Durch die Hölle an den Tegernsee

Leben in einem unbekannten Land, auf der Flucht vor dem Grauen in der Heimat. Wie fühlt es sich an, nach Deutschland als Asylbewerber zu kommen? Wir haben uns mit Henri* getroffen, der seit Kurzem in Tegernsee lebt.

Er erzählt, wie dankbar er ist, hier wohnen zu dürfen und wie sein Alltag aussieht. Außerdem berichtet er von seinen Versuchen, sich zu integrieren. Zunächst seien er und seine Familie überwältigt von den Eindrücken gewesen. „Aber jetzt fühlen wir uns sicher.“

Henri und seine Familie leben seit ein paar Monaten in Tegernsee
Henri und seine Familie leben seit einigen Monaten in Tegernsee.

Henri ist ein paar Minuten zu spät. Aber dann kommt er, steigt die Eingangstreppe vom Haus hinab, rückt sich seine beige Baskenmütze zurecht und geht über die Wiese. Er wirkt angespannt, die Hände hat er in den Taschen seiner dicken, blauen Jacke verstaut. Überhaupt scheint dem gebürtigen Afrikaner kalt zu sein – hier am Tegernsee. Er setzt sich auf eine Holzbank in der Sonne. Mit der Temperatur steigt auch sein Wohlbefinden.

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Ein neues Leben

„Als wir hierher kamen, waren meine Familie und ich erst mal überwältigt von all den Eindrücken und Sorgen, die wir von unserer Flucht mitgebracht haben“, sagt der 45-Jährige, der in der Demokratischen Republik Kongo geboren ist. „Inzwischen kommen wir aber gut zurecht. Wir haben mehrere Gruppen gefunden, die uns aufgenommen haben. Jetzt fühlen wir uns sicher.“

Henri und seine Familie sind als Asylbewerber im Tegernseer Tal untergekommen. Aus politischen Gründen aus ihrer Heimat geflohen, hat es die fünfköpfige Familie binnen eineinhalb Monaten aus Afrika über München in ein Haus in Tegernsee-Süd geschafft. Seit Anfang Dezember sind sie dort in Sicherheit, können – wenn sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen – ein neues Leben anfangen.

Die Flucht an den Tegernsee

„Ich fühle mich wie ein kleines Kind“, erzählt Henri in gebrochenem Französisch und lächelt dabei. Seine Anspannung lässt im Laufe des Gesprächs nach. Skeptisch aber bleibt er. „Ich weiß meistens gar nicht, was ich tun oder sagen soll. Immer muss ich andere um Hilfe fragen.“ Seine Frau und er lernen gerade Deutsch – einmal die Woche haben sie einen Kurs. Für Henri kann es gar nicht schnell genug gehen. Auf einem alten Computer versucht er, eine Sprach-Software zu installieren – bis jetzt hat es nicht richtig geklappt. Die beiden älteren seiner drei Töchter haben es da besser: Die eine geht in die Vorschule in Hausham, die andere in den Kindergarten in Tegernsee.

Um das zu erreichen, sind Henri und seine Familie durch die Hölle gegangen. Bis zur Flucht hat er im Kongo als Chauffeur und Mechaniker gearbeitet. Doch die politischen Probleme im Land seien zu groß geworden. Mehr möchte er nicht sagen, das Sprechen über die Vergangenheit fällt ihm sichtlich schwer. Er kneift seine Finger zusammen und verrät noch so viel: „Wir wären tot, wenn wir nicht geflohen wären.“ Also ging Henri – zunächst allein – in die Republik Kongo (den anderen Teil Kongos), überquerte den Fluss Kongo in einem Kahn, floh weiter nach Addis Abeba. Dorthin kam seine Familie nach. Mit dem Flugzeug verließen sie das Land – direkt nach München in ein Auffanglager. Und schließlich nach Tegernsee, wo die Flucht ein vorläufiges Ende fand.

„Die Kirche ist anders“

Henri entspannt sich. Seine Hände nutzt er jetzt, um Gegenwart und Zukunft mit Gesten zu unterstreichen. „Ich bin dankbar, all denen, die uns geholfen haben. Es ist eine große Freude, zu sehen, dass meine Kinder in die Schule gehen dürfen und eine Ausbildung bekommen.“ Henri strahlt. Jeden Tag bringt er sie zum Bus und holt sie wieder ab. Seine Frau kocht, er erledigt alles andere – auch einkaufen.

Die im Juli von Pfarrer Walter Waldschütz ins Leben gerufenen Kolpingsfamilie Tegernsee kümmert sich um die Familie.
Die im Juli von Pfarrer Walter Waldschütz ins Leben gerufene Kolpingsfamilie Tegernsee kümmert sich um die Familie.

„Mein Fahrrad ist mein Auto“, scherzt Henri. Damit fährt er zum Supermarkt. Oder ein Stück weiter, wenn es afrikanische Lebensmittel geben soll. Und auch am lokalen Sportangebot nimmt er Teil: Einmal in der Woche spielt er Fußball in Rottach-Egern. „Das tut mir richtig gut“, erzählt Henri und wippt mit den Schuhen.

Jeden Sonntag geht er mit der Familie in die Kirche und berichtet von einem signifikanten Unterschied zu seiner Heimat: „Hier geht es in der Kirche so ruhig zu. Im Kongo wird in der Kirche richtig gefeiert.“ Henri beginnt zum ersten Mal herzhaft zu lachen. „Wir sind es gewöhnt, in der Kirche zu singen, zu klatschen und zu tanzen. Jeder macht mit.“ Und was fehlt ihm hier – von den afrikanischen Gottesdiensten mal abgesehen? Dass er keine Arbeit hat. „Ich bewege mich gern. Aber im Moment besteht mein Leben aus Nichtstun.“

Keine Rückkehr

Nach neun Monaten Aufenthalt dürfte er hier anfangen zu arbeiten. „Ich habe Angst, dass ich meinen früheren Beruf nicht ausüben kann, weil ich die hier notwendige Qualifikation nicht habe. Aber ich will es vielleicht wieder als Chauffeur versuchen und den Führerschein machen“, sagt Henri zuversichtlich.

Wenn er darf, will er mit seiner Familie hier bleiben. „Solange sich im Kongo nichts ändert, werde ich nicht zurückkehren, wenn ich nicht muss.“ Ob es die Familie dann nicht in die Stadt ziehe, wenn ein paar Jahre vergangen seien? „Nein“, sagt Henri, „mein größter Wunsch ist es, Ruhe und Sicherheit zu finden und über das Leben nachdenken zu können. Deswegen möchte ich hier bleiben.“

* Name von der Redaktion geändert

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