund“, sagte eine andere. „Eine Sprache wie aus einem Dreigroschen-Roman und fürchterliche Sex-Szenen“, fuhr sie fort.

Okay, dachte ich mir, dieses Buch muss ich mir auch zu Gemüte führen. Und das habe ich dann auch getan.

Die Entstehungsgeschichte

Als absoluter Twilight-Fan fing Autorin E.L. James zunächst an die Vampir-Love-Story um Bella und Edward auf ihren Seiten im Internet weiter zu spinnen. Dabei führte sie die blutleeren Gestalten aus ihrer nahezu körperlosen Liebe hin zu heißem Sex – so oder so ähnlich muss man sich wohl den Beginn der Erfolgsgeschichte um die biedere Hausfrau im Blümchenkleid vorstellen, die im wirklichen Leben Erika Leonard heißt.

Im Laufe der Zeit wurden ihre Geschichten immer aufregender und sie beschloss daraus ein Buch zu machen. Auf der Suche nach einem Abnehmer für ihre Story landete sie schließlich bei einem kleinen australischer Verlag, der die Gunst der Stunde erkannte und die Schottin unter Vertrag nahm.

Die Handlung

Die Story ist simpel: Man meets Girl. Er ist steinreich, attraktiv, geheimnisvoll, mit schrecklicher Kindheit und nicht wirklich zu haben. Sie dagegen ist jung, hübsch, naiv und Jungfrau. Und es kommt wie es kommen muss: Sie verliebt sich und möchte ihn aus seiner Einsamkeit befreien. Dabei glaubt sie fest an den Traum aller Mädchen (und Frauen) den einen, wahren Prinzen gefunden zu haben.

Diese eigentlich banale Story wird jedoch aufgepeppt durch eine komplizierte Verflechtung von Sex, Macht, Schmerz, Unterwerfung sowie einem System aus Bestrafung und Belohnung.

„Skandalös“, meint eine Bekannte: “Nach all der Emanzipation wollen sich Frauen plötzlich wieder unterwerfen?!” “Aber vielleicht”, antwortete ich: “Haben wir Frauen auch einfach genug davon, in allen Lebenslagen zu sagen, wo es lang geht. Vielleicht haben wir keine Lust mehr auf Kuschelsex, wo der Mann gezeigt bekommen muss, auf welches Knöpfchen er drücken soll.”

Und im Grunde ist es ja gar keine Geschichte der Unterwerfung. Denn schließlich sagt am Ende immer die Frau wo es lang geht und obwohl sie letztlich gegen alle seine Vorstellungen verstößt, liebt er sie dafür um so mehr.

Die richtigen Schlüsse ziehen

“Was wollt ihr denn nun?”, fragte mich mein Mann, als wir über das Buch diskutierten. Dabei ist das doch eigentlich ganz einfach: Der Mann soll sagen, wo es lang geht, dabei aber unsere Wünsche erraten. Und das, wenn möglich, in allen Lagen des Lebens. Es fängt bei der Familienplanung an und geht weiter über die gemeinsame Urlaubsgestaltung und die Auswahl der Geburtstagsgeschenke bis hin zum Sex.

Und da, wenn man sich die Verkaufszahlen von allein 40 Millionen Exemplaren anschaut, darf es ruhig auch etwas härter und fantasievoller sein – zumindest bis die Frau „Stop“ sagt.

Auch Alice Schwarzer ist Fan

Selbst Alice Schwarzer, die bekannte deutsche Frauenrechtlerin, hat sich schon zu „Shades of Grey“ geäußert. Die Feministin fordert einen unverkrampfteren Umgang mit dem umstrittenen Sadomaso-Buch. Es sei das Gegenteil von Pornografie, sagte sie dazu den Kollegen vom Tagesspiegel.

Die Frau werde nie zum passiven Objekt degradiert, sondern bleibe denkendes und handelndes Subjekt. Dabei lasse sich die junge Protagonistin zwar ein Stück weit auf die Welt ihres dominanten Geliebten ein, ziehe dann aber auch die Reißleine. „Warum sollte das ein Rückschlag für die Emanzipation sein?“, fragt Schwarzer. „Eine Frau schreibt über männlichen Sadismus – denn der ist das eigentliche Thema! – und über ihre weiblichen Fantasien. Das ist eher emanzipiert als rückständig.“

Die Heldin unterwerfe sich dem Mann letztlich eben nicht. „Und genau das macht wohl die Faszination für die Millionen Leserinnen aus: das Spiel mit dem Feuer, das sie selber löschen können“, erklärt Schwarzer den Erfolg des Romans.

Woher kommt der Erfolg?

Die Autorin selbst mutmaßt übrigens, der sensationelle Erfolg ihres Buches liege letztlich in der Erfindung des E-Books begründet. So könne man – wohl besonders im oft prüden Amerika – selbst in der überfüllten U-Bahn die erotischen Szenen in aller Heimlichkeit lesen.

Trotzdem kann der große Erfolg des Buches ja nicht allein darin begründet sein. Schließlich, so meinte eine Freundin neulich zu mir, gab es erotische Literatur ja schon immer. “Man denke bloß an Lady Chatterley, Fanny Hill oder Boccaccios Decamerone”.

Dabei schüttelt sie den Kopf über die 40 Millionen verkauften Exemplare: “Ich glaube die Leserinnen von Shades of Grey lesen normalerweise Rosamunde Pilcher und da steht höchstens “sie schaute ihn errötend mit leidenschaftlichem Blick an und er schloss die Schlafzimmertür”.

Ist es das? Wollen Millionen von Frauen wissen, wie es hinter der Tür weitergeht? Träumen sie in Wirklichkeit von Fesselspielen oder auch einfach nur von dem Kick und dem Mann, der das Leben besonders macht?

Meinungen

Ich jedenfalls fand die 600 Seiten tatsächlich schlecht geschrieben. Besonders gerne verwendete James beim Schreiben den Ausdruck: “Wow, dachte ich…”.

Dennoch konnte ich mich dem Charme des Buches nicht erwehren und habe mir tatsächlich schon den zweiten Teil zugelegt, der jetzt im September erschien und mit dem James auf die wachsende Popularität ihres Romans reagiert. Zwischen der oft gestelzt wirkenden Sprache fand ich die Story eben doch ziemlich heiß und auch romantisch.

Für E. L. James aber auch die Buchhandlungen, die es verkaufen, hat sich das Buch auf jeden Fall gelohnt. Bereits im Ende Oktober erscheint der dritte Titel. Gerhild Ilmberger von der Wiesseer Buchhandlung Ilmberger erwartet dann einen großen Ansturm auf das Buch.

Eine Nachfrage, die sich von Mal zu Mal gesteigert hat, wie Sie verrät: “Beim ersten Teil waren die Kunden noch verhalten. Da lief das Buch vor allem als E-Book.” Bereits bei der Fortsetzung habe sich das aber komplett geändert. “Mittlerweile verkauft sich der Roman von ganz alleine.”

Ihre ganz persönliche Einschätzung gibt Ilmberger auch ab: “Unterhaltsam ist das Buch. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, versteh ich den Hype, der darum gemacht wird, nicht so ganz.”

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