Jetzt ist er da, der grüne Landrat. Naturschützer, aber auch so manche Bauern und Bürger werden gejubelt haben am vergangenen Sonntag, als feststand, dass Wolfgang Rzehak die kommenden sechs Jahre das Sagen im Landkreis haben wird. Mit Spannung wird so mancher beobachten, wie der neue Chef, der sich selbst als kein „Hardcore-Grüner“ bezeichnet, mit dem bisher eher lax gehandhabten Schutz der Landschaft umgehen wird.
Ein Kommentar von Rose-Marie Beyer:
Das Tegernseer Almdorf, der Lanserhof in Waakirchen, die Abfüllanlage nahe der Kreuzstraße – dies sind nur ein paar Flächen, die innerhalb der letzten Jahre aus dem sogenannten Landschaftsschutzgebiet herausgenommen wurden. Der Siedlungsdruck ist hoch. Auch Gewerbe soll sich vermehrt ansiedeln im Tal. Noch weiß niemand, wie das Tegernseer Tal in einigen Jahrzehnten aussehen wird.
Dabei sind die Landschaftsschutzgebiete nicht unverwundbar, sondern sehr sensibel. Sie sind schützenswert und gelten als „Grüner Akku“ – sind also von großer Bedeutung für Mensch und Tier. Doch nicht nur bei uns im Landkreis und speziell im Tegernseer Tal überschlagen sich die Kommunalpolitiker und investierenden Unternehmen eher darin, die Hügellandschaften mit Wäldern und Weiden umzuwandeln in wuselnde Gewerbezonen oder 4-Sterne-Plus-Hotels, als grüne Freiflächen zu schützen.
Naturschutzgebiet im Landkreis längst überfällig
Die Argumente sind klar: Ohne jene „Anziehungspunkte“ geht es heute nicht mehr. Eine Brauerei, ein Gesundheitshotel, ein neues Feriendomizil. Die Liste ließe sich noch lange weiterführen. Landschaftsschutzgebiete gelten für viele Kommunalpolitiker quasi als Bauerwartungsland. Wann immer ein Investor vor der Tür steht, werden hektargroße Stücke aus dem Landschaftsschutzgebiet im Landkreis herausgenommen und in Bauland verwandelt.
Der designierte Landrat ist zwar der Meinung, es dürfe nur im Notfall eine Fläche aus dem Landschaftsschutzgebiet herausgenommen werden. „Wir müssen das sensibler behandeln“, mahnte er, als die TS ihn dazu befragte. Er wird versuchen, sich zu bemühen, Alternativ-Flächen zu finden, um Herausnahmen zu verhindern. Grundsätzlich müsse man immer abwägen, wenn es um Natur- und Landschaftsschutz und Wirtschaftlichkeit geht. Doch was der Druck von Investoren und die Realität der Alltagspolitik aus Rzehaks Überzeugungen machen, ist offen.
Ein weiteres Thema kommt mit dem GRÜNEN-Landrat ins Spiel. Bisher leistet es sich der Landkreis, kein einziges eigenes Naturschutzgebiet zu haben. Damit ist er als bayerisch-alpiner Landkreis zwischen Berchtesgadener Land und Lindau allein auf weiter Flur. Obwohl es eigentlich genügend schützenswerte Gebiete gäbe – etwa das Rotwandgebiet, Bereiche der Blauen Berge, aber auch Moore und Filze sowie den Taubenberg.
Alleinstellungsmerkmale für die Region schaffen
Weit ist es bisher also nicht her mit der Versöhnung von Ökonomie und Ökologie im Tegernseer Tal. Dabei sehen Trendforscher das Thema im 21. Jahrhundert als zentral an. Die biologische Vielfalt gelte es zu bewahren, denn die Menschen sehnen sich tief im Inneren nach der Romantik des Landlebens, nach Wildblumenwiesen mit summenden Bienen, plätschernden Alpbächen und glücklichen Kühen auf den Weiden.
Zumindest das mit den glücklichen Kühen funktioniert in der Region ganz gut. Laut Rzehak ist im Landkreis jeder vierte Landwirt ein Bio-Bauer. Glückliche Kühe, eigenes Naturschutzgebiet, intakte Landschaft mit Vielfalt, Eigenheit und Schönheit – das könnte ein Alleinstellungsmerkmal für den Landkreis und das Tal werden. Ein Magnet, der den sanften Tourismus fördert. Der Gäste anzieht, die einen sensiblen Umgang mit Natur und Landschaft befürworten oder sogar praktizieren.
Werden aber auch die anderen Kommunalpolitiker – die Kreisräte um Rzehak herum – ihre Verantwortung für die biologische Vielfalt künftig erkennen und den Bemühungen zum Erhalt eine langfristige Perspektive geben? Wann hören sie auf, über einzelne Mosaiksteinchen in Bauleitplänen nachzudenken, um stattdessen einen weitumspannenden Lebensraum zur Sicherung der natürlichen Wasser- und Stoffkreisläufe und zur Erholung von Bürgern und Touristen zu schaffen? Wann nutzen sie die positive Aktionskraft der Bürger, anstatt sie mit Mega-Bauprojekten zum Widerstand herauszufordern?
Geschichten vom Gelingen schaffen
Ein neues Verständnis von Wachstum und Wohlstand muss ökologische und soziale Kriterien berücksichtigen – mit besserer Gesundheit, mehr Umweltbildung und qualifizierten, adäquat bezahlten Arbeitsplätzen. Frei nach dem Motto: Damit sich die armen Leute ein gutes Hendl leisten können, muss man nicht das Hendl billiger machen, sondern die Löhne müssen steigen.
Entscheidend ist die Entkopplung von wirtschaftlichem Wachstum und Naturverbrauch: Die Wirtschaft darf nicht länger wachsen, indem sie die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Die technologische Entwicklung wird helfen, einen Konflikt zu entschärfen, der die Grüne Bewegung von Anfang an beschäftigt hat. Naturschützer sind keine Verzichtsapostel, die ein freudloses Leben predigen. Die meisten von ihnen glauben noch daran, „die Welt retten zu können“. Schließlich mag auch Rzehak einen Schweinsbraten allemal lieber als einen Veggie-Burger und hört gern Blasmusik statt Panflöte, wie er der SZ verriet.
Lassen wir dem designierten Landrat nicht die ganze Last auf seinen Schultern. Ändern wir auch selber unsere Haltungen und bilden Gemeinschaften, die eine neue Art des Zusammenlebens einleiten. Schreiben wir Geschichten vom Gelingen, von einer Region, in der es keinen unnötigen Flächenfraß mehr gibt, sondern Räume zum Leben: Danke Tegernseer Tal!
Quelle oberstes Bild: www.foto-webcam.org/webcam/prasserbad
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