Torsten Heuer ist das, was man einen ziemlich coolen Typen nennt. Es dauert nur wenige Sekunden, schon sind ihm die Sympathien der Zuhörer gewiss. Den trotz sommerlichem Wetter gut besuchten Saal im Fools Theater stimmt er sofort auf ein kollektives „Du“ ein: „Ich bin Torsten. Ich duz euch jetzt einfach mal“, sagt er. Dem Publikum gefällt’s.
Dafür, einfach mal was zu machen – und damit ein kleines oder großes Risiko einzugehen – plädiert Heuer mit jugendlicher, charmanter Verve. Der 54-jährige Sportlehrer aus Schleswig-Holstein hat es sich zum Ziel gesetzt, Kinder zu fördern, die Wahrnehmungs- und/oder motorische Defizite haben. Oftmals ergeben sich hieraus auch Probleme beim Lernen oder im sozialen Verhalten.
Der Pädagoge hält öfter Vorträge, um sein Wissen an Eltern zu vermitteln. So auch gestern Abend im Fools Theater, als er über die Bedeutung von Risiko-Situationen für die kindliche Entwicklung referierte. Den Vortrag hatten die drei Holzkirchner Waldkindergärten gemeinsam organisiert. „Ich versuche, die Welt zu retten“, scherzt Heuer. Und das tut er inzwischen schon seit 20 Jahren.
Eltern projizieren eigene Ängste auf ihre Kinder
Heuer stellt vieles, was derzeit in der Kindererziehung gang und gäbe ist, in Frage. Er kritisiert den Habitus, Kindern vor jedem Risiko bewahren zu wollen, sie um jeden Preis vor risikoreichen Situationen zu schützen. Kinder zu sehr in Watte zu packen sei wenig hilfreich: Kinder müssten sich vielmehr eine eigene Risikokompetenz erarbeiten, um erfolgreich durchs Leben zu kommen. „Wir haben Ängste, die wir auf Kinder projizieren“, sagt Heuer. Dabei stellt er immer wieder klar: Das Bewältigen risikoreicher Situationen trägt immens zur Persönlichkeitsentwicklung bei.
Gleich zu Beginn räumt Heuer mit einem großen Irrtum auf: Risiko sei kein negativ behafteter Begriff. Das Wort leitet sich vom lateinischen Verb risicare ab, was wagen, aber auch abwägen bedeutet. Wer sich in eine risikobehaftete Situation begibt, lernt also, sich selbst einzuschätzen. Er lernt sich selbst kennen. Risiko-Kompetenz hat somit Einfluss auf die gesamte Lebensführung.
Heuer zeigt viele Fotos von Kindern in alltäglichen, aber eben teils auch risikoreichen Situationen: Kinder auf der Schaukel, Kinder beim Klettern, Kinder beim Schnitzen mit Messern. Und immer stellt er die Frage: Ist das nun ein Risiko? Das Publikum macht bei diesem Fragespielchen mit. Im Gegensatz zur Gefahr, die eine Verursachung von außen darstellt (wie zum Beispiel Naturkatastrophen), ist das Risiko eine Verursachung durch eigenes Verhalten (wie zum Beispiel das Baumklettern). „Ein Risiko ist die Wahrscheinlichkeit, mit der etwas Negatives eintritt“, erläutert Heuer.
Wider die Entmündigung der Kinder
Dabei bedeute ein Risiko einzugehen immer, seine Angst zu überwinden. Der Grund dafür sei stets die Aussicht auf Erfolg. Der Pädagoge, ein mustergültiges Nordlicht, der zwischendurch auch mal für eine Nord-Süd-bedingte Sprachverwirrung sorgt (Hinkepott heißt bei uns das Spiel Himmel&Hölle, döschi heißt neben der Spur sein), plädiert für einen entspannteren Umgang mit dem Risiko: „Heute entmündigen wir unsere Kinder“, sagt er. „Ich bin empört.“
Denn Kinder seien durchaus in der Lage, Situationen einzuschätzen. Eine permanente Bevormundung, ganz nach dem Motto „alles was Spaß macht, ist verboten“ – könne nicht die Lösung sein. „Nicht das Vermeiden des Risikos, sondern das Zuführen einer Situation, die Kinder meistern können, ist wichtig.“
Heuer predigt nicht von oben herab, sondern wirkt authentisch und glaubhaft, besonders dann, wenn er von seinem Sohn Lasse erzählt. „Glauben Sie mir, ich habe keine Ängste?“, fragt er, nun ganz Vater. „Aber ist es meine Aufgabe, Angst zu haben? Oder mein Kind stark zu machen?“
Persönliche Stärke, davon ist Heuer überzeugt, lässt sich nur durch bewusstes Umgehen mit Risikosituationen erzielen. Er weist auch auf die Bedeutung des Scheiterns für Kinder hin und mahnt:
Wir gehen in der Gesellschaft falsche Wege.
So dürften Kinder nicht vor schwierigen Situationen bewahrt werden, bei denen sie scheitern könnten (über eine Stange zu balancieren gelingt nicht jedem sofort). Eine leichte Überforderung bei sportlichen Aufgaben führe dazu, dass bei deren Bewältigung das Belohnungssystem im Gehirn anspringe. Heuer weist explizit auf die Bedeutung der intrinsischen Motivation hin, also der Motivation, die von innen kommt: „ICH bin meine Belohnung.“
“Wir bestechen unsere Kinder”
Diese intrinsische Motivation sei besser als die extrinsische, die von außen kommende. Viele Eltern bestechen ihre Kinder, beispielsweise dann, wenn sie ihnen für gute Noten etwas Geld geben. Diese permanente Bestechung der Kinder müsse aufhören – Kinder sollten sich aus sich selbst heraus freuen, weil sie selbst etwas schaffen.
Der Tenor des Abends war also klar: Kinder muss man weder in Watte packen, noch muss man ihnen permanent helfen. Kinder müssen sich die Welt selber erarbeiten und ein gesundes Maß an Risiko gehört nun mal dazu.
Es wird also Zeit, dass die Eltern dieser Welt ein wenig durchschnaufen und sich in Gelassenheit üben. Heuer macht es vor: So einen entspannten Vater würde sich so manches Kind wünschen. Und um den Sozialpädagogen ein letztes Mal zu zitieren: Alles gut, oder?
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