Gefangen in der Angstspirale

Selbstisolation ist schwer zu ertragen. Besonders für Menschen, die mit psychischen Erkrankungen kämpfen. Prof. Dr. Michael Landgrebe von der kbo-Klinik Agatharied erklärt, wie sich die Situation auf Betroffene auswirkt und was wir füreinander tun können.

Vor allem für Menschen mit Depession ist diese Zeit hart

„Als ich das erste mal davon hörte, daheim bleiben zu müssen, habe ich sofort an das Schlimmste gedacht. Die Angst kam in mir hoch.“ So beschreibt Katie ihren ersten Gedanken, nachdem sie von der Ausgangsbeschränkung erfahren hat. Sie ist 18 Jahre alt und Schülerin. Vor zwei Jahren wurde sie mit einer Angststörung, im Oktober 2019 mit Depressionen und einer Essstörung diagnostiziert. Die Ausgangssperre bedeutet für sie eines: Allein in ihrem Zimmer zu sitzen und in den eigenen Gedanken zu ertrinken.

„Die Depression kontrolliert manchmal meinen kompletten Tagesablauf. Das heißt: keine Schule, im Bett bleiben, keine gesunde Ernährung – falls ich überhaupt was esse. Die Selbstisolation füttert meinen „Depressionsbauch“ sozusagen.“

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Die therapeutischen Möglichkeiten brechen weg

Mit diesem Gefühl ist Katie nicht allein. Etwa fünf bis sechs Prozent der Allgemeinbevölkerung in Deutschland leiden unter Depressionen. Die Ausgangsbeschränkungen sind schon für psychisch gesunde Menschen eine Herausforderung, noch schwieriger ist es für psychisch labile. Das bestätigt auch Prof. Dr. Michael Landgrebe, Chefarzt der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Agatharied. Am Beispiel der Depression erklärt er, womit Betroffene zu kämpfen haben:

Das Problem eines Depressiven ist es, dass er sich auf Grund der Depression zunehmend zurückzieht, quasi aus seinen sozialen Kontexten rausgerissen wird. Therapeutisch wirksam wäre es ja, ihn wieder zu motivieren, unter Leute zu gehen und eine Tagesstruktur aufzubauen. All das bricht weg.

Durch die Selbstisolation werden die therapeutischen Möglichkeiten immer geringer. „Glücklicherweise darf man für sportliche Aktivitäten noch rausgehen“, fügt Landgrebe hinzu. „Wenn man das aber krankheitsbedingt nicht macht, sitzt man den ganzen Tag in seinem Zimmer und hat keine Struktur. Das ist eine furchtbare Situation für einen Menschen. Schon für einen gesunden, aber noch viel schlechter für einen Menschen der beispielsweise eine Depression hat oder an einer Schizophrenie erkrankt.“

Prof. Dr. Michael Landgrebe ist Chefarzt der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Agatharied. / Quelle: Jo Jonietz (GAPA-TV)

Die Folge daraus: Zunehmend destruktive Ideen. Man macht sich immer mehr Sorgen, bekommt immer mehr Ängste. Besonders wenn man sich zu viel im Netz aufhält, und ständig Katastrophennachrichten liest – aktuell besonders im Hinblick auf Corona. „Das führt eher dazu, dass man immer mehr in diese Angstspirale hineinkommt, aus der man nicht wieder herauskommt“, erklärt Landgrebe.

Ein geregelter Tagesablauf ist das A und O

Wichtig ist es, als erkrankter Mensch eine Struktur im Tagesablauf zu finden. Und das beginnt laut dem Chefarzt schon beim Aufstehen:

Ich sollte mir die Woche und den Tag planen. Jeden Tag nach Möglichkeit zur selben Uhrzeit aufstehen, sich ein Frühstück machen, Mittagessen machen, Abendessen machen. Und überlegen: Wann kann ich rausgehen? Wann kann ich den sozialen Bekanntenkreis, wenn auch nur virtuell, kontaktieren?

Dazu sollte man sich außerdem kleine Projekte vornehmen, erklärt er weiter. Beispielsweise das Arbeitszimmer aufräumen oder etwas im Garten machen, und sich gezielt auf positive Aspekte konzentrieren. (Tipp für Menschen, die gute Nachrichten suchen: die App GoodNews  postet Montag bis Freitag ausschließlich positive Nachrichten ?)

Therapien und Sprechstunden trotz Ausgangsbeschränkungen

Hausärzte, die häufig der erste Ansprechpartner sind, sind momentan komplett überlastet . Auch die sonst übliche, bundesweite Nummer des ärztlichen Bereitschaftsteams (116 117) ist derzeit zwecks Corona überlastet. In Krisensituationen gibt es dennoch nach wie vor zentrale Ansprechstationen, an welche man sich wenden kann und soll, hebt Landgrebe hervor.

Immer zu erreichen ist der psychiatrische Krisendienst Oberbayern. Dort wurde eine Telefonstelle eingerichtet, die rund um die Uhr besetzt ist. Therapien in der Klinik Agatharied seien deutlich eingeschränkt, finden nur unter entsprechenden hygienischen Schutzmaßnahmen statt. Ambulante Therapieangebote sind momentan nur telefonisch möglich. In den nächsten Tagen sollen zusätzlich Videosprechstunden für die Patienten angeboten werden. „Wer schwerkrank ist, kann natürlich ins Krankenhaus, die Therapeuten sind hier“, fügt der Klinikleiter hinzu.

Was können wir füreinander tun?

Katie sieht die Zeit der Selbstisolation nicht nur als eine enorme Herausforderung, sondern auch als eine Chance. „Es ist einfach, in eine Routine zu fallen, in der man sich ständig traurig fühlt. Aber ich versuche die Zeit zu nutzen, um zu lernen, wie ich mit meiner psychischen Erkrankung umgehen kann“, erklärt die Schülerin.

Aber was kann man selbst tun, um Erkrankten Unterstützung anzubieten? Chefarzt Landgrebe weiß: „Zum einen einfach als Freund oder Freundin da sein ist sehr hilfreich.” Also den Kontakt regelmäßig aufrecht erhalten, anrufen, zu zweit spazieren gehen (mit gefordertem Abstand!). Sich gegenseitig nicht alleine lassen – das gilt übrigens auch für Menschen, die nicht psychisch erkrankt sind.

Sollte man das Gefühl haben, dass ein Bekannter oder eine Bekannte ärztliche Hilfe braucht, rät Landgrebe: Den Betroffenen motivieren, telefonische Hilfe zu holen. Oder notfalls den Krisendienst selbst zu dem Erkrankten schicken.


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