Befreit sich Gmund vom „Verwaltungsmonster“?

Manche Kommunen verwalten sich „zu Tode“. Abhilfe könnte von seiten eines Vergabezentrums kommen: „Wir gehen neue Wege – kommen Sie mit!“ Ob Gmund dieser Einladung nachgibt…

Eine Herausforderung für die Rathäuser – das neue Vergabe-Verfahren. / Quelle: Gemeinde Gmund.

Die meisten öffentlichen Aufträge werden elektronisch ausgeschrieben. Zumindest seit Oktober 2018. Seitdem ist die E-Vergabe das alleinige Verfahren und damit gesetzliche Vorgabe. Jedenfalls bei großen Auftragssummen über 25.000 Euro netto. Das weiß auch Bürgermeister Alfons Besel (FWG), der das Vergaberecht in der gestrigen Gemeinderatssitzung als „bürokratisches Monster“ betitelte. Am liebsten würde er dieses wohl gern persönlich bezwingen.

Neue Wege bei öffentlichen Vergaben

Deshalb stand an diesem Dienstagabend ein Vortrag auf der Agenda, was sich im EU-Vergaberecht geändert hat und was das mit Gmund zu tun hat. Erläuterungen gaben hierzu Geschäftsführer Michael Braun und sein Kollege Benjamin Bursic vom Zweckverband Kommunales Dienstleistungszentrum Oberland (ZVKDZ Oberland). „Wir gehen neue Wege – kommen Sie mit!“ Das wünscht sich die ZVKDZ und meint damit, Gmund solle seine Aufgaben im Vergaberecht an den Dienstleister abgeben.

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Dem Zweckverband gehört die Gemeinde bereits in einer anderen Angelegenheit an. Nämlich, wenn es um die Verkehrssicherheit geht. Regelmäßig „blitzt“ der Zweckverband die Raser auf Gmunds Straßen im Auftrag der Gemeinde. Nun überlegt man, ob man auch die Aufgaben rund um die Vergabe abgeben soll.

Braun berichtete, dass der Wunsch nach einer solchen Vergabestelle von den Kommunen selbst „geboren“ worden war, die auf den ZV zugegangen waren. Im April beschlossen die Verantwortlichen innerhalb der neu entstandenen Vergabestelle, wie das ganze aussehen könnte. Angeboten werden soll nun, zwischen 25 und 30 Gemeinden – darunter Gmund – bei der Vergabe zu begleiten.

Wo Entlastung winkt – und dazu gibt’s eine Krux

Konkret geht es dabei um Bau- und Lieferleistungen, Dienstleistungen sowie freiberufliche Leistungen. „Wann können wir national ausschreiben? Müssen wir national ausschreiben – oder gar europaweit?“ Mit solchen Fragen sehen sich die Mitarbeiter in den kommunalen Verwaltungen konfrontiert. Frei nach dem neuen Gedanken in Europa – einem freien Zugang zu den Märkten. Das ganze beginnt ab einem festgelegten Wert.

„Wenn man damit nicht regelmäßig zu tun hat, stellt das die Verwaltung vor enorme Probleme“, weiß Braun. In einer Analysephase hat der ZV nun eruiert, dass es Bedarf gibt nach dem Angebot einer Vergabestelle. 3,5 Mitarbeiter werden gerade geschult, damit sie in Kürze dann loslegen können. Es könnten bei hoher Nachfrage auch 5 werden, wenn es nach Braun geht. Eine Hospitation in der Stadt Coburg, die bereits Erfahrungen mit der Vergabestelle gemacht hat, soll die Mitarbeiter fit machen.

Braun kam auch auf eine eher umstrittene Sache zu sprechen. Entscheidet sich die Kommune dafür, die Aufgaben an die Vergabestelle abzugeben, dann müsse es für alle Vorhaben sein, die den Wert von 25.000 Euro netto (rund 30.000 Euro brutto) pro Vergabe bzw. pro Gewerk überschreiten.

Was es die Gemeinde kostet

Allerdings sei die Gemeinde natürlich weiterhin Herr des Projekts. Die Vergabestelle kümmere sich lediglich um die Vergabe. Wenn das Bieterverfahren abgeschlossen ist, bekomme die Gemeinde einen Vorschlag, wer der wirtschaftlichste Anbieter wäre samt ausführlicher Dokumentation.

Dabei gehe es nicht nur um den Preis. Auch Sonderwünsche hinsichtlich der Ausschreibung von Gemeinden können berücksichtigt werden. Etwa ein gewünschtes Tragegefühl bei Feuerwehrstiefeln oder gutes Fahrgefühl, wenn es um ein anzuschaffendes Feuerwehr-Fahrzeug gehe.

Die Planungsphase sowie der Abschluss aller Verträge mit den Dienstleistern bleibe selbstverständlich bei den Gemeinden selbst. Der Vorteil sei, dass sich die Gemeinde auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren könnte. Natürlich koste dieser Komfort auch etwas. Zwar sei der ZV nicht auf Gewinn aus, wolle jedoch kostendeckend arbeiten.

Der „verlängerte Arm“ der Gemeinde

Die Finanzierung erfolgt nach folgendem System: jede Gemeinde trifft ein Sockelbetrag von 33 Cent pro Einwohner. Für die Gmunder wären dies rund 2.120 Euro. Pro Vergabeverfahren fällt ein Entgelt in Höhe von 600 Euro an. Da freiberufliche Leistungen sowie Verhandlungsvergaben für Planleistungen besonders zeitaufwändig sind, fällt dafür ein Entgelt von 3.000 Euro an. Sollte man im Vorfeld Beratung wünschen, so kämen noch 90 Euro pro Beratungsstunde hinzu. Auslagen sowieso.

Der große Vorteil für die Gemeinde sei, dass man bei Personalwechsel im Rathaus trotzdem unabhängig bleibe, wenn man auf die bewährten Mitarbeiter der Vergabestelle vertrauen könne. Zusätzlich könne man mit Einsparungen durch die Entbehrlichkeit externer Dienstleister bei der Vergabe sowie für Aufwände bei der Einführung der sogenannten „e-Vergabe“ rechnen.

Gemeinsame Beschaffungen z.B. für Streusalz oder Splitt eröffneten sich zudem und verschafften einen Preisvorteil. Nicht zuletzt hätte man das Haftungsproblem los, denn dies trägt dann die Vergabestelle. „Es ist der verlängerte Arm der Gemeinde“, so Braun. Eine Kündigung sei zudem möglich, falls man diesen einmal nicht mehr brauche. Eine einfacher Mehrheitsbeschluss im Gemeinderat und man sei wieder draußen.

Vom „Verwaltungsmonster“ befreien? Oder nicht…

Die Gemeinderäte diskutierten heftig, ob sie sich diesen „verlängerten Arm“ leisten wollen. Michael Huber (SPD), der laut eigener Aussage persönlich relativ viel mit Vergaben zu tun hat, meinte, die Erstellund des Leistungsverzeichnisses sei die größte Aufgabe und die müsse ja weiterhein der Planer machen. Er empfand die Dienstleistung als schwer greifbar: „Das ist mir noch zu nebulös.“

Barbara von Miller (SPD) sorgte sich, ob die Gemeinde überhaupt noch so handlungsfähig sei und wollte wissen, wer von den anderen noch mitmacht. Braun nannte Holzkirchen, Miesbach sowie Fischbachau als ziemlich sichere „Kandidaten“. Josef Stecher erkundigte sich nach der Anzahl der Vergaben und wurde von Florian Ruml aufgeklärt: 2019 hätte man rund 20 Vergaben in dieser Größenordnung gehabt, für 2020 wären es vermutlich an die 25.

Auch Georg Rabl (FWG) outete sich als Kritiker. Man hätte mit den vertrauten Planern gute Erfahrungen gemacht und hätte gute Leute in der Bauverwaltung mit jeder Menge Fachwissen. Wenn man jetzt zwei bis drei Jahre dem ZV angehöre und dann kündige, müsse man das Wissen wieder aufbauen. Da wäre es doch besser, man bleibe gleich dran.

Das beschneidet die Gemeindeverwaltung und macht sie abhängiger.

Einen gemeinsamen Einkauf von etwa Streusalz könne man auch von Bauhof-Chef zu Bauhof-Chef organisieren – Rabl plädierte für Rückstellung des Themas. Vergaberecht erfordert viel Fortbildung, so mahnte Bürgermeister Besel. „Wenn wir das jetzt zurückstellen – also Nein sagen – müssen wir unsere Leute konsequent fortbilden, dann vergeben wir die Chance.“

Aus der Sicht des Rathauschefs würden die Vorteile überwiegen. Gerade wenn man sich Zukunftsprojekte wie das Bahnhofsareal oder die Siedlung an der Hirschbergstraße ansehe. Und es wäre keine Bindung auf Ewigkeit. „Da braucht man jemanden, der den ganzen Tag nichts anderes macht, versuchte Benjamin Bursic den Auftrag „zu retten“.

Auch Herbert Kozemko und Bernd Ettenreich wollten sich den Beschluss nicht abringen lassen. Ettenreich gab noch Denkstoff dazu: „Das ist nicht zielführend, wo wir hinwollen.“ Er gab ein Beispiel aus seiner eigenen Firma, in der die Arbeit der Dienstleister dann ausführlich geprüft werden müsste, was wiederum Aufwand erzeugt. Zum Schluss halfen alle Worte nichts. Nur der Bürgermeister und Laura Wagner (GRÜNE) stimmten dafür – alle weiteren dagegen. Das „Verwaltunsmonster“ bleibt damit in Gmund.

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