Abgesoffen

„Der Hype hat uns nicht gut getan“: Die Piratenpartei ist nach aufregenden ersten Jahren in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken. Im Landkreis Miesbach findet sie dank Einzelkämpfer Norbert Hirsch dennoch Gehör. Ist die Zeit reif für ein Comeback?

Norbert Hirsch wollte den Landkreis Miesbach mit seinen Piraten entern - doch was wurde daraus? / Bild: Montage,  Torsten Krahn/CC BY 2.0
Norbert Hirsch wollte den Landkreis Miesbach mit seinen Piraten entern – doch was wurde daraus? / Bild: Montage, Torsten Krahn/CC BY 2.0

Ganz Deutschland spricht über die AfD – die „Alternative für Deutschland“ – eine Partei, die erst vor drei Jahren gegründet wurde und nun mit zweistelligen Wahlergebnissen in Landtage einzieht. Auch im Landkreis Miesbach machen die Rechtspopulisten zunehmend auf sich aufmerksam. Der Aufstieg der AfD als neue politische Kraft lässt Erinnerungen wach werden an eine Partei, die Deutschland vor gut fünf Jahren ebenfalls überrumpelte und vor allem junge Menschen begeisterte. Jedoch mit völlig anderen Ideen: Die Piratenpartei.

„Am Anfang hatten wir einen Hype“, erinnert sich Norbert Hirsch, der Landkreisbeauftragte der Piraten in Miesbach. „Viele Leute wollten ein Mandat holen und Einfluss gewinnen.“ Mit Themen wie Transparenz, der Stärkung von Bürgerrechten im Kontext der heutigen Informationsgesellschaft, trafen die Piraten den Nerv vieler Menschen – auch im Oberland.

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Diese Themen sind zwar nach wie vor aktuell, die Piratenpartei hingegen ist – gelinde gesagt – abgesoffen. Das gilt nicht nur für die bundesweite Bewegung, die seit dem Höhepunkt 2012 fast zwei Drittel ihrer Mitglieder verloren hat. Auch im Landkreis Miesbach ist – Stand Ende Dezember 2015 – ein trauriger Rest von vier stimmberechtigten Parteimitgliedern geblieben. Das reicht nicht einmal für einen Kreisverband. Auch die früheren Stammtische in Holzkirchen finden längst nicht mehr statt.



Piraten wollen Verantwortung für Flüchtlinge übernehmen

Norbert Hirsch gibt dennoch die Hoffnung nicht auf. Wenn es nach Hirsch geht, sollen die Ideen der Piratenpartei eine Zukunft haben. Zuletzt beteiligte sich die Partei an der Organisation des Ostermarschs in Miesbach, bei dem einem Bericht zufolge gut 170 Personen für Frieden und soziale Gerechtigkeit demonstrierten – natürlich auch vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Flüchtlingskrise.

Björn Semrau, außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der Piratenpartei Deutschland, erklärt den Standpunkt seiner Partei: „Wir müssen uns unserer ethischen Verantwortung für diese Menschen bewusst werden.“ Ähnlich sieht das Norbert Hirsch:

Jeder Mensch hat das Recht zu sein, wo er sein will. In Kriegszeiten, wenn jemand auf der Flucht ist, ist es eigentlich klar, dass wir helfen müssen.

Und das ohne Einschränkungen, findet der Pirat mit Blick auf „das Grenzzaungeschwätz“ und „den Obergrenzenschmarrn“. Doch politische Verantwortung kennt die Piratenpartei kaum – im Landkreis Miesbach konnte sie bislang kein einziges Mandat erobern. Stattdessen hat sich Norbert Hirsch mittlerweile einen Namen als Experte für Transparenz und Live-Übertragungen von Gemeinderatssitzungen gemacht.

Er und etliche andere Piraten „enterten“ 2014 den Schlierseer Gemeinderat, daraufhin war Transparenz auch in Holzkirchen wieder ein Thema. Im vergangenen Jahr referierte Hirsch unter anderem im Waakirchner Ratssaal, der wegen seiner Probleme mit der Barrierefreiheit ein ernsthafter Kandidat für Live-Übertragungen wäre. Auch in Bad Wiessee sorgt das Thema Transparenz für anhaltende Diskussionen. Wie die TS berichtete, sollte Norbert Hirsch im März 2016 einen Vortrag im dortigen Gemeinderat halten.

Bis auf den letzten Platz war der Ratssaal in Schliersee gefüllt
Vor zwei Jahren erschienen so viele Piraten im Schlierseer Ratssaal, dass die Sitzplätze knapp wurden – eine Geschichte der Vergangenheit.

Bürgermeister Peter Höß hatte im November noch gesagt: „Es wäre schön, wenn in der Sache etwas vorangehen würde. Ich habe damit überhaupt keine Probleme.“ Doch auf Nachfrage der TS erklärt Wiessees Geschäftsleiter Michael Herrmann, dass man aktuell kein Interesse habe: „Die Verwaltung beschäftigt sich damit, aber was Herr Hirsch vortragen würde, weiß der Gemeinderat schon.“ Eine Antwort aus Wiessee erhielt der Pirat laut eigener Aussage jedoch nie. Auch das veranlasst ihn zu der Einschätzung:

Unsere Arbeit wird nicht mehr recht gewürdigt.

Medial sei man im Hintertreffen, die Piratenpartei müsse mehr öffentliche Präsenz erreichen. Dazu will Hirsch in Zukunft verstärkt auf die Jugend zugehen, schließlich war die junge Generation einst Haupttreiber für den Piratenhype. Rückblickend stellt er allerdings fest, dass die große Aufregung seiner Partei geschadet habe. Dafür hat Hirsch jetzt offenbar eine neue Aufgabe gefunden, bei der ihm das Pirat-Sein anzumerken ist.

Der Bayerische Gemeindetag hat sein Interesse geweckt. Der kommunale Spitzenverband mit Sitz in München vertritt die Interessen von 2028 bayerischen Gemeinden, darunter auch alle Kommunen im Landkreis Miesbach. Für diese Leistungen zahlen die Gemeinden – je nach Einwohnerzahl – einige Tausend Euro. Norbert Hirsch: “Was da an Geld zusammenkommt – ich find’s heftig.”

Ein Comeback ist nicht in Sicht

Hirsch – ein klassischer Pirat. Jedes Boot, sei es noch so klein, will der Miesbacher entern. Skeptisch ist er auch gegenüber dem Grünen Landrat Wolfgang Rzehak: „Nach meinem Empfinden driften die Grünen generell politisch auf die rechte Seite. Ich glaube, da kann man auch Rzehak nicht ausklammern.“

Wenngleich Norbert Hirsch so manchen Standpunkt vertritt, den auch Bürger im Landkreis Miesbach teilen – ein Comeback der Piraten ist nicht in Sicht. Vielmehr hat die Partei ihr Alleinstellungsmerkmal verloren und damit die Fähigkeit, ernsthaft zu polarisieren. Eindeutiges Fazit des Rückblicks: Entern gescheitert – die Piraten sind vorerst abgesoffen.

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