„Die Umgehungsstraße ist kein Heilsbringer“

Wie geht es weiter mit der südlichen Umgehungstraße? Das Straßenbauamt Rosenheim erwartet bis zum Sommer eine Stellungnahme der Gemeinde. Die Gegner der geplanten Trasse trommeln zum Protest. Sie sehen in der Umgehung mehr Nachteile als Vorteile. Ein Doppelinterview mit den größten Kritikern.

Georg Sigl und Sigfried Scholz im Gespräch.
Von links: Georg Sigl und Christoph Scholz im Gespräch.

Die neue Legislaturperiode hat begonnen. Auf der Agenda der Gemeinderäte steht auch ein Bekenntnis zur geplanten südlichen Umgehungsstraße. Die Gegner der geplanten Trassen formieren sich – sie wollen nicht, dass über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden wird. Ein Gespräch mit Georg Sigl von der Bürgerinitiative „Stop Südumgehung“ und Christoph Scholz vom Verein „Hartpenning muckt auf“.

Holzkirchner Stimme: Guten Tag Herr Sigl, guten Tag Herr Scholz. Sie werfen der Politik oft vor, dass sie die Bürger zu wenig mitnimmt. Nun gibt es inzwischen vier Bürgerinitiativen gegen die Umgehungsvarianten und man kann sich auch hierin ‚verfahren’. Nehmen Sie uns also nochmal an der Hand und klären Sie uns über Ihre Standpunkte auf: Was genau ist falsch an den beiden vorgeschlagenen neuen Trassen?

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Georg Sigl: Wir lehnen beide Umgehungsstraßen ab – sowohl die ursprünglich geplante ortsferne als auch die ortsnahe – weil nur eine überregionale Lösung der Schlüssel sein kann.

Christoph Scholz: Wir sind gegen eine West- und ortsnahe Südumgehung und ebenfalls für eine landkreisübergreifende durchdachte Verkehrspolitik. Es ist ein Trugschluss, dass eine Südumgehung eine deutliche Entlastung brächte. Eine Entlastung wäre kaum spürbar. Wir sind der Meinung, dass eine Umgehungsstraße sogar mehr Verkehr anziehen würde.

Holzkirchner Stimme: Inwiefern?

Christoph Scholz: Wir sagen, dass das was in den Verkehrsgutachten von Kurzak steht und worauf sich die Entscheidung der Gemeinderäte stützt, nur eine gemeindeinterne Umlagerung betrachtet, wenn es eine Sügumgehung gäbe. Aber es berücksichtigt überhaupt nicht den überregionalen Verkehr, der dadurch angezogen wird. Nämlich den Transitverkehr – wir nennen das den Queralpenverkehr. Insbesondere der Schwerlastverkehr, der heute über die B472 von Westen über Tölz, Waakirchen, Miesbach zum Irschenberg fließt, würde dann nach Holzkirchen hinein fließen.

Georg Sigl: Die B472 ist die Hautverkehrsschlagader. Diese Straße wird auch 24 Stunden betreut, sprich auch im Winter. Nun ist es unverständlich, dass man hiervon abrücken möchte und Verkehr nach Holzkirchen verlagern will.

Christoph Scholz: Die Südumgehung ist gleichzeitig eine Transitstrecke. LKW-Fahrer, die jetzt über Bad Tölz nach Irschenberg fahren, könnten dann zum Beispiel die neue Straße nutzen, weil sie sich dadurch Zeit sparen. Eine B13-Südumgehung könnte Waakirchen, Miesbach, Piesenkam und vielleicht sogar das Tegernseer Tal entlasten, aber sie wäre eine Katastrophe für Holzkirchen. Hier würde der Fernverkehr angezogen.

Holzkirchner Stimme: Vorhersagen lässt sich das ja nicht sicher. Wieviel basiert hier also auf Vermutungen?

Christoph Scholz: Das ist einfach logisches Denken. Wenn ich eine schnelle Verbindung haben will, fahre ich natürlich die super ausgebaute Straße. Dafür brauche ich nicht Experte sein. In dem Kurzak-Gutachten wird mit keinem Wort erwähnt, dass zusätzlicher Verkehr angezogen wird. Da wird nur diese Holzkirchen-interne Verkehrsumlagerung hypothetisiert.

Georg Sigl: Außerdem erweckt die Umgehungsstraße den Anschein einer Erschließungsstraße, aber sie wird als Umgehungsstraße verkauft. Unsere Vermutung ist die, dass eine ortsnahe Umgehungsstraße für Holzkirchen den Vorteil hätte, dass man hier expandieren könnte. Dass sich Holzkirchen in Richtung Süden erweitert.

Holzkirchner Stimme: Expandieren heißt was genau?

Georg Sigl: Dass mehr Wohnungen gebaut werden. Da Holzkirchen einen starken Ziel- und Quellverkehr hat, würde ein Wachsen des Ortes die Verkehrsbelastung verstärken. „Stop Südumgehung“ sieht darin das Hauptproblem. Wir sehen keinen extremen Durchgangsverkehr von LKW-Fahrern, kein LKW-Fahrer tut sich das freiwillig an, durch Holzkirchen zu fahren. Auch wenn der Bahnhofsverkehr von Tölz nach Holzkirchen zu Stoßzeiten natürlich unbestreitbar ist.

Verpasst, auch die Infrastruktur zu planen

Holzkirchner Stimme: Warum sehen Sie das Wachstum kritisch?

Georg Sigl: Das Wachstum ist in Holzkirchen exorbitant. Gesundes Wachstum begrüße ich. Aber man muss auch erkennen, dass hierdruch der Naherholungsraum für Holzkirchen verloren geht, Holzkirchen ist zu einer kleinen Stadt geworden. An der Nordumgehung kann man gut sehen, dass diese nicht nur eine Umgehung-, sondern eben auch eine Erschließungsstraße ist: Hier wird nun immer mehr im Umkreis der Straße zugebaut. Föching und Holzkirchen werden über kurz oder lang zusammenwachsen.

Christoph Scholz: Holzkirchen hat es vor vielen Jahren verpasst, parallel zum Wachstum die Infrastruktur zu planen. Und was den Naherholungsraum angeht, der verlorengeht: Wir treten auch für die Erhaltung der landwirtschaftlichen Struktur ein.

Georg Sigl: Sämtliche Bauern sind gegen diese Entwicklung. Hier wird geplant, ohne die Grundstückseigentümer zu fragen, es wird über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden. Man hat oft den Eindruck, dass vieles schon im Hintergrund geklärt wird, von dem der Bürger nichts mitbekommt.

Holzkirchner Stimme: Protestbewegungen laufen oft Gefahr, dass sie einfach nur dagegen sind. Wie sehen Ihre konkreten Lösungsvorschläge aus?

Christoph Scholz: Wir bieten keine Lösung an. Man kann sich schon auf den Standpunkt stellen: Umgehungsstraßen machen nur noch mehr Verkehr. Das ist vielerorts bewiesen. Man kann also sagen: Warum belässt man die Situation nicht so, wie sie ist? Innerörtlich könnte man natürlich noch diverse Maßnahmen ergreifen, wie Fußgängerzonen. Man kann den Verkehr sogar erschweren. Das Auto hat bei uns zu viel Priorität.

Die beiden Initiativen sind tief drin in der Materie.

Holzkirchner Stimme: Aber ist es realistisch, dass die Leute vom Auto wegkommen?

Christoph Scholz: Schauen Sie, es hat sich zum Beispiel ein großer Teil des Verkehrs in die BOB verlagert. Rund 200 Autos pro Tag wollen von Tölz zum Holzkirchner Bahnhof. Nun will man noch einen weiteren Parkplatz bauen, aber das ist doch Wahnsinn. Die Pendler müssen direkt in Tölz in die BOB steigen. Meine Idee wäre hier ein Expresszug, der die Pendler morgens schnell nach München bringt.

Holzkirchner Stimme: Aber ist hierfür die Gemeinde zuständig?

Georg Sigl: Hierzu hat auch der Toni Hofreiter eine klare Stellungnahme abgegeben. Die Bahnverbindungen müssen verbessert werden.

Christoph Scholz: Eigentlich nehmen wir hier klare grüne Positionen ein.

Georg Sigl: Eine überregionale Lösung ist beispielsweise in Waakirchen zu suchen. Waakirchen will selbst eine Umgehung und befürchtet natürlich, dass es, sollte das in Holzkirchen scheitern, auch für sie keine Lösung in absehbarer Zeit gibt. Nun ist es aber so, dass auch das Industriegebiet dort beispielsweise schlecht erschlossen ist. Der Zulieferverkehr muss durch Waakirchen fahren. Dort muss man sich so oder so ein Konzept überlegen, wie man das löst.

Holzkirchner Stimme: Nun sind Sie gewissermaßen „Brüder im Geiste“ – wäre es nicht zielführender, ganz gemeinsam als gebündelte Kraft anzutreten?

Christoph Scholz: Einen Zusammenschluss hatten wir diskutiert.

Georg Sigl: Wir stehen zusammen, aber Hartpenning hat auch nochmal eigene Interessen. Wir sind kein Verein, sondern eine Bürgerinitiative, wir setzen uns für Holzkirchen und Marschall ein.

Christoph Scholz: Unsere Schnittmenge ist die Verhinderung der Südumgehung. Aber der Verein will auch langfristig was für Hartpenning machen, die Interessen Hartpennings gegenüber Holzkirchen vertreten.

In der Politik spielt Opportunismus eine große Rolle

Holzkirchner Stimme: Vor der Wahl war es erstaunlich ruhig um das Thema Umgehungsstraße. Die Freien Wähler haben allerdings damit geworben, dass die erste Umgehungsvariante, die aus naturschutzrechtlichen Gründen ja eigentlich vom Tisch ist, doch noch eine Option ist. In welchem Zusammenhang stehen Politik und Umgehungsstraße?

Christoph Scholz: Uns ist das politisch unklar, warum man das macht.

Georg Sigl: In der Politik spielt Opportunismus eine große Rolle. Die Umgehungsstraße wird mit großen Versprechen gekauft – beispielsweise, dass man eine Fußgängerzone einrichten könnte – aber das ist ein Trugschluss. Dass politisch nichts hinterfragt wird und quasi alle Gemeinderäte dahinter stehen, war für uns auch ein Grund, aktiv zu werden. Die Umgehungsstraße ist kein Heilsbringer.

Holzkirchner Stimme: Was erwarten Sie sich vom neuen Bürgermeister? Olaf von Löwis bittet um mehr Zeit und will sich mit den Bürgermeistern der Nachbargemeinden an einen Tisch setzen.

Christoph Scholz: Da haben wir nichts dagegen. Mehr Zeit bedeutet auch die Möglichkeit, sich schlau zu machen. Vor allem erwarte ich mir weniger Geheimniskrämerei, sondern mehr Transparenz, also weniger nicht öffentliche Sitzungen. Das ist ein Anachronismus.

Georg Sigl: Solche nicht öffentlichen Sitzungen fördern das Misstrauen.

Christoph Scholz: Ich erwarte mir vom neuen Bürgermeister schon auch einen Paradigmenwechsel. Von Löwis scheint mir ein moderner Politiker zu sein, der nicht so sehr in den alten CSU-Strukturen denkt.

loewis hartpenning muckt auf

Holzkirchner Stimme: Sie haben ihm ja auch ordentlich den Marsch geblasen …

Christoph Scholz: Ja, von Löwis war bei der Demonstration mit dem Autokorso da und hat sich ganz klar dazu geäußert, dass die Umgehung bei Hartpenning für ihn keine Lösung darstellt. Und auch am Marktplatz am Tag der Wahl waren wir da.

Holzkirchner Stimme: Und wie kam ihr Blaskapellen-Aufgebot da an?

Christoph Scholz: Am Anfang waren die Politiker etwas ängstlich, aber wir haben das so charmant gemacht, dass keiner böse war.

Holzkirchner Stimme: Haben Ihnen das die Hartpenniger voraus, diese spitzbübische Art?

Georg Sigl: Die Hartpenninger mucken schon mit Charme auf, ja. Aber unser Part ist eher der informative, wir wollen die Tatsachen herausarbeiten.

Christoph Scholz: Die von euch erarbeitete Datenbasis schätze wir sehr. Wir wollen ja nicht nur Radau machen, aber um Aufmerksamkeit zu erzeugen, muss man manchmal plakativ arbeiten.

“Wir sind für einen Bürger- oder Ratsentscheid”

Holzkirchner Stimme: Stichwort Bürgerbefragung: Da sieht es momentan auch schlecht aus – zumindest findet diese nicht im Zuge der Europawahl statt, wie einmal angedacht war.

Georg Sigl: Bis zum Sommer wird vom Straßenbauamt ein Signal verlangt. Wir sind der Meinung, dass dieses vom Bürger kommen soll. Wir sind also für einen Bürger- bzw. Ratsentscheid, der dann auch verbindlich ist und nach dem sich die Politik richten muss. Die Gemeinde ist hier in der Pflicht, den Bürger bei solch weitreichenden Entscheidungen miteinzubeziehen.

Holzkirchner Stimme: Ist all die Aufregung nicht verschwendete Liebesmüh? Es gibt auch Gegner der Trassen, die geradezu tiefenentspannt wirken. Denn selbst wenn der Gemeinderat zustimmt, heißt das noch nicht, dass der Bund für den Straßenbau das Geld locker macht, dass die Umgehung also im Verkehrswegeplan berücksichtigt wird.

Christoph Scholz: Wir machen einen Mordsaufwand. Wir handeln nach dem Motto: Wehret den Anfängen. Auch wenn die Umgehungsstraße auf der Prioritätenliste im Bundesverkehrswegeplan nicht ganz oben steht, gibt es trotzdem viele Politiker mit guten Beziehungen nach Berlin – Ilse Aigner ist dort ja zum Beispiel bestens etabliert.

Georg Sigl: Ja, Aigner und Ramsauer. Mit der Nordumgehung ging es dann ja auch sehr schnell.

Christoph Scholz: Gewissermaßen ist unser Protest eine Vorsichtsmaßnahme.

Georg Sigl: Genau. Wenn das schon bei der Nordumgehung so schnell möglich war, kann es jederzeit wieder so schnell passieren.

Holzkirchner Stimme: Herr Scholz, Herr Sigl, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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