“Arsch offen”, “Demokratie zurückholen” – so tönte Hubert Aiwanger (FW) von einer Bühne vor einer Woche. Nicht alle Freien Wähler sind begeistert vom Auftritt bei der Heizungsdemo in Erding. War das richtig? Oder lag Aiwanger, der Mann fürs Grobe, falsch?
Michael Bourjau, Stadtrat der FWG in Tegernsee
Sicher – gerade in Bayern, so glauben viele, mag man das Handfeste, das Kracherne. Im Bierzelt ist kein Platz für Zwischentöne. Politik muss da schlicht sein. Menschen mit einem Liter Bier vor sich wünschen sich einfache Hauptsätze, gern auch mal was Vulgäres dabei. Ohne Zweifel bedient der Parteichef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, diese Wünsche. Für manche wie Michael Bourjau aus Tegernsee hat der Parteivorsitzende am vergangenen Wochenende eine rote Linie überschritten. Für uns hat der Stadtrat seine Sichtweise zusammengefasst. Wir bringen sie ungekürzt und laden zur sachlichen Diskussion ein:
“Die freie Meinungsäußerung ist als hohes Gut im Grundgesetz verankert und von der paritätischen Diskussion lebt unsere Demokratie. Insoweit steht es jedem frei, seine persönliche Einschätzung im Rahmen des Erlaubten zu formulieren. In der Satzung der Freien Wähler ist ausdrücklich vermerkt, dass politische Arbeit sachbezogen und frei von Parteiideologie und Gruppenegoismen sein sollte. Die Freien Wähler sehen sich als Alternative zu den Parteien bei der politischen Willensbildung des bayrischen Volkes, was per se Fachkenntnis und Verständnis über die Zusammenhänge voraussetzt. Politiker sollten also Sachverhalte verständlich beschreiben, Lösungen, die aus ihrer Sicht richtig sind, formulieren können und damit konstruktive Politik vorantreiben. Auf kommunaler Ebene sehe ich als Stadtrat bei den Freien Wählern demokratisch gesinnte und liberale Menschen, die zum Wohle der Gemeinde diskutieren und um Lösungen ringen.
Populismus lebt von Angst
Die Landespolitik zeigt eine rohe und populistische Sprache und gebraucht zunehmend Narrative und Pseudo-Fakten der Rechtspopulisten, als Wahlkampf entschuldigt. Statt unflätig gegen „die da oben“ zu brüllen, könnte sich ein stellvertretender Ministerpräsident mit Sachbeiträgen einbringen. Man muss seinen Wählerinnen und Wählern zumuten, sich mit Inhalten befassen und auf dieser Basis eine Meinung bilden zu können. Derartiger Populismus lebt von Angst und Wut und spricht die Fähigkeit zu einer sachlichen Auseinandersetzung ab.
Ich erwarte von unseren Politikern und Politikerinnen, dass sie sich ehrenhaft, lösungsorientiert und achtsam mit allen Themen beschäftigen. Populistische Rhetorik fokussiert hingegen eine plakative, schwarz-weiße Sichtweise und lässt damit keinen Raum für differenzierte Meinungen und Gedanken, die einen konstruktiven Dialog bereichern.
Inhalte statt Abwertung und Vernichtung Andersdenkender
Dies zerstört in einer mehrheitlichen Gesellschaft eine ausgewogene politische Konsensbildung, die nicht allein auf eine Einordnung in konservative oder populistische Ansätze reduziert werden sollte. Sie legt den Verdacht nahe, demokratische Prozesse dem eigenen Fortkommen und Machterhalt zu opfern und damit verbrannte Erde in Kauf zu nehmen. Der Sache selbst widmet man sich damit nicht. Ich wünsche mir im Umgang mit dem politischen Gegner einen Gesprächskodex, der inhaltsbezogen geprägt ist und nicht die Abwertung oder Vernichtung des Andersdenkenden zum Ziel hat.
Im Moment wäre es leicht, sachbezogen zu argumentieren, da die Politik zu vielen Themen vorschnelle und wenig durchdachte Entscheidungen fällt. Dazu zählen sicher der erste Entwurf zum Heizungsgesetz, die Strategie zur Energiewende und die Migrationspolitik in Summe. Politiker sollten sich in Acht nehmen, dem Stimmenfang jede Sachlichkeit zu opfern und allem unterzuordnen. Damit verliert man Glaubwürdigkeit.”
Michael Bourjau
Stadtrat (FWG) und 2. Bürgermeister von Tegernsee
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