Eine verlorene Generation

Im Rahmen der Themenmonate der TS macht für den Monat Dezember die Kategorie Gewinner und Verlierer des Jahres den Abschluss. Heute erzählt Sabiene Hemkes aus der Redaktion von ihren persönlichen Verlierern des Jahres. Ganz vorne mit dabei – die Bewohner der Seniorenresidenz in Schliersee.

Seniorenresidenz Schliersee – Ort von Ermittlungen zweier Staatsanwaltschaften.

Meine Verlierer des Jahres? Stellvertretend – die Menschen in der Seniorenresidenz Schliersee. Sie werden hier als Verlierer genannt aber sind doch nur der öffentlich sichtbar gewordene Teil einer verlorenen Generation. Sie sind unsere Urgroßeltern, Großeltern, Eltern und Geschwister. Abgestellt in Heimen am Rande der Gesellschaft.

Geboren zur Mitte des letzten Jahrhunderts, ist diese Generation der Begründer und das Fundament des Staates, in dem wir heute im Wohlstand leben. Die, die nach dem Krieg diesen am Boden liegende Landkreis wie auch das gesamte Land wieder aufgebaut haben.

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Bundesweite Aufmerksamkeit, doch keine Anteilnahme hier

Auch der so reiche Kreis Miesbach, in dem Feuerwehrhäuser für Millionen von Euro gebaut werden, der sich Verwaltungsluxusoasen gönnt und wirbt mit einer Kriminalitätsstatik, die paradiesischen Lebenswelten des Friedens gleichkommt, lebt mit einem Ort, an dem mutmaßlich mehr Menschen zu Schaden kamen als man vermuten möchte.

Bundesweit wurde über die in der Seniorenresidenz beobachteten und angezeigten Verbrechen berichtet. Doch wir verschlossen einfach die Augen und schoben die Schuld weit von uns weg. Mitleid oder Solidaritätsbekunden – Fehlanzeige.

Keine Stimme für die Senioren

Wenn man bedenkt, dass es im Kreis Miesbach Bürgerinitiativen und Vereine ohne Ende gibt ein Trauerspiel. Jede Wiese am Straßenrand wird bei uns besser geschützt als die Leben der alten Menschen in Schliersee und anderen Einrichtungen dieser Art im Kreis.

Auf nicht einer der vielen Demonstrationen in Miesbach in diesem Jahr wurde die Freiheit der alten Menschen eingefordert. Keine einzige Petition für ihre Rechte initiiert. Selbst ein erschossener Fuchs brachte mehr Leser in der TS als die Berichte über die Residenz. Und selbst vor imaginären Wölfen scheint die Angst größer als vor dem Alt werden in unserer Wegguck-Gesellschaft.

Schon vor der Pandemie wurden nur etwa 10 Prozent der Frauen und Männer in bundesdeutschen Pflegeeinrichtungen besucht. Viele haben längst sich von einer Welt, wie wir sie leben, verabschiedet. Ihnen ist nicht mehr bekannt, dass der See vor ihrem Fenster der Schliersee ist oder wie die Menschen heißen, die sie längst vergessen haben.

Schliersee ist kein Einzelfall

Corona hat der pflegerischen Vernachlässigung, den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und unserer Gleichgültigkeit ihrem Schicksal gegenüber für kurze Zeit einen Ort und einen Namen gegeben – Seniorenresidenz Schliersee.

Doch Schliersee ist überall. In unserem Pflege-System, dass solche Orte ermöglicht. In unserer Politik, die keine Mittel finden will, die Unmenschlichkeit zu stoppen. In unserer Wirtschaft, die mit der Not der Alten große Renditen einstreicht und nicht zuletzt in unserer Gesellschaft, die schweigend wegschaut und nur selten mehr als den medialen Aufschrei zur Kenntnis nimmt – das ist hier bei uns und überall: einfach nur beschämend.

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