Die Zukunft des Jod-Schwefelbads in Wiessee spaltet den Gemeinderat. Außerdem finden manche: “Bad Wiessee sieht aus wie ein Bombenkrater”. Kann man da wirklich noch von Kurort sprechen?
Ein älterer Herr hat gestern in einem Anruf in der Redaktion seinem Ärger und seiner Enttäuschung Luft gemacht. Der 82-Jährige kommt seit 25 Jahren nach Bad Wiessee. Doch der Ort sei ihm fremd geworden. Tatsächlich fragt sich der Dauergast, ob sich die Kurtaxe überhaupt noch rentiere. Zudem werde ihm langsam auch alles zu viel in Bad Wiessee. Besonders in Rage bringt den Dauergast allerdings das “neue Ortsbild” des Kurortes am Tegernsee:
Bad Wiessee sieht aus wie ein BombenkraterAnonymer Dauergast am Tegernsee – 30.11.2022
Diese Aussagen verwundern in Bad Wiessee sicherlich niemanden. Der Ort hat sich verändert. Das ehrwürdige Jod-Schwefelbad der Kur-Zeiten existiert nicht mehr. Heute finden die Anwendungen in einem schicken, von Mattheo Thun geschaffenen, minimalistischen Bau statt und mutet eher wie der Wellness und SPA-Bereich eines Luxushotels an.
Der Badepark gleich ums Eck wurde in diesem Jahr abgerissen. Einen Neubau kann sich die klamme Gemeinde, wie es aus dem Rathaus heißt, nicht leisten. Statt Kurkonzerten heißt es seit zwei Jahren zumeist #wiesseerocks am See. Das eigentliche Kurorchester wurde zusammengeschrumpft.
Der Pavillon an der Kurpromenade musste einem “Unterstand”, wie einige in der Gemeinde den neuen Holzbau bereits unliebevoll nennen, weichen. Und statt mit Parkflächen glänzt der Ort am See mit einer Zahl von gigantischen Brachflächen, Abrisshalden und Baustellen.
Mit dem Ende der Kuren begann der Abstieg
Mit dem Ende der Kuren als Pflichtleistung der deutschen gesetzlichen Krankenkassen in den 90er-Jahren brach der Markt zusammen. In nur 30 Jahren ist die Anzahl der Kuraufenthalte bundesweit um 99 Prozent zurückgegangen. In absoluten Zahlen bedeutet das: statt 900.000 Kurgästen in den 1990er-Jahren, begaben sich 2020 nur noch 11.500 Bundesbürger in eine Kur. Über die Hälfte davon verbrachten ihren Aufenthalt in Bayern.
Auch Bad Wiessee war früher einmal einer dieser gern gewählten Orte für die Kur oder den Kururlaub. Das Jod-Schwefelbad und die zahlreichen Rehakliniken im Dorf festigen seit über hundert Jahren den Ruf als Gesundheitsgemeinde am Tegernsee. Doch Bad Wiessee hat wie so viele andere Bäder die Entwicklung verschlafen. Ist ohne die Kurgäste in die Bettenkrise gerutscht. Dringend benötigte Investitionen blieben aus. Hotels wurden geschlossen. Der Weg führte zwangsläufig in die “kommunale Identitätskrise”.
Jod-Schwefelbad als Sinnbild des Wandels?
Und die hat Bad Wiessee wohl noch immer nicht überwunden. Das manifestiert sich auch an der befremdlichen Diskussion nach der Vorstellung des Jahresberichtes des Jod-Schwefelbades durch den “noch Geschäftsführer” Helmut Karg im Gemeinderat. Nach dem anfänglichen Beifall der Räte, trotz eines Minus im Jahr 2022 von wohl 780.000 Euro für die Gemeinde als Eigentümer, setzte die CSU Fraktion in Person von Florian Sareiter zu einer fast schon vernichtenden Kritik an.
Zwei Jahre nach der Eröffnung sei der “Welpenschutz” vorbei, machte der junge CSU-Mann deutlich. Auch wenn Sareiter den anwesenden Geschäftsführer explizit aus seiner Komplettkritik herausnahm, traf er Karg frontal.
Wir müssen viel erfinderischer werden, wenn wir aus den roten Zahlen herauskommen wollen. Florian Sareiter, Gemeinderat Bad Wiessee – 22.11.2022
Denn Karg war es, dem 2020 von der Gemeinde die Aufgabe übertragen wurde, das Jod-Schwefelbad in die Neuzeit zu transferieren und ein florierendes gemeindliches Unternehmen zu entwickeln. Auch wenn Sareiter in seinem ausführlichen Redebeitrag nicht unerwähnt lässt, dass auch die Schließung des Badeparks nicht dienlich war, ist sein Fazit eindeutig: So geht es nicht weiter.
Direkt an Karg gewandt wollte Sareiter wissen, wo denn die Stammgäste von einst geblieben sind. “Rund 80 Prozent unserer jetzigen Kunden sind Neukunden. Die Stammgäste machen nur noch einen Anteil von 17,9 Prozent aus”, antwortete der Geschäftsführer. Die Erklärung liege, so Karg, in mehr als verdoppelten Preisen im Jod-Schwefelbad.
Nobel-Gastronom von Preysing hat was gegen Kassenpatienten
Ein Wannenbad zum Beispiel koste eben nicht mehr 25 Euro, sondern 60 Euro. Allerdings zahle die Krankenkassen für die verordneten Anwendungen nicht einmal 20 Euro. Diese Aussage ermutigte den sonst eher stillen Parteikollegen der CSU Christoph von Preysing zu der Frage:
Ist es dann nicht besser, die 19,20 Euro Kunden einfach auszuschließen?Christoph von Preysing (CSU) – 22.11.2022
Was Bürgermeister Robert Kühn (SPD), dem es sichtlich gar nicht gefiel, was die CSU-Opposition in der öffentlichen Sitzung so von sich gab, auf den Plan rief: “Wir von der Gemeinde haben uns immer dafür ausgesprochen, dass wir die Kassenpatienten weiter als Gäste im Jod-Schwefelbad haben wollen”, stellte der Bürgermeister klar.
Auch Gemeinderäte der anderen Parteien zogen nicht bei dem Rundumschlag der CSU mit und unterstrichen ihrerseits die Bedeutung des Jod-Schwefelbades. Kühn attestierte Karg eine durchaus erfolgreiche Arbeit in sehr schwierigen Krisenzeiten, die den Neuanfang immer begleitet haben, um dem Geschäftsführer abschließend einen wunderbaren Jahresendspurt zu wünschen.
Karg muss nach Gemeinderatssitzung gehen
Im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung wurde dann allerdings der Wechsel an der Spitze des Bades beschlossen. Heute verkündete die Gemeinde den Abgang Kargs und stellt den Geschäftsleiter der Gemeinde Bad Wiessee Hilmar Danziger als neuen Chef im Jod-Schwefelbad vor. Von einem Zusammenhang mit der Personalentscheidung und der kontroversen Diskussion will Kühn jedoch nichts wissen:
Die Planung für den Geschäftsführerwechsel läuft schon seit einem Jahr. Herr Karg hatte einen Managementvertrag. Allen Beteiligten war bewusst, dass eine Veränderung ansteht. Robert Kühn (SPD), Bürgermeister Bad Wiessee – 01.12.2022
Danziger wird sein neues Amt in Personalunion mit seinen bisherigen Pflichten übernehmen, erklärt der Bürgermeister weiter. Und auch Karg, dem Kühn noch einmal ausdrücklich für seine Arbeit bei der Neuaufstellung des Jod-Schwefelbades den Dank der Gemeinde ausspricht, wird weiter als Berater an Bord bleiben.
Was bleibt, ist wieder einmal die Frage, wohin steuert Bad Wiessee? Hipper Seeort für die jungen Reichen und Schönen oder eher hin zu einem modernen und doch bodenständigen Gesundheitsdorf – verankert in den Traditionen? Kühn, der erst seit zwei Jahren im Amt ist, kann darauf auch keine eindeutige Antwort geben.
Das Wort “Kurort” mag der 40-Jährige jedenfalls nicht gern hören. Offensichtlich hat die Gemeinde die aktive Entwicklung des Dorfes schon vor Jahren in die Hände der großen Investoren gelegt. Mit den neuen Luxushotels – dem Barefoot sowie dem Seegut am Tegernsee, dem Influencer Hotspot am Sonnenbichl und dem peepigen Bussi Baby scheinen die Weichen längst gestellt. Es dauert wohl “nur” noch ein paar Jahre, bis man das Ergebnis durch den Bauschutt sehen wird.
Hier noch einige weitere, aktuelle Eindrücke aus dem Kurort:
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