Man nehme eine idyllisch gelegene Alm, 65 Kunstschaffende und ein sonniges Wochenende und heraus kommt dabei eine Kunstvernissage, die es so in der Region wohl nicht vergleichbar gibt. Einmal im Jahr stellt Jürgen Altmann aus Bayrischzell seine Peterbaueralm für die „Almvernissage“ zur Verfügung, einer Kunstausstellung in der Natur, welche ihre Besucher nicht nur zum Berg gehen animiert.
Der Weg zur Peterbaueralm. / Foto: SB
Der Weg hin zur Peterbaueralm in Bayrischzell ist schon ein Ausflug für sich. Vorbei an den Grünen Gumpen und dem Wasserfall, steigt man in 30 Minuten hinauf, geleitet von neonfarbenen Wegmarkierungen, bis auf einer Lichtung die ersten Kunstwerke zu sehen sind.
Der Weg ist hier das Ziel, so hat Jürgen Altmann auch dazu aufgerufen, schon am Wegesrand der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen und die Natur als Leinwand zu nutzen. Ein paar Steinmännchen sind so auch entstanden und stimmen die Besucher auf eine ganz besondere Kunstausstellung ein.
Vernissage mal anders
Denn was der Bayrischzeller auf der Alm in Familienbesitz erschaffen hat, ist ein völlig freier, unkomplizierter und naturverbundener Kunstraum. Eine Galerie unter freiem Himmel. Ohne Zwänge, Jurierung oder gesellschaftlichen Konventionen entsprechen zu müssen. Anstatt Sektempfang gibt’s einen Bierbrunnen, Canapés werden gegen einen Food-Sharing-Table eingetauscht. Alles ganz zwanglos.
Für die jährliche „Almvernissage“ stellt Jürgen Altmann seine Alm in Familienbesitz als außergewöhnlichen Ausstellungsort zur Verfügung. / Foto: SB
Dafür stellt er seit vier Jahren die Räume der Peterbaueralm, sowie die umliegenden Wiesen, Hänge und Wald für Künstler aus Nah und Fern zur Verfügung. Ein Wochenende lang versammeln sie sich und ihre unterschiedlichen Werke dort oben, in diesem Jahr waren es 65 Kunstschaffende. Unter ihnen auch Künstler aus der Region wie Nele von Mengershausen, Burkhard Niesel sowie Klaus und Tutti Goggolin. „Deren Werke durfte ich entgegennehmen und auf der Alm ausstellen, das hat mich sehr gefreut“, erzählt Jürgen Altmann.
Werke des Künstlers Burkhard Niesel. / Foto: SB
Die Bayrischzeller Künstlerin Nele von Mengershausen nahm mit einer besonderen Aktion zum wiederholten Male an der Almvernissage teil. An einer langen Tafel durften die Gäste Platz nehmen und selbst die Aktion „Brot und Butter und Tusche“ ausführen. Butterbrot schmieren, dem Nachbarn geben, das erhaltene Butterbrot auf ein Blatt Papier drücken, den Fettfleck leicht mit Wasser besprühen und dann mit Tusche im Fluss zu einem eigenen Kunstwerk machen.
Lesetipp: Nele von Mengershausen: In Resonanz mit der Natur
Butterbrot essen kam natürlich auch noch. „Essensgenuss, Grenzerfahrung mit Tusche und Materialerfahrung“, erklärt die Künstlerin. Es sei toll zuzusehen, welche Werke sich ergeben, mit welchem Genuss die Leute ihre Butterbrote essen würden und was für tiefe Gespräche durch die Aktion entstünden.
Wiesen, Wald und die Alm
Überall auf den Hängen und Wiesen um die Alm herum verteilt sind Kunstwerke und Kunstgebilde zu sehen, ein Plan gibt Hinweise darauf wo sich überall Kreativität versteckt. Mittels QR-Codes entdeckt der Besucher auch die Schöpfer der Werke. Alle Beiträge stehen für sich und ergeben in der abgeschiedenen Atmosphäre doch eine kreative Einheit. Vor vier Jahren hat Jürgen Altmann mit seiner „Almvernissage“ begonnen, eigentlich nur, weil er die Figur der befreundeten Künstlerin Christa Häusler auf seiner Wiese ausstellte, da diese sonst im Stall versauert wäre.
Eine große Kunstfigur von Susu Gorth. / Foto: SB
„Ich dachte mir, es ist doch eine Schande, wenn Kunst nicht sichtbar bleibt.“ Er organisierte ein Fest drumherum und so entstand die erste Ausstellung im Freien. Im zweiten Jahr waren es schon elf, im dritten Jahr 25 und nun im vierten Jahr sogar 65 Künstler, die dem Ruf der Alm folgten. „Ich möchte den Künstlern einen anderen Ort zur Verfügung stellen, als die Gewöhnlichen“, erklärt er. Kunst wirke ganz anders, wenn sie in der Natur stehe oder sogar entstehe.
International Mountain Art Residency
Denn einige Werke seien extra für die Almvernissage entworfen oder eben sogar dort erst erschaffen worden. Zum ersten Mal organisierte er dafür eine „International Mountain Art Residency“. Dafür lud er zwei Künstler aus dem Ausland ein, einen Monat lang auf der Peterbaueralm zu leben und für die Ausstellung ihre Kunst zu schaffen. Vor drei Monaten sei er auf einer Reise durch Indien in die Galerie von Aashish Moga in Delhi gelaufen. Er war begeistert von den Werken des 35-Jährigen und lud ihn zu sich nach Bayrischzell ein.
Die Schlafkammer mit Kunstwerken von Aashish Moga in der Peterbaueralm. / Foto: SB
Was der autodidaktische Künstler in seiner Schlafkammer in der Hütte geschaffen hat, ist intim und gleichzeitig allumfassend. Als Fortführung einer seiner Werkreihen in Indien hat er eine indische Matratze als Leinwand benutzt, um seine Umrisse mit Acrylfarbe darauf zu verewigen. „Ich möchte damit die Grenzen darstellen, die wir alle haben, innen sowie außen.“ Abstrakt schön auch seine zweite Arbeit, ein Kissen aus welchem ein Netz von Fäden mit Buchstabenperlen zu fallen scheint. Es soll die Träume des indischen Künstlers darstellen.
Ein Liebesbrief an Bayern
Der zweite Residency-Teilnehmer stammt ursprünglich aus Mexiko. Der Fotograf und Künstler Manuel Moncayo hat ein zweiteiliges Werk geschaffen. Auf einem kleinen Vorsprung im Wald hat er seinen „loveletter to bavaria“ platziert. „Madame cow“, wie der 34-Jährige sie nennt, ist eine Art Marionette, gekleidet in einem „Hochzeitsanzug“, welchen der Künstler selbst entworfen hat. Dafür hat er sich von Einwohnern aus Bayrischzell, vor allem von einem Landwirt den er immer wieder traf, Dinge geliehen: eine Lederhose, Strümpfe, Schuhe und auch Kuhglocken.
Sein „loveletter to bavaria“ von Manuel Moncayo. / Foto: SB
Den Hut zieren Stoffbänder aus einem kleinen Laden im Ort und lange Spitzenbahnen sind ebenfalls eine Leihgabe. Er sei fasziniert von männlicher Folklore und die Gegend mit ihrer speziellen Tracht habe ihn zu diesem Werk inspiriert. „So wie die Figur hier ist, wird sie danach nie wieder existieren, denn alle Dinge gehen wieder an ihre Besitzer zurück.“
Doch in dem begleitenden künstlerischen Video, welches er in seiner Zeit auf der Peterbaueralm produziert hat, lebt die Marionette wortwörtlich weiter. „The Foreigner“ heißt das Video, welches seine Kraft vor allem durch das enthaltene Gedicht des derzeit in Berlin lebenden Künstlers entfaltet. Hier geht es zum Video.
Eine Alm und viel Kunst
Jürgen Altmann hat wieder zahlreiche Kunstschaffende unterschiedlichster Bereiche auf seiner Alm vereint. Ob Fotografien von Oliver Spies aus dessen Serie „Napoli“, Tonkunst in verschiedenster Formation von Coco Pelger, eine Schafherde aus Karton von Kaveh Kasravi, große Zeichnungen von Burkhard Niesel auf Leinwänden oder einer großen steinernen Schildkröte mitten auf der bayrischen Almwiese von Christian Häusler – es dürfte auch in diesem Jahr wieder für jeden Geschmack etwas dabei gewesen sein. Kunst an andere Orte bringen, sie dadurch beleben und zugänglich, leicht machen, das ist es was den Bayrischzeller antreibt.
Eine Schafherde des Künstlers Kaveh Kasravi und Tonblumen am Baum von Coco Pelger. / Foto: SB
Darum verwundert es auch nicht, dass ein ganz besonders Projekt am heutigen und morgigen Tag im Alten Kino von Bayrischzell stattfindet, welches ebenfalls im Familienbesitz der Altmanns ist. Lesen Sie hier mehr dazu.
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Online-Magazin KulturVision am 02.08.2024 | Ein Beitrag von Selina Benda.
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