EU-Politik solle niemals auf Kosten von Kommunen und Landwirtschaft gehen, das ist zumindest der Tenor unter den Kreisräten. Ihr Handlungsspielraum wird durch den Vertrag massiv eingeschränkt.
Das Handels- und Investitionsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) sorgt in sämtlichen Fraktionen für schlaflose Nächte. Seit über einem Jahr verhandelt die EU mit den USA über TTIP. TTIP ist eines der am heftigsten umstrittenen Vorhaben in Europa. Sollte TTIP in Kraft treten, so wie die EU-Kommission es momentan plant, würden Kommunen erheblich in ihrem politischen Handlungsspielraum eingeschränkt werden, weiß Kreisrat Karl Bär von den Grünen.
Konkret betroffen wäre man in der Vergabe von Aufträgen und Subventionen, in der Erteilung von Bau- und Betriebsgenehmigungen. Speziell Kommunen wären bei der Schaffung öffentlicher Dienste eingeschränkt, erklärt er. Bereits bestehende Regelungen für öffentliche Ausschreibungen, zum Beispiel im Busnahverkehr, würden auf die Ebene internationaler Verträge erhoben werden. So wären den Kommunalvertretern die Hände mehr und mehr gebunden.
Landkreis bezieht Stellung
Der Landkreis Miesbach will dem Freihandelsabkommen daher zumindest symbolisch den Riegel vorschieben. Man habe nichts gegen freien Handel, aber sämtliche Lebensbereiche wären hier grundlegend betroffen, betont die CSU. Deswegen fordert der Kreuther Bürgermeister Josef Bierschneider mehr Transparenz. Auch wenn die Entscheidung auf Europaebene ablaufe, müsse der Landkreis auf jeden Fall Stellung beziehen. Gegen Eingriffe in die regionale Fleisch- und Milchproduktion müsse man sich wehren.
Große Teile der Öffentlichkeit rätseln ebenso wie Landes- und Kommunalvertreter über den Inhalt, die Reichweite und die möglichen Konsequenzen des TTIP-Vertrages. Warngaus Bürgermeister Klaus Turnhuber (FWG) sprach ihnen in der Kreistagssitzung aus der Seele: „Was kommt da überhaupt auf uns zu?“ Er forderte „mehr Informationen für Kommunalvertreter und die Bürger“ und stellte in Aussicht, dass die kommunale Daseinsfürsorge durch TTIP stark beeinflusst werden könnte.
Fakt ist, die Folgen des Vertrags werden bis auf die regionale und lokale Ebene spürbar sein. TTIP berührt in seinen Klauseln Bereiche, in denen Bundesländer und Gemeinden bisher noch über eigene Kompetenzen verfügen.
Gefahr für regionale Bedürfnisse
Konkret heißt das auf Landesebene: Bildungs-, Gesundheits- und Rechtswesen; Polizei- und Ordnungsrecht; Kultur-, Rundfunk- und Medienwesen sowie Naturschutz und Landschaftspflege wären betroffen. Die Gemeinden würde es speziell hinsichtlich Wasser- und Energieversorgung, Abfallbeseitigung, Alten- und Pflegeheimen, Schulen, Kindergärten, Baugenehmigungen und Flächennutzungsplänen treffen.
Viele Folgen könnten jetzt noch nicht genau ausgemacht werden, erklärt Karl Bär. „Horrorszenarien“ könne man sich nur ausmalen. Am absehbarsten sind schon jetzt die Konsequenzen für die regionale Landwirtschaft. Aus Sicht der US-Regierung ist es zentral für das Abkommen, dass die EU ihren Agrarmarkt öffnet.
Das bedeutet, dass sich der Druck auf die bestehende Gentechnikfreiheit und die Kennzeichnungspflicht bei manipulierten Lebensmitteln erhöhen wird, erläutert Bär. Durch massiven Konkurrenzdruck würden Erzeugerpreise fallen. Bäuerliche Betriebe könnten dem schnellen Strukturwandel nur schlecht standhalten. Verbraucherschutz– und Tierschutzstandards könnten sich auflösen.
Gemeinsames Zeichen setzen
Auch Landrat Wolfgang Rzehak weiß um die Brisanz des TTIP-Abkommens für den Landkreis. Und so fordert auch er mehr Transparenz. An seine Kollegen gerichtet erklärt Rzehak: „Wir sind zwar kein Parlament, aber ein kommunales Organ. Und vom Landwirt bis zum Politiker ist hier jeder von uns betroffen. Nur wenige Experten in Deutschland wissen, was verhandelt wird.“ Das Unterfangen bezeichnete er als „gefährlich“.
Letzte Woche wurde dem Antrag der Grünen im Kreistag einstimmig stattgegeben. Karl Bär weiß, dass dem Landkreis formal gesehen kein Mitspracherecht eingeräumt wird. Dennoch hofft er, dass man damit ein Zeichen gesetzt habe, und die „Politik aus der Basis auch in Europa Gehör findet“. „Derzeit gibt es mehr Kreisresolutionen als Demos gegen TTIP“, erklärt er. Auch in Österreich und Frankreich verschaffen sich die Kommunalpolitiker inzwischen mehr und mehr Gehör.
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