Es ist der Albtraum jedes Ausflüglers und Pendlers, der mit dem Zug von München in Richtung Tegernsee fährt: Ein entgegenkommender Zug. Denn viele Abschnitte der Strecke sind nur eingleisig. Dies, gepaart mit menschlichem Versagen, führte am 08. Juni 1975 zu einem der schwersten Eisenbahn-Unglücke der Bundesrepublik und des mit Abstand größten Unfalls im Oberland.
Katastrophe war vorprogrammiert
Es ist ein Sonntagabend, 18:30 Uhr, als zwischen Warngau und Schaftlach zwei vollbesetzte Personenzüge mit etwa 90 Stundenkilometern frontal zusammenstoßen. Die Strecke ist eingleisig. Der Sonderzug mit der Nummer 3594 verkehrt nur im Sommer und ist daher neu im Fahrplan eingeplant. Der Zug mit der fast identischen Nummer 3591 verkehrt täglich.
Laut Fahrplan sollen beide Züge zeitgleich in Schaftlach und Warngau losfahren. Für die Kreuzung der beiden Züge ist jedoch kein bestimmter Bahnhof definiert, sondern eine sogenannte “Luftkreuzung” auf freier Strecke vorgesehen. Menschliches Versagen führt in so einem Fall unweigerlich zur Katastrophe.
Denn für diese Luftkreuzung müssen sich die Fahrdienstleiter der Bundesbahn miteinander absprechen, welcher Zug auf dem Abschnitt fährt. Dafür ist ein genauer Wortlaut festgelegt, mit dem diese ihre Züge anmelden und annehmen, wie der Spiegel im März 1976 dokumentiert:
Hier Fahrdienstleiter Warngau’ Habart. – Fahrdienstleiter Schaftlach, Hiergeist. Zugmeldung. Wird Zug 3594 angenommen? – Zug 3594 ja – Zug 3594 ab 29 – Ich wiederhole, Zug 3594 ab 29 – Richtig
Doch stattdessen nutzen die Beamten eine Kurzform: “Stellwerk Warngau – 3594 angenommen – Ab drei … äh … 29 – Ab 29 – Ja – …” Welcher Zug gemeint ist, ist aus diesen Gesprächsfetzen heraus nicht ersichtlich. Wahrscheinlich ist jedoch, dass jeder der beiden Fahrdienstleiter seinen eigenen Zug meint und diesen fahren lässt.
Kritik an der Bundesbahn
So verursachen die beiden Mitarbeiter das Unglück mit. Und werden dafür wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr angeklagt und zu Freiheitsstrafen von einem Jahr beziehungsweise acht Monaten auf Bewährung sowie zu hohen Geldbußen verurteilt. Auch der Verantwortliche, der den Sommerfahrplan erstellt hat, wird angeklagt und zu acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldbuße verurteilt.
Vor allem dieses Urteil wirft damals Fragen auf. Denn obwohl der Bahnmitarbeiter den Fahrplan so erstellt hatte, dass beide Züge zur gleichen Uhrzeit in Schaftlach und Warngau abfahren, wird kritisiert, dass von dessen Vorgesetzten niemand zur Verantwortung gezogen wurde. Außerdem wird die Bundesbahn dafür kritisiert, dass technische Vorkehrungen fehlten, die den Zusammenstoß hätten verhindern können.
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Heute sind solche Begegnungen auf der eingleisigen Strecke zwischen Warngau und Schaftlach theoretisch ausgeschlossen. Zwar liegen die fahrplanmäßigen Abfahrten an den beiden Bahnhöfen zu manchen Zeiten nur wenige Minuten auseinander, aber immer so viel, dass der Zug aus München schon lange in Schaftlach steht, wenn der Zug aus Tegernsee in Richtung Warngau losfährt.
Dabei ist das Risiko bei einem Eisenbahnunfall verletzt oder getötet zu werden trotz solch schlimmer Ereignisse, verschwindend gering. Bei einer Autofahrt liegt es rund 1000 mal höher. Statistisch gesehen kommt ein Unfall mit einem Zug auf eine Milliarde Kilometer. Doch am heutigen 9. Februar 2016 traf der “Worst Case” nach 40 Jahren wieder ein. Bei der Katastrophe von Bad Aibling kamen voraussichtlich zehn Menschen ums Leben, 81 Menschen wurden verletzt, 18 davon schwer.
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