Der Rutsch in die soziale Unsicherheit

Die Schließung der Gastronomie seit Beginn der Corona-Pandemie lässt viele Menschen mit ungeahnten Herausforderungen und Problemen zurück. Wir haben mit vier Betroffenen aus dem Servicebereich gesprochen: über (Un-)Verständnis, Wut und fehlende Hilfe.

Gähnende Leere: Seit dem 2. November 2020 sind auch im Tal alle Gastro-Betriebe geschlossen.

Christine Heckner ist alleinerziehende Mutter eines Viertklässlers, lebt im Tal und ist eigentlich als Servicekraft tätig. Durch die Corona-Krise wurde sie auf Kurzarbeit gestellt und muss täglich sehen, wie sie über die Runden kommt. „Das Trinkgeld fehlt mir an jeder Ecke, von dem lebe ich“, erklärt sie ihre finanzielle Situation.

„Ganz schlimm ist es, wenn mein Kind fragt: ‚Mama, darf ich mir mal eine Zeitung aussuchen‘ oder Sonstiges. Und ich dann antworten muss: ‚Nein, ich kann nicht, ich brauche das Geld für andere Dinge‘“. Ihre Versicherung musste sie auf Eis legen. Einschränkungen, die jetzt notwendig sind, weil sonst das Geld für Essen fehlt. Als Christine auf die Frage nach finanzieller Hilfe vom Staat antwortet, wirkt sie enttäuscht:

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Das ist so ‘ne Sache. Da fühle ich mich leider Gottes sehr im Stich gelassen vom Staat.

Einen Antrag auf Wohngeld habe sie schon im März 2020 gestellt – erfolglos. „Jetzt habe ich es endlich von November bis März bewilligt bekommen“, erzählt sie. Für November und Dezember 19 Euro, die restlichen Monate jeweils 28 Euro. Tatsächlich ausgezahlt wurden die bisherigen Monate erst am Montag dieser Woche. „Die Gemeinde Gmund hat mir da sehr geholfen“, meint sie, und ist froh über das Wohngeld.

Trotzdem reicht es nicht aus: die Mittagsbetreuung für ihr Kind musste Christine kündigen, weil sie es sich im Moment nicht finanziell leisten kann. „Ich hoffe, dass sie mich aus dem Vertrag rauslassen“. Wenn sich in den kommenden Wochen nichts an der Situation ändert, müsse sie sich einen Berufswechsel überlegen. „Wobei mir das sehr schwerfallen würde, weil ich meinen Beruf seit über 20 Jahren mit Leib und Seele mache“.

Ihr Verständnis für die Einschränkungen sei zwar noch da, aber: “Jetzt kippt es langsam, weil die Gastronomen so wahnsinnig gute Hygienekonzepte haben und wir uns so an die Vorschriften halten”. Besser als in manch’ anderen Berufen, meint Christine. „Und wir müssen zulassen, wir sind die Letzten, die aufsperren dürfen.“

Kurzarbeitergeld wird nachträglich noch versteuert

Genau das ist der Punkt, der auch Luisa* die Kraft nimmt. „Mittlerweile fehlt das Verständnis komplett. Egal mit welchen Kollegen ich rede, das ist durch. Da gibt’s kein Verständnis mehr“. Sie ist 29 Jahre alt, lebt in Holzkirchen und war sowohl als Koch und Betriebsleitung sowie als Bedienung tätig – das alles fällt seit Beginn der Pandemie weg. „Das sind leicht tausend Euro im Monat, die nie wieder reinzuholen sind“.

Das Kurzarbeitergeld – in den ersten Monaten 60 Prozent, danach 80 Prozent – muss nachgelagert versteuert werden, erklärt Luisa. „Du kriegst weniger Geld, und musst es nachträglich noch zusätzlich versteuern“. Jede Woche fallen neue Beschlüsse, für Luisa eine zu unsichere Situation. Sie hat sich mittlerweile beim Arbeitsamt auf einen Bildungsgutschein beworben, um Ernährungsberatung zu studieren. „Ich wollte die Arbeit in der Gastronomie nie aufgeben, aber ich werde ja fast gezwungen dazu“, so die 29-Jährige.

Der Tag wird eintönig

Die 22-jährige Marina Braun ist seit 5 Jahren in der Gastronomie tätig. Zu Beginn der Pandemie hat sie den Arbeitsplatz gewechselt und in einem Hotel angefangen. Betroffen von Kurzarbeit ist sie erst seit November. “Man merkt’s an dem Kurzarbeitergeld, grade wenn man alleine wohnt”, erklärt Marina die finanziellen Einbußen.

Außerdem habe man, unabhängig von ihrer Gastronomie-Tätigkeit, aufgrund der Einschränkungen einfach nichts mehr zu tun: “Man lebt irgendwie in den Tag rein, man kann nichts planen, man kann nicht wirklich was machen”. Und so wird es auch in den kommenden Wochen weitergehen.

“Unverständnis kann ich nicht nachvollziehen”

Anders geht es dem Empfangsleiter L. V. aus dem Tegernseer Tal. Gar ein Jobwechsel komme für den 28-Jährigen auf keinen Fall infrage, betont er. Und das, obwohl auch er finanzielle Probleme seit den Einschränkungen hat:

Die 60 Prozent decken gerade so die Miete, Auto und Versicherung. Ohne Hilfe aus der Familie wäre es unmöglich.

Das Unverständnis und die Wut, die die Leute teilweise haben, könne er allerdings nicht nachvollziehen. Für ihn ist klar: „Das Verständnis für die Einschränkungen ist nach wie vor da. Das ist die einzige Maßnahme, die wirkt. Und wenn es heißt, dass man ein paar Monate daheimbleiben muss, dann soll es so sein“. Besonders wenn man pflegebedürftige Angehörige hat, fügt er hinzu. Denn seit den Einschränkungen kümmert er sich um seinen Vater…

*Name von der Redaktion geändert.

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