Bauernfamilien am Scheideweg

„Die ganze Welt dreht sich um diesen Hof.“ Katharina A. sagt es. Einerseits hat sie freudige Erinnerungen an ihr Elternhaus. Andererseits leidet sie unter den Geschichten, die sich um den Bauernhof herum abspielen. Denn an der Frage nach der Erbfolge können ganze Familien zugrunde gehen.

Mehr als 100.000 Bauernhöfe gibt es bayernweit. Für alle stellt sich irgendwann die Übergabefrage. Foto:  Wikipedia/ Simon Koopmann
Mehr als 100.000 Bauernhöfe gibt es bayernweit. Für alle stellt sich irgendwann die Übergabefrage / Foto: Wikipedia/Simon Koopmann

Katharina hatte eine unbeschwerte Kindheit. Aufgewachsen als zweites von insgesamt vier Kindern auf einem großen Bauernhof im Landkreis, bekam sie viel von der Natur mit. Immer waren Tiere um sie herum, die auf dem Anwesen lebten: an die 30 Kühe sowie Kleintiere wie Katzen und Hühner. Genau wie für ihre Geschwister war es auch für Katharina selbstverständlich, dass die mit auf dem Milchviehbetrieb anpackte. Von Grasrechen bis zur Haus- und Stallarbeit fielen regelmäßig Arbeiten an.

Mit 16 Jahren zieht Katharina von zu Hause aus, um eine Lehre in München zu beginnen. Naturgemäß – bedingt durch die Entfernung – sind ihre Besuche auf dem elterlichen Hof selten. Anfang der 1970er-Jahre verstirbt Katharinas Vater jung. Bei einem Unfall kommt er ums Leben. Das hat Auswirkungen auf das Leben auf dem Hof. Der Vater hinterlässt vier Kinder – das jüngste ist erst vier Jahre alt – und eine Witwe, die nicht viel älter ist als 40 Jahre.

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Auch wenn die Mutter laut Katharina „den Hof nicht ganz freiwillig abgibt“ – letztendlich ist sie mit der Gesamtsituation überfordert: die kleinen Kinder, die viele Arbeit auf dem Hof, der Tod des Mannes. Gedrängt von Katharinas großem Bruder – nennen wir ihn „Karl“ – erhält dieser Anfang der 1980er-Jahre den historischen Hof. Karl findet seine drei Geschwister später mit einer Gesamtsumme von 45.000 D-Mark ab. Die Geschwister treten daraufhin mit einem sogenannten „Erbverzicht“ per Unterschrift alle Eigentumsrechte am Hof an Karl ab.

Mutter muss ins Heim

Doch damit nimmt die tragische Geschichte ihren Lauf. Nach und nach verlassen alle Geschwister den Hof. Karl lebt mit Frau und Sohn auf dem Hof. Die Mutter „haust“ in dem alten Obergeschoss. Es ist wohl nicht das, was man unter einem „schönen Ruhestand“ versteht, meint Katharina.

Das Verhältnis zwischen Alt und Jung am Hof ist kühl. Die Mutter lebt zurückgezogen und wird von den „Jungen“ gegängelt. Besuche werden untersagt. Häufig dominiert auch Gewalt, wie Katharina aus Notizen der Mutter erfährt. Der Gesundheitszustand der Mutter verschlechtert sich nach und nach. Klinik- und Reha-Aufenthalte werden notwendig. Seit etlichen Jahren lebt die Mutter in einem Pflegeheim im Landkreis Miesbach. Mehr oder weniger unfreiwillig, wie Katharina sagt. Zu Hause auf dem Hof hätte sie eigentlich ein lebenslanges Wohnrecht.

„Die Übergriffe meines Bruders und seiner Frau dienten regelrecht dazu, Mutter in die Flucht zu schlagen“, vermutet Katharina. So dass sie letztendlich ihr Wohnrecht nicht mehr ausüben wollte. Das Heim der Mutter bezahlt nicht er, sondern der Staat. Auch eine Tatsache, die Katharina stört. „Wir anderen Geschwister wollen einzig und allein, dass der Hofübernehmer für Mutter sorgt, wie es sich in bäuerlichen Anwesen gehört.“

Hilfe vom Bauernverband

„Der Übernehmer bekommt den Hof geschenkt.“ – Übernimmt damit aber auch bestimmte Pflichten, zum Beispiel, dass er sich um die Austragler kümmert, weiß Benedikt Korntheuer. Er sitzt als Fachberater des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) unter anderem im „Grünen Zentrum“ Holzkirchen. Er kennt solche Geschichten aus der ganzen Region.

Korntheuer berät Bauernfamilien auch beim sogenannten „Übergabevertrag“. Das Vertragswerk ist meist eine komplexe Angelegenheit und sollte im Vorfeld gut überlegt werden. Denn es stehen nicht nur finanzielle und rechtliche Aspekte im Fokus, sondern auch zwischenmenschliche. Das enge Miteinander aller Familienmitglieder auf dem Hof birgt nicht selten Zündstoff, weiß Korntheuer.

Die zentrale Frage, die es für alle zu klären gilt, ist die: Wie kann man den Hof in eine nächste Generation führen? Für Hofübergeber, die sich noch nicht sicher sind, wie es für ihren Hof weitergehen soll, gibt es Möglichkeiten, sich über die Zukunft weiter klar zu werden. Modelle wie Anstellungsverträge oder Pachtverträge für Sohn oder Tochter würden sich hier anbieten, meint Korntheuer. Auch die Bildung eines Gesellschaftsvertrages wäre möglich. Die tatsächliche Übergabe falle dann beiden Seiten oft leichter, meint der Fachberater.

Ein Hof bringt viele Pflichten mit sich ...
Ein Hof bringt viele Pflichten mit sich …

Wenn es dann daran geht, den eigentlichen Übergabevertrag auszuarbeiten, bietet er Hofübergabegespräche beim BBV an. Hofübergeber oder Hofübernehmer könnten dazu kommen. Der Idealfall wäre, wenn alle gemeinsam kommen, denn dann wäre eine „Familienentscheidung“ möglich. Doch – auch wenn es viele einvernehmliche Hofübergaben für alle Beteiligten gebe – oft seien Spannungen bei der Übergabe vorprogrammiert.

„Es ist kein einfaches Thema“, weiß der Fachberater. Die meisten Hofübergeber wollen die Übergabe gerecht gestalten, meint er. Doch Ansprüche von sogenannten „weichenden Erben“, die nicht auf Ansprüche verzichten möchten, oder andere Unklarheiten zögern die Übergabe hinaus. „Wie werden Geschwister abgefunden?“ – „Was wird aus ihnen, wenn sie den Hof verlassen?“ – „Was bekommen die Austragsbauern als „Taschengeld“?“ – „Welche Pflichten muss der Hofübernehmer erfüllen?“ Solche Fragen sind zu klären.

Rechtlich gibt es wenig Konkretes

Dabei spielen Höfe im Freistaat Bayern eine Sonderrolle. Denn hier wird das Eigentum nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) übergeben. „Das bedeutet Vertragsfreiheit“, betont Korntheuer. Nicht selten beginnt damit ein „Ziehen und Zerren“ um die Kleinstruktur des Hofs.

Mehr als hunderttausend Höfe gibt es bayernweit. Die meisten sind Familienbetriebe. Auch wenn Hofübergaben oft einvernehmlich gelöst werden, verbergen sich häufig auch mitreißende Schicksale hinter den (Stall-)Türen.

*Namen von der Redaktion geändert. Auch der Ort, wo sich der Hof befindet, wird zum Schutz der Beteiligten nicht genannt.

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