Was schnell als schlecht geschlafen abgetan wird, hat manchmal einfache Ursachen: Zähneknirschen. Dabei werden durch Fehlstellungen im Kiefer enorme Kräfte freigesetzt – mit Folgen für den Organismus.
Jeder dritte Erwachsene Deutsche knirscht, laut Bundeszahnärzte-Kammer, im Schlaf mit den Zähnen. Der Druck, mit dem die Kiefer dabei aneinander gerieben oder gepresst werden, ist um ein Vielfaches stärker als beim Kauen. Mediziner nennen das „Bruxismus“. „Je länger Bruxismus unbehandelt bleibt, desto verheerender fällt die Schadensbilanz aus“, weiß Dr. Siegfried Marquardt aus Tegernsee.
Wir haben uns mit Dr. Marquardt unterhalten und ihn zu den Ursachen und den möglichen Behandlungsmöglichkeiten für das Zähneknirschen befragt:
Tegernseer Stimme: Herr Dr. Marquardt, viele Menschen knirschen nachts mit den Zähnen. Welche Ursachen hat das?
Dr. Siegfried Marquardt: Menschen verarbeiten die Dinge, die sie tagsüber erleben nachts, wenn sie schlafen – vor allem in der sogenannten REM-Phase, wenn sie träumen. Bei der Verarbeitung des Erlebten treten Ventilreaktionen auf, wie z.B. muskuläre Aktivitäten. Das macht jeder Mensch unterschiedlich. Häufig macht er das eben unbewusst im Schlaf, indem er die Zähne aufeinander presst und knirscht.
Tegernseer Stimme: Durch welche Faktoren wird das begünstigt?
Marquardt: Je mehr Patienten im Stress sind, desto stärker kann das passieren. Das muss nicht unbedingt negativer Stress sein, sondern kann auch positiv sein, wie zum Beispiel die Aufregung vor einer Hochzeit oder einem Sportereignis. Aber in über 70 Prozent der Fälle ist belastender Stress die Ursache fürs Knirschen. Ganz häufig sind die Patienten Abiturienten und Examenskandidaten in der Lernphase, aber auch Top-Manager und Menschen, die sehr in der Öffentlichkeit oder unter Druck stehen.
Knirschen kann Grund für Rückenschmerzen sein
Tegernseer Stimme: Ein Problem beim Knirschen für die Patienten ist der sogenannte Bruxismus, die Abnutzung des Zahnschmelzes. Welche Auswirkungen hat das auf den Rest des Körpers?
Marquardt: In extremen Fällen – wenn das Knirschen über Jahre hinweg andauert – kann sich die komplette Zahnschmelzschicht abreiben. Das hat zum einen Auswirkungen auf den Schutz des Zahnes: Die Zähne werden empfindlicher auf Temperaturen, es tut weh beim Kauen und so weiter.
Tegernseer Stimme: Und das hat Auswirkungen auf den ganzen Körper?
Marquardt: Die funktionellen Folgen sind das Entscheidende. Das fängt damit an, dass sich zuerst die Eckzähne abnutzen, die die Zähne bei Bewegungen nach links und rechts führen und die Belastung auf Backen- und Frontzähne verringern. Diese Entlastung verschwindet durch die Abnutzung der Eckzähne und die Front- und Seitenzähne werden dadurch stärker abgeknirscht. Das sieht man dann an verkürzten Frontzähnen zum Beispiel.
Tegernseer Stimme: Wie sehen die Folgen aus?
Marquardt: Durch die Abnutzung der Zähne ist beispielsweise die Muskulatur nicht mehr harmonisch belastet. Weil die Muskulatur versucht, das auszugleichen kommt es zu Verspannungen, die sich über die zusammenhängenden Muskelketten über den Nacken, den Rücken, bis ins Gesäß ausweiten.
“… in den vergangenen Jahren rapide angestiegen“
Tegernseer Stimme: Wie lange muss man dafür knirschen?
Marquardt: Das kommt auf die Intensität an. Abiturienten zum Beispiel schaffen das in ein bis zwei Jahren. Viele Leistungssportler haben durch das „durch Training assoziierte“ Knirschen eine sehr ausgeprägte Kiefermuskulatur. Schleichend kann der Prozess Jahre andauern, bis der Patient etwas merkt.
Tegernseer Stimme: Wie kann man selbst zu der Schlussfolgerung kommen, dass beispielsweise Nackenschmerzen vom Zähneknirschen kommen und nicht, weil man das falsche Kissen hat?
Marquardt: Um das festzustellen, muss man den Schmerz über die Dauer beobachten. Wenn Sie über einen längeren Zeitraum hinweg morgens direkt nach dem Schlafen unter Kopfschmerzen leiden oder unter Verspannungen im Nackenbereich, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Sie nachts mit Ihren Zähnen gearbeitet haben. Die Ursachenkette kann aber auch umgekehrt sein – also, dass das Knirschen Folge einer Fehlstellung beispielsweise in den Beinen oder im Beckenbereich ist.
Tegernseer Stimme: Mit Rückenschmerzen geht man ja eigentlich auch nicht zum Zahnarzt. Wie stelle ich denn fest, dass der Auslöser bei meinen Zähnen liegt?
Marquardt: Das können beispielsweise gute Physiotherapeuten feststellen und ihrem Patienten sagen, dass ihre Rückenprobleme möglicherweise mit den Zähnen zusammenhängen und verweisen dann auf Ihre Kooperationszahnärzte. Dabei ist eine enge Abstimmung und Kooperation zwischen Physiotherapeut oder Osteopath und Zahnarzt entscheidend.
Tegernseer Stimme: Und wie wird das Knirschen dann im Nachgang behandelt?
Marquardt: Die klassische Methode ist, eine sogenannte Aufbißschiene herzustellen, die für den Patienten individuell hergestellt wird – auf Basis der vorher beschrieben Funktionsanalyse. Die Schienen haben unterschiedliche Höhen und kompensieren die Abnutzungen der Zähne. Die Aufbißschienen werden anhand der Analyse des Patienten hergestellt und sollen die normale Kieferstellung wiederherstellen und die Muskulatur entlasten.
Weitere Fragen beantworten Ihnen Dr. Siegfried Marquardt und sein Team der Zahngesundheit am Tegernsee.
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