“Den Tegernsee als Rückhaltebecken – das ist das letzte, was wir wollen”

Über hundert Mitglieder zählt die Bürgerinitiative, die sich gegen das geplante Gmunder Schuhmacher-Wehr stellt, nach mehr als einer Woche. Die Forderungen der Gegner: sofortiger Stopp der Planungen, Schluss mit falschen Versprechungen, Neuplanung eines wirksamen Hochwasserschutzes.

„Der Tegernsee darf kein Stausee werden“, so die Initiatoren. Geht es nun um mehr als „nur“ ein Kommunikationsproblem zwischen Wasserwirtschaftsamt und Anwohnern? Wir haben beim Chef des Wasserwirtschaftsamtes, Paul Geisenhofer, nachgefragt.

Die Verantwortlichen des Wasserwirtschaftsamts beim Infoabend in Gmund – links Paul Geisenhofer.
Die Verantwortlichen des Wasserwirtschaftsamts beim Infoabend in Gmund – links Paul Geisenhofer.

Tegernseer Stimme: Grüß Gott, Herr Geisenhofer. Mit seinem Forderungskatalog macht das Bündnis gegen das geplante Schuhmacher-Wehr Mangfallabfluss klar, dass es nicht nur um ein Kommunikationsproblem zwischen den Anliegern und Ihrer Behörde geht. Die Bürger haben Angst, dass der Tegernsee als Stausee missbraucht werden könnte. Was wollen Sie da noch entgegensetzen?

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Paul Geisenhofer: Ja, leider ist es in der Tat mehr als ein Kommunikationsproblem, denn die Fakten unserer Planung haben wir ja immer wieder in der Öffentlichkeit vorgestellt. Aus der letzten Bürgerversammlung haben wir mitgenommen, dass ein tiefes Misstrauen herrscht, dass man die geplanten Anlagen im Ernstfall ausschließlich zugunsten der Unterlieger nutzen würde.

Tegernseer Stimme: Und wie wollen Sie das verlorene Vertrauen gewinnen?

Paul Geisenhofer: Vertrauen kann man letzten Endes dann doch wieder nur gewinnen, wenn man miteinander redet. Wir werden deshalb schnellstens auf die Bürgerinitiative zugehen und ihr ein Gespräch anbieten, bei dem wir unsere Pläne und fachlichen Unterlagen auf den Tisch legen und im Detail erläutern. Der Tegernsee als Stausee – das ist auch das Letzte, was wir wollen.

„Wir wollen nicht künstlich stauen“

Tegernseer Stimme: Können Sie uns auf einfache Weise erklären, wie das neue Wehr funktionieren soll?

Paul Geisenhofer: Wir müssen zwei technische Maßnahmen gemeinsam betrachten: die Eintiefung des Mangfall-Bettes ab dem Seeauslauf und das neue Schuhmacher-Wehr. Wenn wir 24 Stunden vor dem Hochwasser das Wehr komplett öffnen, können wir über das vergrößerte Flussbett der Mangfall den Seewasserspiegel um zirka 30 Zentimeter absenken. Wenn dann anschließend die Wildbäche für einen natürlichen Anstieg des Sees sorgen, befindet sich der See auf einem niedrigeren Niveau und steigt infolgedessen insgesamt nicht so hoch an. Wenn der Wasserstand im See aber insgesamt niedriger bleibt, fließt auch weniger Wasser aus dem See Richtung Rosenheim.

Tegernseer Stimme: Wie soll das funktionieren? Der See soll ja aufgestaut werden. Es soll also weniger Wasser abfließen, und dann soll das trotzdem gegen einen erhöhten Pegel am See helfen?

Geisenhofer: Das ist ein weitverbreitetes Missverständnis. Es ist nicht geplant, den See während des Hochwassers künstlich aufzustauen, sondern wir schaffen ein niedrigeres Ausgangsniveau, bevor das Hochwasser eintritt. Mit dem anschließend ablaufenden natürlichen Hochwasserereignis, das eben vom jeweiligen Niederschlagsereignis und vom Einzugsgebiet der zahlreichen Wildbäche geprägt wird, werden wir wohl weiterhin leben müssen. Dabei muss das neue Schuhmacher-Wehr während des Hochwassers die gleiche Funktion übernehmen wie bisher, denn es dürfen sich keine Verschlechterungen für die Unterlieger ergeben, sondern die jetzigen Abflussverhältnisse trotz des vertieften, leistungsfähigeren Flussbettes müssen erhalten bleiben.

Das Schuhmacher-Wehr in Gmund heute ‒ über dieses wird der einzige Abfluss des Sees gesteuert / Foto: Christoph Bertram

Tegernseer Stimme: Das Absenken des Wasserspiegels kann durch Ausbaggern erreicht werden. Ein Wehr braucht man dagegen zum Aufstauen, und das weckt Bedenken. Wie wollen Sie die ausräumen?

Geisenhofer: Wir benötigen das Wehr als Steuerorgan für drei Zwecke: In den Zeiten ohne Hochwasser dient es zur Stauregelung für das Wasserkraftwerk der Büttenpapierfabrik. Unmittelbar vor einem großen Hochwasser erreichen wir mit dem Wehr – gemeinsam mit der Eintiefung des Flussbettes – die Vorentlastung des Sees und können so bis zu 50 Kubikmeter pro Sekunde ableiten. Während des Hochwassers werden mithilfe des Wehrs die jetzigen Abflussverhältnisse an der Mangfall wiederhergestellt.

Tegernseer Stimme: Und warum kann man das Wehr während eines Hochwassers nicht offen lassen?

Geisenhofer: Das dürfen wir nicht, weil sich sonst der Abfluss erheblich erhöhen würde. So wird beispielsweise aus einem 20-jährlichen Hochwasser für die Unterlieger ein 50-jährlicher Abfluss. Dies ist nicht zulässig.

„Höhere Wasserstände stauen nicht zurück“

Tegernseer Stimme: Ein Mitglied der Bürgerinitiative sagt, dass er sich nicht erklären könne, wie die Planungen keine Auswirkungen auf den restlichen See haben sollten. Alleine bei ihm im Garten in Gmund würde das Wasserwirtschaftsamt ein ein Meter höheres Hochwasser prognostizieren als bei dem letzten schweren Hochwasser. Wie können Sie das erklären?

Paul Geisenhofer: Das ist tatsächlich eine der schwierigsten Fragen, weil man doch sehr weitreichende hydraulische Kenntnisse braucht, um das Ganze zu verstehen. Im Grunde geht es darum, dass das neue Schuhmacher-Wehr die gleiche Funktion sicherstellen muss wie bisher. Sonst hätten, wie gesagt, die Unterlieger Nachteile. Und dabei müssen wir berücksichtigen, dass wir die Mangfall zwischen der Gmunder Eisenbahnbrücke und dem Schuhmacher-Wehr eintiefen und sie dadurch besser abfließen kann. In diesem Bereich ergeben sich lokal tatsächlich höhere Wasserstände. Diese stauen aber nicht in den Tegernsee zurück. Das mag vielleicht auch dadurch deutlich werden, dass die geplanten Schutzmauern unterhalb der Eisenbahnbrücke bereits enden.

Tegernseer Stimme: Was bewirken die geplanten Vertiefungen zwischen Seeglas und dem neuen Wehr?

Geisenhofer: Der Seeauslauf selbst bleibt unangetastet. Die Eintiefung verläuft keilförmig bis zum Schuhmacher-Wehr. Sie dient dazu, dass wir vor dem Hochwasser ‒ wenn sich der See also noch auf einem relativ normalen Niveau befindet ‒ eine größere Wassermenge aus dem See ableiten können. Geplant sind, wie gesagt, bis zu 50 Kubikmeter pro Sekunde.

Tegernseer Stimme: Wie gefährlich ist das nötige Ausbaggern der Flusssohle? Kann das weitreichende Folgen haben?

Geisenhofer: Erste Untersuchungen der Flusssohle haben ja bereits stattgefunden. Vor dem Bau werden weitere Untersuchungen durchgeführt. Je nach Ergebnis werden dann entsprechende Sicherungsmaßnahmen ‒ zum Beispiel mit grobem Kies ‒ durchgeführt.

Tegernseer Stimme: Konkret gefragt: Drohen beim Ausbaggern Gefahren für das Grundwasser?

Geisenhofer: Wir werden die Grundwasserverhältnisse im Rahmen der weiteren Planung detailliert prüfen. Und selbstverständlich müssen wir dann spätestens im Planfeststellungsverfahren für unser Projekt nachweisen, dass sich bei den Grundwasserverhältnissen keine Verschlechterung ergibt.

„Wer sagt, dass es 50 Zentimeter höher wird?“

Tegernseer Stimme: Könnte man mit einem sogenannten Schlauchwehr den See vorentlasten, sodass man nicht zwingend so ein gigantisches Bauwerk braucht, mit dem unter Umständen höhere Seepegel als bis dato möglich erzielt werden könnten?

Geisenhofer: Es ist noch gar nicht gesagt, dass es nicht auch ein Schlauchwehr wird. Die detaillierte Bauweise steht nämlich noch nicht fest. Grundsätzlich gibt es verschiedene technische Wehrtypen. Das sogenannte Schlauchwehr ist einer davon. Die notwendige Stauhöhe richtet sich aber vor allem nach den Ergebnissen der hydraulischen Berechnungen. Konstruktion und technische Details des neuen Schuhmacher-Wehrs müssen wir noch mit dem Wehreigentümer abstimmen. Das sind alles Detailfragen, die nach und nach geklärt werden.

Dies ist der neuralgische Punkt bei der Steuerung des Seespiegels: das Schuhmacher-Wehr oberhalb von Louisenthal. Bei steigendem Wasserstand wird Wasser bis zur Kapazitätsgrenze der beiden Turbinenkraftwerke über die Einlassbauwerke abgeleitet. Wenn diese Maßnahme nicht ausreicht, wird das flexible Staubrett gelegt, damit kann die Wehroberkante gesenkt werden, aber nur um 35 Zentimeter. Die technischen Möglichkeiten zur Reduzierung des Hochwasserpegels sind damit erschöpft / Mit freundlicher Genehmigung des Tegernseer Tal Verlags
Das Schuhmacher-Wehr: Bei hohem Wasserstand wird Wasser bis zur Kapazitätsgrenze der beiden Turbinenkraftwerke über die Einlassbauwerke abgeleitet. Wenn diese Maßnahme nicht ausreicht, wird das Staubrett gelegt, damit kann die Wehroberkante gesenkt werden / Quelle: Tegernseer Tal Verlag

Tegernseer Stimme: Aber wieso muss das neue Wehr um 50 Zentimeter höher sein als das jetzige Staubrett?

Geisenhofer: Wer sagt, dass es 50 Zentimeter sind? Dieser Wert stammt noch aus einer der Voruntersuchungen und ist nicht mehr aktuell. Die endgültige Wehrhöhe hängt aber von der Wehrbreite und von der Lage des neuen Wehrs ab. Diese Details müssen ebenfalls noch mit dem Eigentümer des Wehrs abgestimmt werden und können sich weiter ändern.

Tegernseer Stimme: Kann man denn nicht einfach einen Höchstpegel für den Tegernsee festlegen, der nicht überschritten werden darf?

Geisenhofer: Nein, das natürliche Hochwassergeschehen am Tegernsee können wir auch mit dem neuen Wehr nicht beeinflussen. Wir können lediglich dafür sorgen, dass das Ausgangsniveau für ein Hochwasser niedriger bleibt. Und unsere Vergleichsberechnungen haben ergeben, dass dies bei allen großen Hochwasserereignissen der letzten Jahrzehnte gelungen wäre.

Tegernseer Stimme: Sie behaupten immer wieder, der See könne und dürfe nicht schon frühzeitig abgesenkt werden. Ab einem gewissen Pegel müsse das 35 cm hohe Absperrbrett hochgeklappt sein, das sei eine fest definierte Regel. Beruht diese Regel nicht vielleicht auf einem alten Verwaltungsakt, der in der Betriebserlaubnis der Wehranlage verankert ist? Und könnte man diesen Passus nicht einseitig zum Schutz der Bewohner im Tal ändern?

Geisenhofer: Hier sind tatsächlich uralte Wasserrechte im Spiel. Die Wirkung des Brettes auf dem alten Schuhmacher-Wehr sollte man aber nicht überschätzen. Mit dem Staubrett allein kann keine Vorentlastung aus dem See erfolgen. Dies geht nur mit einem umgebauten Schumacher-Wehr und vor allem mit einer Eintiefung der Mangfall.

Tegernseer Stimme: Böse Zungen behaupten, es gehe vor allem darum, Trinkwasser für München zu sichern.

Geisenhofer: Auch wenn das Thema immer wieder hochkommt, für diese Spekulation gibt es einfach keine fachliche Grundlage.

„Tegernsee und Sylvensteinspeicher sind nicht vergleichbar“

Tegernseer Stimme: Könnte mit den geplanten Maßnahmen der Tegernsee künftig ähnlich wie der Sylvensteinspeicher gesteuert werden?

Geisenhofer: Tegernsee und Sylvensteinspeicher lassen sich überhaupt nicht vergleichen. Der Sylvensteinspeicher ist ein sogenannter Jahresspeicher, der im Winter um viele Meter abgesenkt und im Sommer mit den Hochwassern gefüllt wird. Der Tegernsee bleibt ein natürlicher See, an dem unter Umständen jahrelang keine Steuerung erfolgen wird, sondern lediglich bei sehr großen Ereignissen wird unmittelbar vor dem Hochwasser abgesenkt, wobei die Schwankungen immer innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite des Sees bleiben werden.

Tegernseer Stimme: Was werden die nächsten Schritte des Wasserwirtschaftsamtes sein, um den Bürgern die Bedenken und vor allem die Ängste zu nehmen?

Geisenhofer: Wir werden an die Bürgerinitiative herantreten. Außerdem werden wir für unsere Internetseiten Infos und Animationen ausarbeiten. Alle Bürger können sich zukünftig in lokalen Arbeitskreisen „Hochwasserausgleich Tegernsee“ einbringen. Wir hoffen, dass wir in kleineren Gruppen die schwierigen technischen Zusammenhänge anhand unserer Pläne und Unterlagen besser erklären können.

Tegernseer Stimme: Vielen Dank für das Gespräch.

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