Einer der letzten “richtigen” Bildhauer

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Bereits von draußen ist erkennbar – hier lebt jemand ganz Besonderes. Eine Skulptur macht sich Platz an der Südseite. Ein Wetterhahn aus Edelstahl kreist oben auf dem Dach um den Kamin. Hinten im Garten reihen sich vier weitere Plastiken auf. Beim Eintreten durch die niedrige Holztür wird einem schnell klar: Otto Wesendonck ist viel in seinem Atelier.

Peter Beckmann und Wesendoncks Großvater liegen auf dem Tisch vor dem Bauernhof. Oben im Atelier erwartet einen Ragnvi. Freilich – die drei sind „nur“ Bronzeköpfe, dennoch laden sie ein, den Waakirchner Bildhauer näher kennenzulernen.

„Übliches Mobiliar“ vermisst man in der urigen, alten Stubn des Hofes fast vollständig. “Bei mir gibt’s alles nur einmal”, sagt der Künstler. 1968 kaufte der in Dinslaken Geborene mit Ehefrau Ragnvi die alte Hofstatt des „Meserbauern“. „Von Berlin nach Waakirchen, das war schon ein großer Schritt“, erinnert er sich. Davor hatte er von 1957 bis 1960 die Folkwangschule Essen besucht, anschließend von 1960 bis 1967 an der Hochschule Berlin bei Bernhard Heiliger studiert.

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Die Stubn: “Ausstellungsraum” für Wesendoncks Plastiken

Doch in Waakirchen wurde das Ehepaar – er Künstler, sie „Lebenskünstlerin“, wie er erzählt – freundlich aufgenommen. Mit Einheimischen und auch der Gemeindeverwaltung hat Wesendonck ein sehr gutes Verhältnis. Häufig öffneten sie den Bauernhof für die Öffentlichkeit. Vor vier Jahren starb seine Partnerin. Jetzt ziert eine liebevolle, zwei Meter hohe Bronze ihr Grab auf dem Kirchfriedhof Waakirchen.

Leben von und für die große Kunst

In der Stubn bullert indes der Holzofen. Bildbände liegen auf einem Glastisch. Ein Regal trägt eine Ladung weiterer Bücher. Ansonsten gehört der Raum fast vollständig der Kunst. Weiße Frauenkörper dienen als Raumtrenner. Metallisch glänzende, faustgroße Werke sind in der Glasvitrine zu sehen.

Ganz hinten steht ein Modell seines „Vesituuli“-Brunnens. „Das einzige finnische Wort“, wie Wesendonck erzählt. Das Original steht in Finnland, ist aus Edelstahl und Bronze und über fünf Meter hoch. Daneben ein Modell eines eigens angefertigten Schachspiels. „Das habe ich fürs ZDF gemacht“, erinnert sich der Künstler. Seit Langem kann der Waakirchner von der Kunst leben. Seine Strategie: er nimmt bei Wettbewerben teil. Oft schon hat er gewonnen.

Neben dem Preisgeld winkt dann auch eine angemessene Summe für die Umsetzung des Werkes, die oft – je nach Größe und Aufwand – bis zu einem Jahr dauern kann. Auch das „Spiralzeichen“, eine Bronze, die er für das ZDF in Mainz aufgestellt hat, zeugt davon.

Weitere Hauptwerke: der „Baum aus Eden“, aufgestellt in Münster. Der „Ying-Yang-Brunnen“ im Tucherpark München. Die „Weidener Wellen“ an der Max-Reger-Halle in Weiden. Die „Waage der Justitia“ in Münster. Der „Phönix im Wind“ in Oberhausen. Die „Balance der Kräfte“ in Düsseldorf. Ein Höhepunkt seines Schaffens: die Verleihung des Großen Rheinischen Kulturpreises im Jahr 1999.

Eines von Wesendoncks Lieblingswerken: “Schale und Kern”

Eines seiner Lieblingswerke drückt aus, worum es ihm bei seinem Schaffen geht: „Kern und Schale“, ein 1993 entstandener Brunnen im Park Schloss Krickenbeck. Die Funktion dieses 3,80 Meter hohen Werkes erinnert an ein schlagendes Herz. Die zündende Idee war ihm gekommen, als ihm einmal eine Kastanie auf den Kopf gefallen war. „Unter der stachligen Schale befinden sich fast immer zwei Kastanien“, erzählt er.

Entstanden aus der Leidenschaft zum lebensvollen Raum

Naturkräfte spielen eine entscheidende Rolle in Wesendoncks Kunst – sie entsteht aus der Leidenschaft zum lebensvollen Raum. Seine abstrakten Skulpturwerke leben geradezu von der fließenden Organik, die von Wind, Wasser, Luft – und in späteren Werken auch von Licht – aktiviert wird. Alle Formen sind durchzogen von einer ungeheuren Dynamik. Die meisten haben eine stattliche Höhe – so wie der „Phönix im Wind“ mit zwölf Metern.

Ich forme Abläufe und Entladungen von plastischen Energien und gieße und baue sie in rhythmischer Gestalt. Bronze und Edelstahl bilde ich so zu Trägern von Licht, Bewegung und Zeit aus dem Bedürfnis, der Zeit einen Leib, ein Maß, einen Körper zum Anfassen und Begreifen zu geben.

Auch die Einheimischen wissen Wesendoncks Können zu schätzen. Die Sparkassenfiliale Waakirchen schmückt sich mit seinem „Weltenspiegel“ – einem Zeichen der Fruchtbarkeit, wie der Künstler erzählt. Über vier Meter hoch steht der Bronze-Chrom-Nickel-Stahl unübersehbar direkt im Ortszentrum. Auch die „Venus“ am Mariensteiner Kreisverkehr hat Wesendonck geschaffen. Er hat sie der Gemeinde geschenkt.

Modell stand – wie so oft – ein Mädchen aus Waakirchen. „Mimi“ heißt sie, lebt aber schon seit Längerem nicht mehr in der Gemeinde. Es kommt häufig vor, dass er mit Modellen aus der Nachbarschaft arbeitet. Sophie oder Martha beispielsweise haben schon auf der großen, weißen Liegeinsel Platz genommen, um sich verewigen zu lassen. Bevor ein Werk entsteht, fertigt der Künstler eine Zeichnung oder eine Fotografie an, die er später in Grafikprogrammen verändert.

Hier porträtiert Wesendonck seine Modelle für die Plastiken

Bildhauer ist ein Beruf, der viele Professionen verbindet, so Wesendonck. Erstens erfordert es hohes handwerkliches Können, zweitens künstlerisches Verständnis, zudem sollte man auch die „moderne Technik“ wie Bildbearbeitungsprogramme und das Fotografieren können. So fotografiert Wesendonck fast alle Fotografien für Bildbände selbst. Zudem ist es auch körperlich anstrengend. Denn beim schweißtreibenden Gießen mit Temperaturen bis zu 1.200 Grad verliert man gerne ein paar Kilogramm in ein paar Minuten.

“Richtige” Bildhauerei übersteht Jahrtausende

In seiner 1980 eingerichteten Gießwerkstatt für experimentellen Kunstguss fertigt er mit einem hohen Maß an handwerklichem und Ingenieurwissen seine Arbeiten eigenhändig mit Assistenten an. Der große Reiz an der Bildhauerei ist für den 74-Jährigen, „dass sie Jahrtausende übersteht“. Heute noch werden beispielsweise Findlinge aus dem Meer geholt, die Zehntausende Jahre alt sind.

Schade findet der Künstler, „dass es heutzutage keine richtigen Bildhauer mehr gibt“. Das Bedürfnis nach einer konstanten Form wird nicht erfüllt. Häufig sei die Kunst sehr kurzlebig, was auch daran liegen könnte, dass man sich aktuell an den ausbildenden Instituten mit Inhalten wie Videos und Installationen befasse.

So wird Wesendonck wohl weiterhin zu der Minderheit gehören, die Kunstwerke erschaffen können, wie den „Feuervogel im Spiegel von Helios“, an dem er gerade in seiner Scheune baut.

Hier noch einige Eindrücke vom Hof und aus dem Waakirchner Atelier

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