Mit verschiedenen Übungen lernt man hier nicht nur das Reiten, sondern auch spielerisch den Umgang mit den Pferden. „Ich dachte, das haut nie hin, aber es hat geklappt.“ Die MS-Patientin war vorher noch nie geritten.
Seit sie 25 Jahre ist, leidet die Münchnerin an Multipler Sklerose. „Es ist eine schlimme Krankheit, bei der man langsam verfällt“, sagt sie. Anfangs zeigte sich die Krankheit recht unauffällig. Als sie ungefähr 40 Jahre war, fingen die Behinderungen an: Krücken, Rollator, Rollstuhl – immer mehr Hilfen waren nötig, um weiter mobil zu bleiben.
Reiten ist die „beste Medizin“
Ihre „beste Medizin“ ist das therapeutische Reiten. „Meine Krankengymnastin hat mich damals darauf aufmerksam gemacht, dass es so etwas gibt. Sie wusste auch, dass die DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) einen Kleinbus nach Waakirchen organisiert.“ Franz ist der Fahrer, der die acht Frauen und Männer in verschiedenen Vierteln der Landeshauptstadt abholt.
Von Schira, die in Waldtrudering wohnt, ist die Letzte, die er abholt, und die Erste, die er nach der Therapie wieder zu Hause abliefert. Fünf Euro kostet es für die Patienten, sich von der Haustür abholen zu lassen und hierherzukommen. Mit fünfzig Euro schlagen die 20 Minuten im Sattel zu Buche.
Therapie aus eigener Tasche bezahlt
Ist man Mitglied in der MS-Direkthilfe, bezahlt man die Hälfte. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten der sogenannten Hippotherapie nicht. Trotz der Kosten, die sich mit der Zeit natürlich summieren, sind von Schira und ihre Reiterkollegen überzeugt vom Therapieerfolg. Sie spüren, dass sie ihre Krankheit damit positiv beeinflussen können.
„Die Therapie bringt mir eine unheimliche Kontrolle über meinen Körper zurück“, sagt sie. „Dadurch, dass man beim Reiten so viel machen muss, gerade sitzen, extrem viele Muskeln anspannen und entlasten.“ Das wirke sich laut von Schira dann auch positiv auf die übrigen Therapien aus – etwa auf die Krankengymnastik.
Sechs Pferde, viele Therapeuten, ein Führer
Bereits seit 1995 ist der Dienstag im Kalender der 61-Jährigen als fester Termin geblockt.
Angefangen hatte sie damals mit „Brösel“. Im Laufe der Jahre hatte sie schon jedes Pferd einmal geritten, erkennt mittlerweile an der Bewegung, wer sich unter ihr befindet.
„Leo zum Beispiel hat einen sehr kräftigen Schritt“, bestätigt sie. Neben dem braven Süddeutschen Kaltblut schreiten gerade Lotte, Ulla, Moritz, Maja und Willi in der geräumigen Halle im Kreis. Auf jedem Rücken genießt ein Patient das Geschehen. Begleitet von jeweils so vielen Therapeuten, wie der Mensch gerade braucht, sowie je einem Pferdeführer.
Neugierig schaut Leo, wer ihm denn da den Hals tätschelt – Traudl von Schira lacht. Sie liebt die schaukelnden Bewegungen des schönen Braunen. „Die dreidimensionalen Schwingungsimpulse werden genutzt, die von dem im Schritt gehenden Pferd auf den aufrecht sitzenden Patienten übertragen werden“, formuliert es Josepha Six, Physiotherapeutin, Hippotherapeutin und Inhaberin des Straußenhofes.
Allein der aufrechte Sitz im Schritt sei eine erhebliche Anforderung. „Für den Menschen, der auf dem Pferd sitzt, bedeutet dies eine ständige Korrektur, ein ständiges Training der Muskulatur während dieser Aktivität.“
„Wer nichts macht, kann bald nichts mehr machen“
Seit 36 Jahren bietet der Straußenhof therapeutisches Reiten an. Hauptmotivation für die Gründerinnen sind die Menschen, bei denen die Therapie mit dem Pferd gelingt. Die großen und kleinen Patienten, ihre Freude und Begeisterung. So wie die von Traudl von Schira.
„Die Therapeuten passen auf, wie man sitzt, ob man sich aufrecht hält, wie man sich auf dem Pferd dreht, wie man nach hinten fasst“, erzählt sie. „Das Schönste ist, dass man ganz frei auf dem Pferd sitzen kann, nur mit einer Decke und einem Therapiegurt, an dem man sich festhalten kann.“
Das Rezept für das Gelingen der Therapie erfordert allerdings auch perfekte Organisation und Sicherheit für Ross und Reiter: einen Lifter, der dem Reiter vom Pferd herunterhilft, eine Rampe für die Rollstühle, eine harmonische Gruppe. Deshalb nehmen viele Patienten einen weiten Anweg in Kauf. Etliche kommen aus dem Tegernseer oder Isartal, aber auch aus München und Umgebung.
Es gibt zahlreiche Interessenten für die Therapie: Unfallpatienten, Cerebralgeschädigte, Multiple- Sklerose-Patienten, Schlaganfallgeschädigte. Die Nachfrage ist größer als das Angebot. Und die Wirkung auf die Erkrankung anscheinend beträchtlich. Traudl von Schira formulierte es folgendermaßen: „Wenn man nichts dagegen macht, dann kann man bald gar nichts mehr machen.“
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