Pflichtverteidiger, Staatsanwalt, Schöffen, Zeugen und Richter – eigentlich alles da, was man für eine ordentliche Gerichtsverhandlung braucht. Nur die „Hauptrolle“ ließ sich entschuldigen. Auf der Anklagebank hätte eigentlich Johannes A. aus Holzkirchen sitzen sollen. Jedenfalls war A. dort zuletzt gemeldet, obwohl er sich wohl eher bei seiner Verlobten in Hausham aufzuhalten pflegte.
Die hatte dann auch am Morgen des Verhandlungstages bei A.s Hausärztin angerufen, um von ihr ein Attest zur Verhandlungsunfähigkeit ihres Partners zu erhalten. Die Ärztin stellte das Attest aus, ohne den Patienten gesehen zu haben. Bei ihrer letzten Untersuchung hatte sie ihm allerdings bereits lebensbedrohliche Krankheiten attestiert. Johannes A. sei aufgrund einer multiplen Drogenabhängigkeit dringend zu entgiften, um seine Leberzirrhose behandeln zu können.
Der Heroin und Alkohol-Abhängige leide unter Hepatitis, Krampfadern in der Speiseröhre, damit verbundenen blutigen Erbrechen und auch ADHS. Die Ärztin halte eine stationäre Behandlung für dringend erforderlich, da ansonsten Lebensgefahr bestünde. Der Holzkirchner nehme an einem Methadon-Programm teil, müsse diesen Heroin-Ersatz aber absetzen, damit die Erkrankung der Leber behandelt werden könne.
Todkrank, aber nicht im Krankenhaus
Allerdings hatte sich A. nicht einweisen lassen. In den Kliniken in Agatharied sei er nicht dauerhaft behandelt worden. Auch am Verhandlungstag war er bei seiner Ärztin nicht erschienen. Vor Gericht wurde in Abwesenheit des Beschuldigten dann die Anklage in diesem Fall wegen Bedrohung noch gar nicht vorgelesen, sondern überlegt, wie man die Verhandlung sinnvoll fortsetzen sollte.
Natürlich wurde erwogen, A. an seinem Wohnsitz durch die Polizei abholen zu lassen oder ihn bei seiner Ärztin abzufangen. Aufgrund des ärztlichen Attests hätte aber eine Untersuchung des Gesundheitszustandes erfolgen müssen. Richter Walter Leitner telefonierte mit dem Gesundheitsamt des Kreis Miesbach, das sich als nicht zuständig und auch unterbesetzt erklärte. Die zuständige Gesundheitsbehörde in München erklärte sich ebenfalls außerstande der kurzfristigen Anfrage nachkommen zu können.
Zeugen bedroht
Damit stand die Erlassung eines Haftbefehls im Raum. Richter Leitner sah sich daraufhin veranlasst weitere Informationen zu verlesen. So hatten mehrere Zeugen Einschüchterungsversuche gemeldet – seitens des Angeklagten, aber auch seitens des Geschädigten. Eine Zeugin sei von einem der Geschädigten aufgefordert worden, besser nicht auszusagen. Der Angeklagte seinerseits wurde gehört, wie er am Telefon jemanden bat, die Zeugenliste an seine Cousins weiterzugeben.
Die wüssten dann schon, was zu tun sei. Sie sollten aber erst kurz vor dem Verhandlungstag aktiv werden, damit die Zeugen dann wirklich nicht erscheinen würden. Ein weiterer Vorfall wurde der Polizei aktenkundig, bei dem A. seine Partnerin in Hausham geschlagen haben soll. Zudem gab es wohl gegenseitige Mord-, aber auch Selbstmord-Drohungen.
Aufgrund dieser zusätzlichen Informationen sah sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft veranlasst, einen Haftbefehl für die Untersuchungshaft zu beantragen. Der Pflichtverteidiger hielt dagegen, dass sein Mandant zum einen tatsächlich krank sei und daher nicht erschienen sei und zum anderen die Bedrohung von Zeugen nicht nachgewiesen sei.
U-Haft wegen Fluchtgefahr
Richter Leitner gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, da wegen der unklaren Lage der Wohnsitze, der Arbeitslosigkeit des Johannes A. und der der Zugehörigkeit zum Drogen-Milieu Fluchtgefahr bestünde. Auch die Einschüchterungsversuche werteten Richter und Schöffen als Verdunkelungsgefahr. Aufgrund der Schwere der Anklage und der zu erwartenden Höhe der Strafe im Falle der Verurteilung, sei der Haftbefehl verhältnismäßig.
Die Zeugen wurden entlassen, der Insasse der JVA fand noch Gelegenheit sehr offensichtlich Kassiber mit den anderen, augenscheinlich untereinander bekannten Zeugen auszutauschen.
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