Immer wieder gibt es negative Ausreißer oder Aussagen, die im persönlichen Gespräch nicht fallen würden. TS-Gastautor Thomas Brasch geht dem Phänomen auf den Grund.
„An die Schreiber der anonymen Kommentare in der Tegernseer Stimme!
Wen wir die Jungs von der Fischerei ein Fischplatte schenken überlasst bitte uns!
Nicht nur Asylbewerber sondern auch zum Beispiel Wasserwacht, Feuerwehr und Fischereiverein werden von uns unterstützt!“, so äußerte sich Fischer Christoph von Preysing jüngst über Facebook nach dem Artikel zur Schenkung einer Fischplatte an die hiesigen Asylbewerber.
Doch wie es überhaupt zu solchen Kommentaren kommt – egal ob anonym auf der Tegernseer Stimme oder auf unserer Facebookseite – und warum gerade das Netz dafür anfällig ist, das kann uns vielleicht unser heutiger Gastautor beantworten.
Ein Gastbeitrag von Thomas Brasch:
Mit der wachsenden Präsenz meines digitalen Alter Egos im Netz wächst zugleich der Wunsch, über dessen Bild im Netz selbst bestimmen zu können. Nur leider, wie jeder alltäglich erfahren kann, ist das Gegenteil der Fall.
Im realen Leben erkennen wir den Wunsch nach Selbstbestimmung überwiegend an. Eine Ausnahme bildet die wachsende Popularität einer Person. Sobald sie dann auch noch eine Person des öffentlichen Lebens ist, muss sie den Preis dafür zahlen, dass sich andere öffentlich über sie eine Meinung bilden. Doch wenn jemand explizit darauf hinweist, dass er über gewisse Ereignisse oder Dinge in seinem Leben nicht sprechen oder daran erinnert werden möchte, respektierten wir das gemeinhin.
Wenn das Alter Ego an Bedeutung gewinnt
Ganz anders liegt der Fall im Netz. Die Gründe dafür sind einerseits menschlich und anderseits technisch bedingt. Menschlich, da das Netz den Schattenseiten unseres menschlichen Wesens genauso Gewicht verleiht, wie den guten Seiten. Im Netz sind wir nicht nur offen, transparent, begeistert, engagiert, interessiert, mitfühlend, sondern auch ungehemmt, anonym, gehässig, respektlos, hämisch und gierig.
Technisch, weil einmal ins Netz gegebene Inhalte nicht mehr verschwinden, kaum rückgängig gemacht werden können, ja sogar vervielfältigt und – ganz wichtiger Unterschied zum realen Leben – algorithmisch gewichtet werden. Letzteres schafft dann ein extremes Zerrbild unserer virtuellen Person gegenüber unserem gewünschten Eigenbild. Sicher stimmt unser Eigenbild in der Realität auch selten mit unserem Fremdbild gänzlich überein. Doch bei ausreichender selbstkritischer Haltung und kritischer Reflexion kann man meist auch sein Fremdbild noch akzeptieren.
Doch im Netz erhält ein Bild von mir mit einer Maß in der Hand auf dem Oktoberfest eine weit höhere Gewichtung als dieser Beitrag. Die Häufigkeit des eigenen Namens oder die Belegung des Namens durch Prominente erschwert die Auffindbarkeit und schmälert die Netzbedeutung der Person. Die quantitative berufliche Vernetzung ist im Netz weitaus relevanter als die qualitativen engen Beziehungen zu Freunden, Verwandten und Nachbarn. Doch dieses so gewichtete Alter Ego im Netz gewinnt mehr und mehr an Bedeutung.
Die Empathie im wahren Leben
Wer ist nicht versucht, die neue Bekanntschaft in der Bar gleich mal zu googeln. Einem Personaler, der einen möglichen Bewerber nicht googelt, wird man grobe Fahrlässigkeit vorwerfen, wenn sich später Dinge offenbaren, die man schon im Netz hätte finden können. Mitarbeiter und neue Kollegen googeln gleich mal, was sich über die oder den Neuen so erfahren lässt. Die Eltern überprüfen im Netz zur Sicherheit mal die Profile des neuen Freundes oder der neuen Freundin ihrer Kinder. Und gleich wird dann noch schnell geschaut, was die Eltern so machen.
Die Versicherungen scannen kurz mal Deine Online-Aktivitäten und errechnen ein individuelles Risikoprofil mit Hilfe eines Algorithmus, der unter anderem die Anzahl Deiner fröhlichen Trinkbilder, die tollen Skivideos abseits der Pisten und die drei stolz geposteten Radarfallenbilder gewichtet hat.
Im realen Leben gewichten wir, wem wir unsere Geselligkeit und Eskapaden anvertrauen, wem wir unsere sportlichen Aktivitäten wie verkaufen und wem wir unsere kleinen Sünden gestehen. Und im realen Leben haben wir eine regulierende Instanz in unserem Gegenüber: Menschen, zumindest die uns wohlwollenden, die über ein gewisses Maß an Empathie verfügen. Sie spüren, was uns unangenehm ist oder wird, wenn man nachhakt. Sie spüren, wenn der Witz über uns irgendwann nicht mehr witzig ist.
Empathie: Dem Netz fehlt diese sehr wesentliche menschliche Eigenschaft, die einen großen Anteil daran hat, dass wir mitfühlen, Rücksicht nehmen und miteinander auskommen können. Denn diese menschliche Eigenschaft reguliert üblicherweise, was sich Menschen in der Gesellschaft untereinander Gutes tun und Unangenehmes zumuten können. Und das wird ein Algorithmus im Netz nie leisten können.
Es bleibt also nur zu hoffen, dass wir lernen, auch online ethische Normen zu achten und dass wir gesetzliche Regularien finden, die uns noch ein ausreichendes Maß an Selbstbestimmung im Netz ermöglichen.
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