Der Trost der jungen Seelen

Einsamkeit, Orientierungslosigkeit und die Verführungen des Feierns und des Alkohols: Auch Holzkirchens Jugendliche sind nicht vor den typischen Problemen des Erwachsenwerdens gefeit. Gut, wer im Ernstfall ein Netz aus Freunden und Familie hat, das einen auffängt. Doch was ist mit denen, die alleine sind? Für die will die Jugendgruppe des Kreuzbundes da sein. Ein Besuch.

Von links: Christian Probst und Peter Unterholzner wollen Holzkirchens Jugendlichen helfen.
Von links: Christian Probst und Peter Unterholzner wollen Holzkirchens Jugendlichen helfen.

„Ich habe eigentlich alles probiert“, sagt Özgur Bilge. Mit „alles“ meint er eine umfassende Palette von Drogen: LSD, Ecstasy, Kokain. Bilge, den hier in der Jugendgruppe des Kreuzbundes alle nur Özi nennen, ist 36 und kommt aus Rosenheim. Er trägt T-Shirt und Sneakers, wirkt jünger und jugendlicher als er ist. Über vier Jahre saß er wegen Drogendelikten im Gefängnis. „Ich bin da, weil mir damals eine Station wie hier gefehlt hat.“ Er selbst hat aus seinen Erfahrungen gelernt – und will nun anderen damit helfen. Deswegen hat er sich aus Eigeninitiative dem Team angeschlossen.

Es ist Donnerstagabend und im Container hinter dem Skatepark sitzen neun Jugendliche in einem Stuhlkreis: Es ist der Gruppenabend der Kreuzbund-Jugendgruppe. Die Gruppe rund um Holzkirchens Streetworker Christian Probst und seinen Kollegen Peter Unterholzner will für Jugendliche da sein, die Probleme haben – und unterstützen, damit es erst gar nicht soweit kommt wie im Fall von Bilge.

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Auch “Problemkinder” haben das Potential zum Vorbild

„Ein auffälliges Verhalten ist nichts als Problembewältigung“, sagt Unterholzner, zweiter Vorsitzende des Vereins Vorbild Jugendlicher / Leitbild Mensch, in dessen Räumlichkeiten auch der Gruppenabend stattfindet. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, jungen Menschen genau hierbei zu helfen: Die meisten sehnen sich nur nach Verständnis.

„Wir wollen aktiv mit unserem Verein als Präventionsmodell Orientierungs-, Perspektiv- und Strukturangebote schaffen“, sagt Probst. Er glaubt an das Potential Jugendlicher, gerade auch jener, die als „Problemkinder“ abgestempelt sind. Er glaubt daran, dass diese selbst zu Vorbildern für andere werden können und diese Rolle Sinn und Halt geben kann.

Dabei predigen Probst und seine Kollegen nicht von oben herab, sondern begegnen den Jugendlichen auf Augenhöhe. Bilge weiß, wovon er spricht – und welche Töne er treffen muss, um Zugang zu den Jugendlichen zu bekommen. „Die Jugendlichen spüren, dass da was da ist“, sagt Unterholzner. Echtheit schaffe Vertrauen. „Özi bringt durch seine Persönlichkeit viel mit“, sagt Probst, dem es stets um Respekt geht.

Die Sehnsucht nach der Frage “Wie geht’s?”

Viele Jugendliche wollten einfach das Gefühl bekommen, auch jemand zu sein, wichtig zu sein, ernstgenommen zu werden, so der 38-Jährige. „Die allerwenigsten solcher vorbelasteter Teenager sind bösartig“, sagt er. „Die Sehnsucht nach der einfachen Frage ‚Wie geht’s dir?’ sei groß.

Einfach ist letztlich auch das Geheimnis jener Hilfestellung, die Probst, Unterholzner und Bilge den Jugendlichen geben: Sie stellen die ersehnte Frage ‚Wie geht’s dir?’ und machen damit ein Angebot zum Dialog. Sie hören zu, ohne zu verurteilen. Und sie geben den jungen Menschen ein Versprechen: Was du sagst, bleibt unter uns.

Auf diesem Konzept des geschützten Raumes basiert ein großer Teil der Jugendarbeit des Vereins. Im wöchentlichen Gesprächskreis können junge Menschen ihre Sorgen loswerden. „Es geht darin oft um sehr harte Themen wie Mobbing, Drogen, Tablettenmissbrauch“, sagt Probst. „Viele bringen eine Vorgeschichte mit.“

“Willkommen in H-Town”

Die Jugendlichen kämen, weil sie über diese Dinge weder daheim noch in der Schule sprechen könnten. „Dies ist ein Ort zum Erzählen“, sagt Probst. Und Bilge betont: „Diese Anlaufstelle ist Gold wert. Mir hätte etwas wie hier sehr geholfen. Ich war ziemlich weit unten.“

Für Bilge kam der Wendepunkt erst spät. „Irgendwann saß ich in Haft und dachte mir, so kann’s nicht weitergehen. Wo soll das enden?“ Eine Ärztin sagte ihm, er könne froh sein, dass er noch lebe.

Auch wenn Bilges Geschichte drastisch klingt, so weit sind viele Holzkirchner Jugendliche nicht weg davon. „Willkommen in H-Town“, sagt Nina, die auch am Gruppenabend teilnimmt. H, das steht für Heroin. Wer wolle und die ‚richtigen’ Leute kenne, würde in Holzkirchen alles bekommen, so die 21-Jährige. Holzkirchen ist in Sachen Drogen kein ungeschriebenes Blatt. Eher ein Umschlagplatz.

Erfahrung mit Sucht bringt auch Simon mit, der der Gruppe beiwohnt. „Ich wurde in der Schule gemobbt“, erzählt er. Dann fand er Zugang zu einer Gruppe, die ihm Schutz bot – jedoch einen schlechten Einfluss auf ihn hatte. „Das fing mit Hauspartys an, auf denen wir uns zugekifft haben. Irgendwann haben wir das jeden Tag gemacht.“

Die Gruppe bietet Halt und Vertrauen

Seine Eltern schmissen ihn schließlich raus, seine Mutter litt so sehr unter der Situation, dass sie kurzzeitig in der Psychiatrie war. Heute geht es Simon wieder gut – die Jugendgruppe des Kreuzbundes bietet ihm Rückhalt: „Diese Anlaufstelle bedeutet mir sehr viel“, sagt er. „Hier hat jeder immer ein offenes Ohr.“

Ähnlich klingen die Aussagen der anderen Jugendlichen. Für den 19-jährigen Bini zählt, „dass man hier den Rücken gestärkt bekommt“, für den 16-jährigen Michi ist die Gruppenstunde „eine coole Sache“, für den 14-jährigen Tim zählt, „dass man hier offen reden kann und nichts nach außen dringt”.

Psychoanalytisch betrachtet ist dieser geschützte und intime Raum ein Mutterarchetypus. Nach C. G. Jung steht dieser Archetypus – also ein in allen verankertes Urbild – für die Idee der Geborgenheit und ursprünglichen Liebe ein. Dass sich Jugendliche in den Räumlichkeiten des Vereins einfinden und dort „die Dinge knallhart benennen“, wie Probst sagt, weil sie sich sicher fühlen können, ist ein Zeichen für das Defizit an Liebe in ihrem Leben, den Mangel an Fürsorge und Zuwendung.

Holzkirchen, diese Marktgemeinde, die längst städtisch geworden ist, übersieht oftmals, dass ihre junge Seele blutet. Und der Bedarf an Trost ist immens. Die Jugendgruppe des Kreuzbundes ist ein erstes Trostpflaster. So empfindet es auch die 21-jährige Kati: „Denn wo ist in Holzkirchen sonst wer da?“

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