„Das Tal gibt mir Ruhe“

Riccardo Milazzo ist Künstler, solange er denken kann. Der Rottacher beschränkt sich nicht auf eine Technik. Oder auf das, was sich gut verkauft. Seine Inspiration findet er im Tegernseer Tal. Damit ist er nicht allein, denn die Milazzos sind eine ganze Künstler-Familie. Zum Geburtstag hatte sich Mutter Waltraud Milazzo gewünscht, dass sie einmal gemeinsam ausstellen. Der Wunsch ging nun mit der Werkschau im Krankenhaus Agatharied in Erfüllung.

Riccardos Alter ist schwer einzuschätzen. Der schwere Vollbart. Der breitkrempige, schwarze Hut. Die dunkle Kleidung. Alles lässt ihn älter erscheinen, als er es wahrscheinlich ist. „Ich bin ein Kind der Achtziger“, so viel lässt er wissen. Nur die Augen verraten seine ewig jugendliche Spitzbübigkeit.

Riccardo: Zeichnung, Grafik, Fotografie

Eigentlich spielt bei Kunst die Zeit sowieso keine Rolle. Riccardo ist schon immer Künstler, wie er sagt. Hat lange in Berlin und Stuttgart gelebt. Bevor er wieder an seine Geburtsstätte am Tegernsee gezogen ist. Jetzt lebt er mit seinen Eltern – Waltraud und Gaetano Milazzo – in einer Eltern-Künstler-WG in Rottach-Egern. „Das Tal gibt mir Ruhe“, erklärt er.

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Geduldig zeigt er mir jedes seiner Bilder, die an der langen, blauen Wand im Foyer des Krankenhauses Agatharied ausgestellt sind. Seine Mutter hatte sich zu ihrem Geburtstag gewünscht, dass die ganze Familie einmal gemeinsam ausstellt. Zwei der Kinder – Riccardo, genannt Ricc und Guiseppa, genannt Pina – sind Künstler, genau wie die Eltern.

„Haushenne“ heißt eines der Bilder von Ricc, das mich besonders fasziniert. Das Haus der Familie ist der Kopf des Huhns. Darunter wölbt sich ein riesenhafter Körper. In diesem hat Riccardo alle Zimmer des Hauses akribisch in Draufsicht dargestellt.

Das ganze Haus ist ein Atelier: Gaetano (li.), Ricc und Waltraud Milazzo in ihrem Rottacher Zuhause.

Das Haus in Rottach-Egern stellt sich auch bei einem Besuch als äußerst gemütlich dar. „Riccardo breitet sich langsam aus“, so Mutter Waltraud schmunzelnd. Ricc ist wahrhaftig dabei, jeden Tisch, jede Fläche für seine Kunst zu nutzen. In der Garage entsteht gerade ein riesenhaftes Bild. Auf dem Esstisch der Familie sind neue Gemälde ausgebreitet. „Er überlegt, wie gut sie ihm gefallen“, erzählt Waltraud.

Die meisten von Riccs Werken bergen eine Ansicht, die vielleicht auf den ersten Blick verwirrt, dann aber in ein Glücksgefühl übergeht. „Ich will nicht todernste Geschichten machen“, ist sich der Künstler sicher. Deshalb findet man in etlichen seiner Werke immer dieses kleine, schmunzelnde Etwas. Von der Optik her erinnern viele an sogenannte „Wimmelbilder“, also eine Art Suchbilder, auf denen es viele Dinge zu entdecken gibt und die sich meist Kinder ansehen. „Der Betrachter soll selbst seine Interpretationen finden“, das ist ihm wichtig.

Manche seiner Bilder tragen einen kleinen, roten Punkt – ein Zeichen dafür, dass jemand sie gekauft hat. Das freut Ricc natürlich, denn auch wenn er und seine Eltern recht sparsam leben, ist doch ein gewisses finanzielles Budget zum Leben notwendig. Und auch das Material für die Kunst kostet. Seit etwa vier Jahren tritt Ricc als Künstler nach außen auf. Etliche Ausstellungen hatte er schon.

Ausstellung in Agatharied – Spiegel von vier Jahren

Die Ausstellung im Agatharieder Krankenhaus fasst viele seiner Arbeiten aus den vergangenen vier Jahren zusammen. Zeichnungen in Bleistift und Tusche, aber auch Fotografien findet man darunter. Während er zu fast jedem Bild eine Geschichte weiß, zum Beispiel die, als er einmal in einer Kneipe mit einem dumpfen, schrägen Typen aneinander geriet, kann man sich ganz in seine Werke hineingeben.

Eines seiner größten Werke trägt den Namen „Househead“. Es lädt geradezu dazu ein, sich stundenlang darin zu verlieren. Alle seine Bilder tragen Namen: „Herzjäger”, „Tank 5 bis 1“ oder „Erscheinung A + B“. Die Namen passen. Auch bei den Fotografien. Wo abblätternde Fassaden stehen, sieht Ricc darin Tiere, wie etwa einen Esel, eine Katze oder Kuh. Und wieder ist da dieses Schmunzeln.

Obwohl die Bilder von Ricc einen raumgreifend faszinieren, tritt die Kunst von Mutter, Vater und Schwester nicht in den Hintergrund. Im ersten Stock des Krankenhauses – wieder auf dieser unverwechselbar blauen Wand – hängen die Bilder von Pina Milazzo. „Sie geht gern in Museen“, erzählt Ricc über seine Schwester.

Offensichtlich beschäftigt sich Pina auch gerne mit Menschen und Tieren. Etliche ihrer Werke sprechen davon. Da sind die Männer und Frauen in der Kneipe „Beim Rotwein“ oder „Im Biergarten“ oder der stilisierte Hase, ganz reduziert in Strich und Farbe.

Pina: Zeichnung, Grafik

Pina ist ausgebildete Mediengestalterin und Mitglied der sogenannten „Sketchcrawler“. Das ist eine Gemeinschaft von Zeichnern, die sich mit ihren Arbeiten online vernetzen. Pina ist viel unterwegs in München, wo sie lebt und zeichnet. Die Menschen in Museen, in Kneipen und Restaurants zählen zu ihren Motiven. Ausgestellt hat sie sowohl Originalblätter aus ihrem Notizblock, als auch am Computer nachbearbeitete Werke.

Viele Hände gehören zu einer Familie – bei den Milazzos sind es ein Dutzend – wenn alle da sind.

Bewegt man sich wieder in Richtung Klinikausgang, so trifft man unübersehbar auf die Werke von Mutter Waltraud Milazzo. Jede ihrer Keramiken thront auf hohen, weißen Stelen. „Tuchfühlung“ heißt eine treffend karikierte Inszenierung von Horst Seehofer mit Martin Zeil. So treffend, dass man die Namen gar nicht hätte drunter schreiben müssen. „Mir san mir“ ist eine ebensolche Darstellung des Irschenberger Parteivorstands. „Meistertanz“ eine mit Louis van Gaal und Christian Ude.

Getreu dem Ausstellungsmotto geht es auch in ein paar Motiven um das Thema „Familie“. Auch wenn man eine – mehr oder weniger große – Gemeinschaft ist, so zeigt mancher doch auch seine eigene Identität. Waltraud Milazzo zeigt dies in verschiedenen Schnabelfarben bei ihrem tierischen Werk.

Familienvater Gaetano stellt wohl so etwas wie die „gesunde Basis“ der Milazzos dar. Der gebürtige Sizilianer fertigt nicht nur die Glasuren für die Werke seiner Ehefrau – ohne die sie nichts erschaffen könnte. Seit jeher entwickelt der ausgebildete Stukkateur aufwendige Mosaiken. In der Ausstellung kann man seine kunstvollen Kugeln bewundern. Wie bei allen seinen Werken ist jedes kleine Steinchen darin einzeln gebrannt.

Jedes einzelne Steinchen wird händisch bearbeitet. Die Glasur ist eine aufwendige Prozedur, unter anderem aus Asche.

„Es ist ein monatelanger Prozess, bis eine Kugel entsteht“, weiß Sohn Ricc zu erzählen. Bevor ein Mosaiksteinchen fertig ist, hat Gaetano zahllose Proben angefertigt, vieles ausprobiert und etliches verworfen. Auch wenn manches etwas länger dauert, eines sei offensichtlich, so Ricc: „Die Kunst ist immer erhaben. Man kann sie nicht kontrollieren!“

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