Füreinander – miteinander – gegeneinander?

„Besser ein Nachbar über der Mauer als ein Bruder über der See“, besagt ein altes Sprichwort aus Albanien. Wer hat es sich nach einem Umzug nicht schon einmal gefragt: Wie werden wohl die neuen Nachbarn sein? Beste Freunde oder der schlimmste Horror – die Anrainer könnten es sein. Theoretisch.

Nebeneinander oder gegeneinander

Mit manchen von ihnen ist nicht zu spaßen. Du fragst sie nach Salz – und sie öffnen dir ihre Seele. Du grüßt freundlich – und sie werten das als Liebesbeweis. Du leihst dir ein Ei – und morgen erwarten sie zwei dafür zurück. Nach ein paar Wochen guten Auskommens denken sie, man ist gut Freund – und drehen ihre Stereoanlage ungehindert auf Anschlag. Das unverbindliche Nebeneinander verwandelt sich nicht selten in ein inniges Miteinander. Oftmals geht es in einem erbitterten Gegeneinander zu Ende.

Deutschlands Nachbarn streiten wie noch nie. Anzeigen über Attacken am Zaun haben in jüngster Zeit erheblich zugenommen. Mehrere Fernsehsender ergriffen prompt die Gelegenheit und senden regelmäßig Reportagen wie “Zoff am Zaun – wenn der Nachbar zum Feind wird” (ZDF). Dort beschäftigt man sich mit mehr oder weniger nichtigen Anlässen wie überhängenden Ästen, Geruch aus Ställen, Lärmpegel aus Sprachfetzen oder einem Klangteppich, der die Veranstalter eines Open-Air-Konzerts verblassen lässt.

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Seit man sich Rechtsschutzversicherungen locker leisten kann, ziehen sich Gerichtsverfahren nicht selten über Jahre hinweg. Die Frontlinie bildet nur eine dünne Wohnungswand oder ein paar Meter Hecke.

Diese nicht als Trennungswall zu begreifen, sondern als Leitlinie für ein besseres Miteinander, das machte sich die Gmunder Nachbarschaftshilfe zum Ziel. „Füreinander – miteinander“, tönte es im Jahr 2000 aus dem Gmunder Rathaus. Im Rahmen der Agendabewegung hatte sich ein Arbeitskreis gebildet, der sich unter anderem mit dem nachbarschaftlichen Miteinander befasste. Aus dieser ging ungefähr zwei Jahre später die Nachbarschaftshilfe hervor, die heute dem Diakonieverein Tegernseer Tal angehört. Das richtige Maß zu finden im Umgang mit den Nachbarn, ist offenbar eine Kunst.

Gelebte Nachbarschaft

Die rund zwanzig ehrenamtlichen Helfer kennen dieses Maß genau und springen ein, wenn Not am Mann ist. Auf Wunsch übernehmen sie die gewünschten Dienste der Organisation für Menschen, die nur ab und zu jemanden brauchen: Schnee schaufeln, Hecke schneiden oder die Oma für eine Stunde betreuen, weil die Angehörigen gerade einkaufen müssen. So nur einige Beispiele.

„Kleine Hilfstätigkeiten, die günstig sein sollen und nach Bedarf erledigt werden“, so umschreibt Sonja Rauscher von der Diakonie die Aufgaben des Vereins. Wer bei der Gemeinde anruft und sich nach Hilfe erkundigt, landet meist zuerst bei ihr. Sie kanalisiert das Anliegen in die richtige Bahn. Denn die Diakonie hat darüber hinaus noch diverse andere Aufgaben zu stemmen.

Aus der Liste der freiwilligen Helfer sucht sie denjenigen heraus, der ihr für das Anliegen am besten geeignet erscheint. Viele trauen sich das nicht, denn häufig haben sie Bedenken, die Großmutter oder den alten Vater allein zu Hause zu lassen. Die Nachbarschaftshelfer hören zu, wenn Geschichten „von früher“ erzählt werden, lesen die Zeitung oder ein Buch vor, begleiten bei einem Spaziergang und anderes. Sie sehen sich als stundenweise Betreuer zur Entlastung Angehöriger und haben sich für diese Aufgabe auf ehrenamtlicher Basis gemeldet.

Der gute Mensch von nebenan

Ob soziale Hilfe oder handwerkliche Leistung – die Frauen und Männer der Nachbarschaftshilfe möchten Bürgern in ihrer Gemeinde Gutes tun. Über den Verein als Koordinierungsstelle können sie von allen Bewohnern angefordert werden. Wer einen Nachbarschaftshelfer engagiert, bezahlt einen sehr erschwinglichen Stundensatz. Davon fließt eine Aufwandsentschädigung an den Betreuer. Der Rest verbleibt zur Finanzierung der Verwaltungskosten bei der Diakonie.

Häufig sind es immer dieselben Leute, die die Dienste in Anspruch nehmen. Aber es gibt auch welche, die nur ab und zu anrufen. Die Nachbarschaftshilfe vernetzt die Bürger, stärkt die Nachbarschaft und füllt so ein soziales Vakuum. Ihre Arbeit soll dazu beitragen, dass das Gemeinschaftsgefühl wächst. Inzwischen stehen Sonja Rauscher in Gmund 20 Helfer zur Verfügung.

Doch darüber hinaus entstehen kleine Netzwerke. Nachbarschaftshilfe oder gemeinsame Veranstaltungen wie Seniorennachmittage mit Vorträgen oder Spielen – diese banalen Dinge sorgen dafür, dass manche Menschen in der Gemeinde nicht mehr hilflos sind. So wird ein Klima geschaffen, das es ermöglicht, miteinander zu leben. Auch wenn das nicht immer auf Anhieb klappt mit den Nachbarn, ein Anfang ist es alle Mal. Damit es bald heißen kann: „Ein guter Nachbar ist besser als ein ferner Freund.“

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