Fahrdienstleiter muss ins Gefängnis

Unter großem Medienandrang begann heute der letzte Verhandlungstag im Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling. Die große Frage: welche Strafe wird der angeklagte Fahrdienstleiter bekommen? Die Verteidigung bat um Milde – jedoch vergebens.

Urteilsverkündung: Der angeklagte Fahrdienstleiter Michael P. (Mitte) zwischen seinen Anwälten Thilo Pfordte (rechts) und Ulrike Thole (links) auf der Anklagebank während der Richter das Urteil verkündet./ Foto: Peter Kneffel/dpa
Urteilsverkündung: Der angeklagte Fahrdienstleiter Michael P. (Mitte) zwischen seinen Anwälten Thilo Pfordte (rechts) und Ulrike Thole (links) auf der Anklagebank, kurz bevor der Richter das Urteil verkündet / Foto: Peter Kneffel/dpa

Fahrlässige Tötung in zwölf Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 89 Fällen. So lautet die Anklage gegen den Fahrdienstleiter Michael P., der am 09. Februar Dienst hatte und zwei Meridian-Züge auf eingleisiger Strecke kollidieren ließ.

Nachdem der Angeklagte gleich zu Prozessbeginn ein Geständnis ablegte, sagten viele Zeugen und Gutachter vor dem Traunsteiner Gericht aus. Heute wurde das abschließende Urteil gefällt und unter großem Medienandrang erwartet. Die Zuschauerreihen waren bis auf den letzen Platz gefüllt.

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Urteilsverkündung – Keine Milde für den Angeklagten

In seinem Plädoyer vor einigen Tagen forderte Staatsanwalt Jürgen Branz vier Jahre Haft. Er befand den Fahrdienstleiter in vollem Umfang schuldig und hielt ihm “kopfloses Verhalten” vor. Ein Gutachten bestätigte, dass Michael P. durch das Handyspiel abgelenkt war. Doch auch die Bahn wurde teilweise scharf kritisiert. Die Bestimmungen für Fahrdienstleiter im Notfall seien teilweise unklar und die Technik veraltet. Dennoch wurden keine technischen Mängel gefunden.

Die Verteidiger baten die Kammer jedoch um Milde und hielten eine Bewährungsstrafe für ausreichend. Sie gaben zu bedenken, dass bisher noch in keinem Fall eines Zugunglücks in Deutschland eine Gefängnisstrafe verhängt wurde. Wenn man denn Fahrdienstleiter verurteilen wolle, dann maximal zu einer Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten, so die beiden Rechtsanwälte Ulrike Thole und Thilo Pfordte.

Heute Um 10:40 Uhr verkündete Richter Erich Fuchs dann das Urteil:

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. (…) Der Angeklagte wird zu einer Strafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

In seiner Begründung betonte der Richter, die Aufgabe des Fahrdienstleiters sei es zuverlässig die Zufahrten auf die Strecke zu erledigen. Dazu zählten auch Kreuzungen von Zügen. Dazu gebe es ein umfangreiches Regelwerk der Bahn, welches der Fahrdienstleiter beherrschen müsse, so Fuchs. Er habe alle Kenntnisse zur Erledigung seiner Tätigkeit gehabt. Seitens der Vorgesetzten sei der 40-Jährige als fachlich qualifiziert beschrieben worden.

Unglück hätte vermieden werden können

Erneut fasste der Richter die Geschehnisse des Unglückstages zusammen.  Man habe dazu folgende Feststellungen im Rahmen der Hauptverhandlung getroffen: Der Angeklagte habe vor und während seines Dienstes auf seinem Smartphone gespielt. Dieser Umstand sei sekundengenau durch den Gutachter nachvollzogen worden, so Richter Fuchs.

Ebenso bei der Abwicklung der beiden Unglückszüge. Nachdem Michael P. die beiden Züge übergeben bekommen hatte, spielte er auf seinem Handy weiter. Solange, bis der Angeklagte nach eigenen Aussage seinen Ablesefehler auf der Zugtabelle erkannte. Den Fehler auszubessern, sei Michael P. nicht mehr gelungen. Zudem habe der Angeklagte an eine Störung geglaubt. Ein weiterer Grund dafür, dass er schließlich das Sondersignal “ZS1” gegeben hatte.

Das Gericht habe keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte das grüne Ausfahrtsignal gesehen hatte. Trotzdem gab er erneut das “ZS1”-Signal. Die anschließenden Notrufe gingen bekanntlich ins Leere. Hätte der erste Notruf auf dem richtigen Kanal erfolgt, hätte das Unglück vermieden werden können, ist sich Richter Fuchs sicher.

“Unerklärliche Denkfehler” durch Handyspiel

Der Angeklagte habe “vorschriftswidrig gehandelt”. Vor dem Setzen des Signals “ZS1” hätte sich Michael P. versichern müssen, dass die Strecke frei ist, so der Richter. Ebenso hätte er den richtigen Notruf beherrschen müssen. Das Gericht war sich sicher, dass Michael P. den Alarm früher hätte auslösen können. Doch durch das Handyspiel sei er unkonzentriert gewesen und wurde abgelenkt. Der Richter betonte:

Jeder, der gedanklich in zwei Bereichen unterwegs ist, weiß, dass das die Leistungsfähigkeit in mindestens einem Bereich beeinträchtigt.

“Unerklärliche, unverständliche Denkfehler” fasste der Richter zusammen. Die Verkettung von Fehlern und das Nichterkennen der Fehlstellung der beiden Züge konnte für das Gericht nur einen Grund haben: Durch das Spielen am Handy wurden die kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten “erheblich beeinträchtigt”.

Pflichtwidriges Verhalten

Trotz Verbot spielte der Fahrdienstleiter am Handy. Damit habe er seine Verantwortung für die Menschen in den Zügen nicht wahrgenommen. Zwölf Menschen seien bei dem Unglück ums Leben gekommen. Der Richter las alle Namen mit Geburtsdaten der Toten vor. Viele seien verletzt worden und litten noch heute unter den Folgen. Der Sachschaden betrug rund 10 Millionen Euro.

Fatale Fehler führten im Februar 2016 zu dem schweren Zugunglück von Bad Aibling / Foto: Peter Kneffel/dpa
Fatale Fehler führten im Februar 2016 zu dem schweren Zugunglück von Bad Aibling / Foto: Peter Kneffel/dpa

Eine mögliche Mitschuld der Bahn sei in diesem Verfahren nicht relevant gewesen. Man habe sich nur mit dem Angeklagten und seinen Handlungen beschäftigt. Die Technik habe, soweit man das erkannt habe, richtig funktioniert.

Zusammenfassend sei zu erkennen, dass der Angeklagte fahrlässig gehandelt hatte. Es handle sich über ein pflichtwidriges Verhalten über einen längeren Zeitraum, die Fahrlässigkeit besitze somit einen höheren Grad, so Richter Fuchs abschließend zur Begründung. Strafmaßlindernd habe sich schließlich das Geständnis ausgewirkt.

Angeklagter “kein Krimineller sondern selbst Opfer”

Michael P. habe die Gefahr auf die leichte Schulter genommen. “Das darf nicht sein”, so Fuchs. Die nachteiligen Folgen für die Familien seien unermesslich. Deshalb könne man sich nicht im unteren Bereich des Strafrahmens bewegen.

Er ist Opfer seiner eigenen Spielleidenschaft geworden. Die Strafe mag hoch erscheinen. (..) Aber er kann in absehbarer Zeit zu seiner Familie zurückkehren.

Richter Fuchs nahm zum Schluss der Urteilsbegründung noch Bezug auf andere Unfälle. Wie dort, sei auch beim Zugunglück von Bad Aibling der Angeklagte “kein Krimineller, sondern selbst Opfer”. Die Freiheitsstrafe biete für den Angeklagten die Chance, eine Rückkehr ins Leben vorzubereiten. Die Opfer des Zugunglücks von Bad Aibling können das, so der Richter zum Abschluss, leider nicht.

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