„Unternehmen im globalen Wettbewerb“ – unter diesem Motto diskutierten am vergangenen Montag Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, und Ilse Aigner, Präsidentin des Bayerischen Landtags, im Hotel „Das Tegernsee“. Eingeladen zu der Veranstaltung hatte der Wirtschaftsbeirat Bayern Bezirk Oberland.
In ihrer Begrüßungsrede plädierte dessen Präsidentin Prof. Dr. Angelika Niebler, Mitglied des Europäischen Parlaments, für mehr Europa und warf die Frage auf: „Wie steht es um unsere Soziale Marktwirtschaft?“ Denn derzeit würden deren Grundideen auf eine Prüfung gestellt. Die Europäische Union sei auf dem besten Weg, eine Transferunion zu werden – für die Präsidentin des Wirtschaftsbeirats Bayern ein „No-Go“.
Was die Welt und Wirtschaft bewegt
Zwar begrüße sie das Klimaschutzpaket, wie es die Bundesregierung geschnürt hat, da dieses sich an einem marktwirtschaftlichen System orientiere. Planwirtschaftliche Bestrebungen lehnt Niebler allerdings kategorisch ab: „Wollen wir in Richtung Sozialismus und Planwirtschaft gehen? Das ist meiner Meinung nach ein Irrweg! Oder sollten wir nicht lieber die Soziale Marktwirtschaft wiederbeleben?“ Ein Baustein sei für sie die komplette Abschaffung des Solidaritätsbeitrags:
Ich setze auf Freiheit. Wir dürfen Europa nicht den Populisten und Nationalisten überlassen.
Auch Kaeser, der sich bereits öfter in politischen Statements äußerte, brach in seinem Vortrag eine Lanze für soziale Verantwortung und Soziale Marktwirtschaft. Und hatte durch kurzweilige und prägnante Thesen bald die Aufmerksamkeit und Zustimmung des Auditoriums auf seiner Seite. Was die Welt im Ganzen bewege sei zum Ersten der rasante Anstieg des Populismus.
Doch Abgrenzung und Abschottung seien für Deutschland und Europa und seine Wirtschaftskraft „tödlich“. Aufgabe von Führungsverantwortlichen, die der Siemens-Chef allerdings nicht nur in den großen, international agierenden Konzernen verortet sieht, sei es, sich für Friede und Freiheit einzusetzen. Auch die globale Migration müsse als Verantwortung begriffen werden.
„Wer den Klimawandel verneint, ignoriert die Realitäten“
Unerwartet deutlich äußerte sich Kaeser zur Klimaschutzdebatte. „Ich freue mich, dass die junge Generation die Thematik des Klimawandels aktiv angeht und dafür auch auf die Straße geht. Die jungen Leute müssen ernst genommen werden. Schließlich ist es ihre Zukunft.“ Doch könne es keinen Klimaschutz ohne funktionierende Wirtschaft geben.
Stattdessen seien nun die richtigen Maßnahmen gefordert – wofür es eine stabile und verantwortungsbewusste Wirtschaft brauche. Und er warnte vor einem kurzfristigen Klimapopulismus, der die Wirtschaft schädige. Denn: „Nur wer wirtschaftlich stark ist, kann in die notwendigen Innovationen investieren.“ Die Maßnahmen müssten ökonomisch vertretbar und in der Gesellschaft akzeptiert sein: „Sonst werden viele in die Armut abrutschen.“
Die vierte industrielle Revolution – „drin oder draußen“
Mehr Mut forderte Kaeser bei der Gestaltung der Digitalisierung, das Rationalisierungspotenzial in der Industrie bezifferte er bei 30 Prozent. „Die vierte industrielle Revolution ist binär – drin oder draußen. Sie duldet kein Mittelmaß.“ Innovationen finden heute doppelt so schnell statt – und bieten gleichzeitig großartige Chancen für jene, die aktiv gestalten. Der Strukturwandel betreffe dabei nicht nur die Industrie, 70 Prozent des Handels komme aus dem Handwerk.
Weitere Gefahren sind, so Kaeser, eine „eklatante Zunahme des Kurzfristdenkens“ und Opportunismus. „Das ist für mich der Anfang vom Ende der Demokratie.“ Man müsse wieder dringend die Eigentümerkultur stärken. Gerade Familienunternehmer, für die das Eigentum Zweck dessen ist, was sie tun, bedürften einer besseren Reputation. Deren betriebliches Handeln sei auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, nicht auf bloßes Mehren von Vermögen.
Politik muss Mittelstand stärken
Der genannten Entwicklung hält der Siemens-Chef ein Konzept des „inklusiven Kapitalismus“ entgegen. Nur so könne man die Belegschaft mitnehmen und auch der Gesellschaft etwas geben. Die Eliten müssten sorgfältig mit der gesellschaftlichen Spaltung umgehen, soziale Verantwortung wahrnehmen und Menschlichkeit zeigen. Doch nur wer hat, kann auch geben. Daher sei es Aufgabe der Politik, die Wirtschaft und insbesondere den Mittelstand zu stärken. „Wir brauchen einen Plan B, wenn Europa es nicht schafft, eine gemeinsame Außenwirtschaftspolitik zu etablieren“, so Kaeser. „Das Handwerk ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Es wird die Zukunftsbranche in der digitalen Welt sein.“
Dem schloss sich auch Landtagspräsidentin Ilse Aigner in der anschließenden Podiumsdiskussion an. Moderiert wurde diese von Kornelia Kneissl, Vorsitzende im Bezirk Oberland des Wirtschaftsbeirats. Aigner unterstrich die herausragende Rolle, die dem Handwerk zukomme. Angesprochen auf die derzeitige Debatte um die Vermögensteuer bezog sie klar Position: Derartige Substanzsteuern erschwerten gerade kleinen und mittleren Betrieben das Überleben, wie auch die Erbschaftsteuer. Das Geld solle lieber in Innovationen investiert werden.
Das Handwerk hat eine große Zukunft. Mittelständische Unternehmen haben das Gen der Nachhaltigkeit.
Mit der provokanten Frage von Kneissl, ob Nicht-Demokratien wie China besser geeignet seien, auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren, wurde die Podiumsdiskussion wieder auf eine globale Ebene gehoben. Die EU stelle mit mehr als 500 Millionen Einwohnern eine starke Wirtschaftsmacht dar. Schon aus diesem Grund sei es wichtig, dass der Staatenverbund nicht auseinanderbricht, sondern gemeinsam agiert – etwa mit klaren Regeln gegenüber China, sagte Niebler und verfocht ein weiteres Mal den Zusammenhalt der europäischen Mitgliedsstaaten.
Die EU habe viel erreicht, doch nur Europa als Ganzes könne die notwendige Masse auf die Waage bringen, um nicht überrollt zu werden. Joe Kaeser ergänzte: „China ist das effizientere System bei Innovationen. Das darf nicht unterschätzt werden. Denn in der Wertschöpfungskette wirkt sich die globale Wirtschaft auf allen Ebenen aus, bis zum Bäcker oder ins Wirtshaus im Dorf.“
Tal-Bürgermeister im Publikum
Unter den gut 200 Zuhörern im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal befand sich auch einige Lokalprominenz, unter anderem der Bürgermeister der Stadt Tegernsee, Josef Hagn, sein Kollege aus Gmund, Alfons Besel, Otterfings Bürgermeister Jakob Eglseder und der Ratshauschef aus Holzkirchen, Olaf von Löwis, Sprecher der Landkreisbürgermeister. Weitere Gäste waren Alexander Radwan, MdB des Landkreises, und Herzogin Anna in Bayern mit ihrem Ehemann Freiherr Andreas von Maltzan. Ausklingen ließen die Gäste den Abend bei einem Get-Together, zum dem Hoteldirektor Sven Scheerbarth im Anschluss einlud.
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