Der Vorleser – Teil 1

Sitzfleisch brauchte, wer sich gestern in die Stadtratssitzung nach Tegernsee gewagt hatte. Der Bürgermeister war unter die Literaten gegangen und füllte den Abend als “Vorleser”. Wer genügend Geduld bewies, erfuhr am Ende, was jetzt Sache ist. Teil 1: Am Berg da gibt’s koa Sünd‘.

Johannes Hagn versuchte sich als “Vorleser” / Quelle: Archivbild Tegernseer Stimme

Der Tegernseer Hotelier Dr. Andreas Greither plant seit etwa neun Jahren eine Erweiterung seines Hotels „Der Westerhof“. Seit dieser Zeit befürchten Nachbarn und Behörden Beeinträchtigungen. Vor allem die Verkehrssituation am Berg sowie die Größe des Projekts weckt Bedenken. Der Protest war nach der ersten Auslegung öffentlich geworden. Trotzdem hatten die Stadträte mit nur vier Gegenstimmen das Projekt grundsätzlich genehmigt. Planer hatten Änderungen vorgenommen. Die zweite Auslegung war erfolgt. Dass es darauf wieder zahlreiche Einwendungen geben würde, war klar. Wo Bürgermeister Johannes Hagn vermutlich endlich einen Schlusstrich unter den Plan ziehen würde.

Groß – aber nur für einen ausgewählten Kreis

93 Seiten umfasst das Schriftstück, das gestern Abend in der Tegernseer Stadtratssitzung auf den Tisch kam. „Ich werde es verkürzt vorlesen.“ Aus diesem Plan von Bauamtsleiterin Bettina Koch wurde nichts. Bürgermeister Johannes Hagn hatte seine literarische Ader entdeckt und las in einem abendfüllenden Programm Zeile für Zeile des Dokuments vor. Einwendungen von öffentlichen Trägern und Privatpersonen sowie die Abwägung, die die Stadtverwaltung daraus folgerte, kamen so an die Öffentlichkeit.

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Stadträte sind keine Landschaftsschützer, so könnte die Quintessenz aus den literarischen Ergüssen lauten. Auch wenn Privatleute Bedenken äußern wie: „Das zeugt von Respektlosigkeit gegenüber der alten Tradition des (ehemaligen) Klosterhofes.“ Der Stadt geht es darum, ihre städtebaulichen Ziele zu erreichen. – den Fremdenverkehrsstandort Tegernsee zu stärken. Da kommt der Plan des Hoteliers, aus dem Westerhof ein Fünf-Sterne-Hotel mit 134 Zimmern zu machen, gerade recht. Auch wenn mancher bei der Formulierung der städtischen Abwägung zwischen den Zeilen auch Zweifel erkennen konnte, man steht hinter den Ausmaßen des Projekts:

Ein solches Vorhaben muss wirtschaftlich betrieben werden können und setzt dafür eine gewisse Größe voraus.

Bei seinem Hotelkonzept soll es sich um eine abgeschlossene Sache handelt, wenn es nach Hotelier Greither geht. Auch in den Abwägungen der Stadt ist dies schriftlich fixiert: „Alle Nutzer des Hotels etwa für Veranstaltungen und Seminare werden Hotelgäste sein.“ Für die Stadt ist der Umstand, dass keine externen Besucher zugelassen sind, nichts ungewöhnliches. Auch Lanserhof oder Schloss Ellmau arbeiten nach diesem Betriebskonzept, heißt es in dem Schriftstück. Die Themen in den Stellungnahmen: Naturschutz, Landschaftsbild, Schall- und Bodenschutz, Verkehr.

Umwelt-/Natur- und Landschaftsschutz

Die Auswirkungen des Vorhabens auf Natur sowie Orts- und Landschaftsbild sind der Stadt bewusst, trotzdem toleriert sie in ihren Abwägungen die befürchteten Beeinträchtigungen.

Der Stadt ist völlig bewusst, dass die Größe des Vorhabens, dessen Gestaltung und Baumasse zu einer erheblichen Veränderung des Landschaftsbilds führen wird. Gleichwohl hält sie das Vorhaben für städtebaulich vertretbar.

Gerade die Fernwirkung des „riesigen Riegels hoch droben auf dem Berg“ stößt manchem sauer auf. Da das Projekt im Landschaftsschutzgebiet (LSG) liegt, ist eine Befreiung von den Verboten der SG-Verordnung erforderlich, die die Untere Naturschutzbehörde am Landratsamt (LRA) nur unter bestimmten Voraussetzungen erteilen will. Deshalb musste die Planung überarbeitet werden.

Die Stadt ist der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der Umplanung, der Architektursprache und die städtebaulichen Gesichtspunkte die Auswirkungen des Vorhabens auf das Orts- und Landschaftsbild NOCH vertretbar sind.

Nun werden die an der neuen Zufahrt zum Anwesen geplante Stützmauern kleiner und der Wendehammer reduziert. Die Beleuchtung muss insektenfreundlich geplant werden. Die Wegebreiten von 3,5 auf 2,5 Meter reduziert sowie mehr hochstämmige Obstbäume anstatt kleinerem Grün gepflanzt werden. Auch die Berechnung für die Ausgleichsflächen wurden überarbeitet. Das Gutachten für den Artenschutz ist ebenso in den letzten Zügen.

Schall- und Bodenschutz

Im Vorfeld war es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen. In Folge dessen mussten die Schallschutzmaßnahmen in der Baugenehmigung konkretisiert werden. Der Hotelbetrieb einerseits und die Lage am Rand zum Außenbereich andererseits rechtfertigt den Ansatz eines allgemeinen Wohngebiets als Schutzstandard, so heißt es in der Abwägung der Stadt. Die schalltechnische Verträglichkeit gilt damit als nachgewiesen und auch von Behördensicht besteht Einverständnis.

Glaubhaft dargestellt – und trotzdem unglaublich, wie ein Anwohner findet. „Wie kann man ein solches Vorhaben trotz aller bekannten Nachteile weiterverfolgen?“ So fragt es sich einer der unzähligen Anwohner in dem Schriftstück mit den Bedenkenäußerungen. Die Abwägung der Stadt folgt schriftlich und prompt auf dem Fuß:

Der Stadt ist dabei auch bewusst, dass sich für die Anwohner eine Verschlechterung im Hinblick auf die Lärmsituation und sonstige Immissionen ergeben wird. Es wurde aber gutachterlich untersucht und festgestellt, dass die Verschlechterung fachlich und damit aus der Sicht der Stadt städtebaulich vertretbar ist.

Die fachliche Stellungnahme des Büros Fran Bumiller und Kraft kommt zu dem Ergebnis, dass für das konkrete Baufeld keine Georisiken zu befürchten sind.

Verkehr

Das Betriebskonzept wurde außerdem einer Verkehrsuntersuchung zugrunde gelegt. So wurde auch die Anzahl der Stellplätze überarbeitet, da man annahm, dass nicht genügend Plätze vorgesehen waren. Für die 270 Gästebetten in 134 Einheiten werden 135 Stellplätze, für 50 Personalbetten 25 Stellplätze, für zusätzliches Personal 19 Stellplätze und für die Betreiberwohnung 3 Stellplätze vorgesehen. Insgesamt sind demzufolge 182 Stellplätze zu errichten.

Nach der Fertigstellung soll der neue Westerhof so aussehen / Quelle: Planungsbüro Blüml

Die Zufahrt zur geplanten Tiefgarage wurde überarbeitet, so dass es nun zu weniger Beeinträchtigungen durch Lärm- und Lichteinwirkungen kommen soll. Mit nächtlichem Verkehr rechnet man nicht. Das Verkehrsgutachten hat außerdem ergeben, dass der Ziel- und Quellverkehr durch die vorhandenen Straßen abgewickelt werden kann. Zudem ist in der Olaf-Gulbransson-Straße ein Ausbau auf Kosten des Vorhabenträgers geplant. Auf Grundstücke privater Anlieger muss man nicht zugreifen.

Beschluss mit Zweifeln

Etliche Stadträte fanden die Stellungnahmen schlüssig und stimmten dem Beschlussvorschlag zu. Peter Sieben äußerte sich geradezu euphorisch: „Wir haben vorher schon zugestimmt, und wir wären blöd wenn wir jetzt nicht zustimmen, wo alles optimiert wurde.“ Auch Norbert Schussmann outete sich als Fan: „Wir sind dabei, den Bettenschwund der letzten 30 Jahre etwas abzufedern.“ Zweifel ließ er nur unterschwellig zu: „Zum Thema Verkehr gebe ich zu, dass das ein bisschen knapp ist, da wird es für die Anlieger gefühlt ein bisschen schlechter. Aber so ist es halt im Leben, in einem Gebiet wo mehrere Leute leben.“

Bedenken äußerten Martina Niggl-Fisser: „Ich habe das ganze Vorhaben für zu groß empfunden – ich werde dagegenstimmen.“ Peter Schiffmann hat ebenso Bauchschmerzen: „Der Wanderer bringt der örtlichen Wirtschaft mehr als das dritte oder vierte Super-Duper-Premium-Hotel.“ Ähnlich sieht es auch Laura Mandl: „Es ist der falsche Weg, den Bettenschwund mit Luxushotels zu kompensieren. Thomas Mandl mutmaßt, dass später die Probleme größer sein werden als die Lösung: „Auf dem Papier funktioniert es, aber da darf nix schiefgehen. Das ist ein Projekt für den Betreiber und nicht für die Stadt Tegernsee.“

Auch wenn der Stadtrat letztendlich die Stellungnahmen zum Beschluss erhoben und damit den Weg bereitet hat für eine dritte öffentliche Auslegung. Vier Gegenstimmen bekräftigen die Ablehnung gegen das Mega-Projekt. Und es bleiben viele Fragen: Was wird aus Natur und Landschaft? Ist das Hotel zum Massentourismus verdammt, um eine Vollauslastung zu erreichen? Und wo sollen die rund 70 Hotel-Mitarbeiter wohnen bei der Wohnungsnot im Tegernseer Tal? Eines scheint klar – zumindest für die Anwohner: mit der Ruhe hoch droben auf dem Berg dürfte es bald vorbei sein.

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